Das behaupten zumindest Opfer und Angehörige der Zugkatastrophe, die vor genau einem Jahr den Glauben der Japaner in ihr effizientes Verkehrssystem erschütterte. Zur Erinnerung: Vor einem Jahr geriet eine Vorortbahn der JR West (JR=Japanese Railway) bei 100 kmh aus einer Kurve bei Amagasaki (zwischen Kōbe und Ōsaka). Ein Waggon wickelte sich dabei regelrecht um ein nahestehendes Wohnhaus. 107 Menschen starben, einige konnten erst Tage später geborgen werden, und über 500 wurden verletzt. Grund dafür, dass der nur 23 Jahre alte Fahrer mit 100 statt 70 kmh in die Kurve ging, war wohl eine vorangegangene, 90-sekündige (!) Verspätung. Die hätte ihm harsche Strafmaßnahmen eingebrockt, denn JR ist da wohl nicht zimperlich.
Das seitdem alles besser wurde wird nun arg bezweifelt. JR West erliess einige wichtige Maßnahmen – die Strafen sind nun wohl milder, Elektronik vor Kurven drosselt die Geschwindigkeit, der Zeitplan wurde etwas gelockert usw., aber es bleibt wohl viel zu tun. Gestern zum Beispiel wurde die Yamanote-Ringlinie tagsüber für 5 Stunden stillgelegt – Grund war eine grosse Unebenheit vertikalerseits an einer Stelle. Das hatte freilich auch Auswirkungen auf viele andere Linien. Zumal sich allein gestern mindestens zwei Leute vor die Bahn geworfen haben. Kurzum, es herrschte grosses Chaos. Und man kann von Glück reden, dass ein aufmerksamer Fahrer die Unregelmässigkeit rechtzeitig erkannt hatte. Das japanische Nahverkehrssystem ist in der Tat beeindruckend und sehr effizient, aber man darf nicht vergessen, dass es nicht perfekt ist.
Das Wort des Tages: 通勤 (tsūkin) – tsū bedeutet fahren/passieren, kin steht für Arbeit. Tsukin bedeutet von der/zur Arbeit fahren. Mehr zum wahnsinnigen Berufsverkehr an anderer Stelle.