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Kurden in Japan und die übliche Hetze im Netz: Ein Beispiel

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Auch in Japan muss man reichlich vorsichtig sein, was Informationsquellen im Internet anbelangt. Die Rechten im Netz, netto uyoku (ネット右翼) genannt, schlafen nicht und sind wie in vielen anderen Ländern auch munter damit beschäftigt, Desinformationen zu streuen und die Dinge so zurechtzubiegen, wie es gerade passt.

Aus persönlichem Desinteresse verfolge ich die Lage auf TikTok nicht, ich habe die App noch nie installiert und werde das wohl auch demnächst nicht tun. Aber auf Twitter, ähem, X, gibt es genügend davon – zum Beispiel “頼むぜエディタ” (wörtlich: Ich bitte dich, Editor), ein Kanal mit fast einer Viertelmillion Subscriber auf X und fast 100’000 Follower auf YouTube und Ableger des “Ich bitte dich, Amerika”-Kanals, der so ziemlich gegen alles hetzt, vor allem aber gegen Linke, Umweltaktivisten, LGBTQ und so weiter. “Tanomuze Editor” funktioniert nach dem gleichen Prinzip. Zwischen ein paar unverfänglichen und/oder drolligen Videos verstecken sich Videos mit sehr fragwürdigem Inhalt und der immer gleichen Botschaft: Ausländer sind schlecht, das ganze Ausland ist verrottet und verdorben, und wenn wir nicht aufpassen, sieht es auch in Japan bald so aus.

So veröffentlichte der Kanal einen kurzen Nachrichtenbeitrag von ANN News, dem Nachrichtenkanal des renommierten Fernsehsenders TV Asahi, in dem es um die Kurden in der Stadt Kawaguchi in der Präfektur Saitama geht. Dort leben schätzungsweise 2’000 Kurden, der Großteil stammt aus der Türkei. In dem Originalbeitrag, dessen Wortlaut im Internetarchiv existiert1, geht es um eine kurdische Organisation vor Ort, die Gelder für die Erdbebenopfer vom Februar 2024 sammelte, doch die türkische Regierung wirft der kurdischen Gemeinschaft vor, dass sich unter ihren Reihen auch Mitglieder der PKK verbergen.

Der Originalbeitrag des Fernsehsenders lässt alle Seiten zu Wort kommen – Vertreter der Stadt, Vertreter der Kurden in Kawaguchi — und einen Vertreter der türkischen Botschaft in Japan. Insgesamt ist der Beitrag über 4 Minuten lang. Der Beitrag auf Twitter jedoch hat den Originalbeitrag auf knapp eine Minute heruntergeschnitten — so wurden alle Wortlaute der Kurden herausgeschnitten — und Kommentare wie “Hier sind also von der Türkei als Terrorunterstützer bezeichnete Personen, und die japanische Regierung macht nichts dagegen?” als Untertitel hinzugefügt. Als Kommentar zum Video steht dann auch noch: “Ist das nicht normalerweise ein Problem internationaler Reichweite? (Meine) türkischen Freunde sind sehr erstaunt”. Das zusammengeschnittene Video macht ganz deutlich den Eindruck, dass die Kurden in Kawaguchi alle potentielle Terroristen sind, die bald auch in Japan Krach machen werden. Und da es sich um Schnipsel eines halbwegs seriösen Nachrichtensenders handelt, wird hier entsprechende Seriosität suggeriert. Und siehe da: Nach wenigen Tagen wurde der Beitrag bereits 100’000 Mal geteilt, 40’000 Mal geliked und fast 6 Millionen mal angesehen — doch danach verschwand dieser Artikel, aber das Internet vergisst bekanntlich nichts.

Nunmehr gelöschter Tweet: Fake News über Kurden in Japan
Nunmehr gelöschter Tweet: Fake News über Kurden in Japan

Zum Glück gibt es aber auch in Japan aufmerksame Beobachter: Dieser Artikel bei factcheckcenter.jp, der Domainname ist Programm, beweist, dass der bei X gepostete Artikel “fake news” ist, und zahlreiche Kommentare unter dem originalen Post warnten auch bereits davor. Mit dem Resultat, dass der Artikel letztendlich verschwand. Das “Fact Check Center” gibt es seit 2022 — dahinter verbirgt sich eine NPO namens “Japan Fact Check Center”, und das japanische Internet hat eine solche Institution bitter nötig.

Doch was ist nun dran an der ganzen Gelegenheit? Nun, ein türkischer Freund, der seit Jahrzehnten (seit der Schulzeit) größtenteils in Japan lebte und mit dem ich vor 25 Jahren zusammen in Japan arbeitete, hatte mir schon vorher von dieser Community in Saitama berichtet — er schätzte sie jedoch noch größer ein. Innerhalb von 15 Jahren kamen laut NHK (staatliche Rundfunkanstalt), welche sich wiederum auf das Justizministerium beruft, rund 9’700 Menschen aus der Türkei nach Japan, um hier Asyl zu beantragen2. Man kann davon ausgehen, dass es sich hier größtenteils um Kurden handelt. Die Zahl derer, deren Ersuchen um (politisches) Asyl tatsächlich stattgegeben wurde, beträgt… 1. Eine von fast 10’000 Personen. Doch für die Stadt Kawaguchi sind die Kurden natürlich ein Problem: Da die meisten Anträge in Bearbeitung sind, sind viele Kurden nur “geduldet”, sie haben damit keinen Zugang zum Arbeitsmarkt und den meisten Sozialleistungen. Das geht nicht ewig gut, weshalb die Stadt bereits auch die Regierung um Hilfe gebeten hat.

Natürlich ist die Lage in Kawaguchi ein Problem, das man nicht einfach ignorieren kann. Und es wäre keine große Überraschung, wenn sich unter den Kurden in Japan PKK-Anhänger befinden. Doch rechte Hetze und falsche Behauptungen sind, wie man es auch dreht, nicht die Lösung — und brandgefährlich. Und die Geschwindigkeit, in der sich solche fake news auch in Japan verbreiten, ist beängstigend. Dabei muss der Betreiber des obigen Accounts noch nicht einmal stramm rechts sein, wie man es bereits an anderen prominenten Fällen im Ausland gesehen hat: Möglicherweise geht es hier einfach nur um Geld, sprich darum, auf Kosten anderer so viel wie möglich Traffic zu erzeugen — Hass klickt gut.

  1. siehe hier
  2. siehe hier
tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

11 Kommentare

  1. Notiz am Rande – “Hass und Hetze” (nirgends – !!! – einwandfrei juristisch definiert!) war eine der Standard-Propagandaphrasen des Honecker-Regimes… Ich waere mit einer solchen Wertung extrem vorsichtig…

    • Hass und Hetze sind mit gesunden Menschenverstand sehr einfach zu erkennen. Es sei denn du gehörst zur Fraktion “also das darf man doch noch sagen dürfen…”.

      • Was man sagen darf und was nicht, war bis vor wenigen Jahren – zumindest im Westen Deutschlands – durch das Strafgesetzbuch nach klaren Regeln definiert. Was nicht strafbar war, war durch Art. 5 GG gedeckt. Punkt!
        Dass das heute anders ist und sich auf DDR-Standards zubewegt, ist leider Tatsache! Man darf ja heutzutage in Buntland einen biologischen Mann nicht mal mehr als Mann bezeichnen, ohne Anzeigen und / oder Beobachtung durch Thomas Haltdenrand zu riskieren…
        P.S.: Den “gesunden Menschenverstand” beanspruchen beide Seiten fuer sich, wobei allerdings eine Seite kaum einen geraden Satz auf Deutsch zustande kriegt… ;-) Und nu’???

  2. Das es so viele Kurden in Kawaguchi gibt, war mir nicht bekannt. Was sind denn genau die Probleme vor Ort? Aus ein paar Artkeln zum
    Thema entnehme ich, dass sich japanische Anwohner gestört durch kurdischen Dreck auf Strassen und in Parks fühlen.
    Am besten man gibt Asylbewerbern zumindest eine temporäre Arbeitserlaubnis. Verstehe nicht, warum man da in Japan so streng ist. Das erzeugt natürlich Frust bei den Betroffenen.

  3. In Deutschland besteht beispielsweise das Problem, dass diese Leute Zugang zu kostenlosen medizinische Versorgung haben während man selber teuer jeden Monat dafür bezahlen muss. Dabei wohnen Sie hier mittlerweile nicht mehr in Flüchtlingsunterkünften sondern in normalen Wohnungen während man selber nur schwierig etwas bezahlbares finden kann. Von Messerattacken, Kindergeld, deutscher Staatsbürgerschaft usw. einmal abgesehen. Da haben die Japaner es noch vergleichsweise angenehm mit den paar wenigen.

    • Wie praktisch, dass Kommentatoren gleich Belege für Hass und Hetze im Netz liefern und damit eine Definition direkt nachreichen.
      Ein globales Problem also.

        • Wenn sich jemand durch einen Spruch, Kommentar oder E-Mail bedroht fühlt oder seine Menschen- oder Persönlichkeitsrechte verletzt sieht und dies vor Gericht glaubhaft darlegen kann, ist dies juristisch ausreichend.
          Umgekehrt müssten Hassverbreitende darlegen können, dass sie sich nicht bewusst waren, dass ihre Worte aufhetzen können oder verletzen. Und daran dürfte es meistens scheitern.

          Es ist m.E. überhaupt nicht schwer, ganz grundsätzlich so zu kommunizieren, dass man sich gegenseitig nicht abschätzig behandelt. Das ist heutzutage aber bei Vielen zu viel verlangt. Sie möchten Andere gern herabwürdigen und verbitten sich, dies krisitisiert zu sehen.
          Dass man Vieles juristisch gesehen sagen DARF, darf kein Maßstab dafür sein, dass man es tatsächlich anwendet.

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