Eines der beliebtesten Kinder/Jugendlichenbücher der vergangenen Monate war ein Titel mit dem Namen “ざんねんないきもの” – “bemitleidenswerte Lebenswesen”, in denen allerlei “negative” Fakten über diverse Spezies kurz und bündig beschrieben und ansprechend illustriert werden. Zum Beispiel, dass die Rosa-Farbe der Flamingos lediglich von de Nahrung der selbigen herrührt, oder das selbst ein alter Mann einem ausgewachsenen Krokodil das Maul zuhalten kann.
Mein Verhältnis zu diesem Buch, und natürlich gab und gibt es umgehend Nachfolger, Nachahmer und jetzt sogar eine Ausstellung, ist eher zwiegespalten. Wenn das Buch dazu verhilft, Kinder für (Sach)bücher zu begeistern, ist das freilich eine feine Sache. Und die Auflagenzahlen sind in der Tat enorm (mehr als eine Million Exemplare). Doch irgendwo erwirkt bereits der Titel bei mir Unbehagen: Bemitleidenswerte Geschöpfe? Sollen Kinder wirklich auf diese Art und Weise über die Natur und ihre vielfältigen Schöpfungen denken? Warum wohl kann ein alter Mann ein Krokodil daran hindern, sein Maul zu öffnen, wenn es das Tier ganz vorn an der Schnauze packt? Könnte es vielleicht daran liegen, dass das gute Tier einfach nicht mehr braucht – weil es nur ganz, ganz wenige alte Männer gibt, die dem Reptil auflauern, ihm das Maul zuhalten, und dann womöglich zu verspeisen? Das Buch, und so viele andere im gleichen Genre, verpasst grandios die Chance, Kindern zu erklären, dass es sich hier nicht um “bemitleidenswerte Kreaturen” handelt, sondern dass die Sachen aus gutem Grund so sind, wie sie sind. Soweit zu einer völlig spaßbefreiten Betrachtung des Stoffes.
Genauer hingeschaut reiht sich das Buch jedoch wunderbar ein in den allgegenwärtigen Trivialismus, auf japanisch 雑学 zatsugaku genannt – “zatsu” bedeutet “vielerlei”, aber auch “oberflächlich” (beides meist mit negativer Konnotation), -gaku ist die Wissenschaft. Und so voll die japanischen Buchläden auch sind – es wird in Japan noch immer verlegt, was das Zeug hält – so entpuppen sich unendlich viele Titel, vor allem aber die Bestseller nur als Pseudosachbuch – nur scheinbar lehrreich, da eigentlich unendlich trivial. Beim Fernsehen ist das freilich noch viel schlimmer, das schliesst auch die kurzen, gesponserten Clips auf den Bildschirmen in den Zügen mit ein. Zatsugaku, wohin man auch schaut. Wer das Gesamtbild sehen möchte, muss sich da durch einen Riesenwust an Informationen kämpfen.
Das ganze ist natürlich definitiv nicht auf Japan beschränkt, sondern gehört zum Informationszeitalter, wo möglichst viele Inhalte möglichst schnell und effektheischend produziert werden müssen. Und zugebenermassen ist ein bisschen “zatsugaku” auch irgendwo das Salz in der Suppe (mein zweites Buch ist schließlich auch voll davon). Manchmal sehe ich jedoch so viel davon um mich herum, dass mir Angst und Bange wird, und Tiere als solche, also nicht die in Massentierhaltung, als “bemitleidenswerte Geschöpfe, da irgendwie komisch/nicht funktional und dergleichen)” zu bezeichnen, finde ich trotzdem irgendwie… falsch.