Es hat so seine Vorteile, wenn jemand in der Familie in einer Grosshandelsfirma für Fischereiprodukte arbeitet: Ein Teil des Jahresendbonus wird in Naturalien ausgezahlt: Da kommen mehrere Kilogramm feinster Sachen zusammen, die einer allein nie essen könnte. Dieses Jahr war eine Delikatesse dabei, von der ich vorher auch noch nie gehört habe: 鮭児 Keiji – die Schriftzeichen bedeuten “Lachs” und “Kind”. Lachs wird vor allem auf Hokkaidō gefangen (aber auch viel importiert – aus Russland z.B. oder Chile) und sehr oft in der japanischen Küche verwendet – meist gegrillt, sautiert oder roh.
Aber was ist nun der ominöse Keiji? Und warum kostet ein Kilogramm um die 250 Euro? Vor uns lag ein ca. 40 cm langer Lachs. Sah aus wie ein Lachs, ist ein Lachs. Ein kleiner Lachs, in der Tat. Das Fleisch ist weniger strukturiert als beim üblichen Lachs. Die Hauptgräte ist schnell gelöst – der Teil, den man am besten roh geniesst, ist schnell gefunden, der Rest wird kurz gegrillt. Roher Lachs kann ja sehr zart sein – aber roher Keiji ist kein Vergleich dazu: Mund auf, Sashimi rein, Mund zu. Das Fleisch zerschmilzt regelrecht auf der Zunge. Der Keiji ist unglaublich zart und sehr fettig. Der Lachgeschmack ist eher eine Note von Lachs. Ein Erlebnis.
Das weckt die Neugier und ich versuche, über Google etwas herauszufinden: Der Keiji ist ein noch nicht geschlechtsreifer Lachs. Die werden in Japan und anderswo oft gefangen oder gezüchtet. Jedoch: Im Durchschnitt ist nur einer von ca. 10,000 gefangenen Lachsen ein “Keiji”. Eine Fussnote in der Wikipedia erklärt dazu: “Hat der Fisch um die 220 Darmblindsäcke (幽門垂, lateinisch: Pyloric Ceca), ist er mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Keiji”. Weiter: “Normaler Lachs hat einen Fettgehalt von 2 bis 15%, ein Keiji jedoch 20 bis 30% Fettgehalt”. Zudem haben wohl Forscher festgestellt, dass der Keiji kein ursprünglich japanischer Lachs ist, sondern immer ursprünglich aus dem Amur stammt.
Das wirft natürlich Fragen auf: Wer zählt die Darmblindsäcke bei gefangenen Lachsen? Wer entscheidet dann wie, ob es wirklich ein Keiji ist? Gibt’s da ‘ne Kopfprämie? Und wer hat das eigentlich alles herausgefunden? Ich habe keine Ahnung. Aber ich merke immer wieder, wie viele unbekannte Sachen es in der japanischen Küche gibt.
Bei vielen, sehr teuren Spezialitäten bin ich mir oft nicht sicher, ob ich den wahren Wert verstehe: Foie gras? Kann man essen, muss aber nicht unbedingt sein. Echter Kaviar? Schmeckt zwar, aber würde ich mir eher nicht selber kaufen. Teurer Champagner? Nein, danke. Aber Keiji? Ja, doch, nachvollziehbar. Inwiefern das Entfernen von nicht geschlechtsreifer Lachse aus dem Kreislauf jedoch in Japan in punkto Nachhaltigkeit gehandhabt wird, weiss ich nicht – deshalb kann ich darauf nicht weiter eingehen.
*Wenn ich hier von Lachs rede, meine ich Ketalachs – den pazifischen Lachs.
Das Wort des Tages: 幻 maboroshi. Phantom, Trugbild, Vision. Da der Keiji so selten ist, wird er auch als 幻の鮭 (Phantomlachs) bezeichnet. Hier eine Seite, die Keiji im Internet vertreibt.
スゲぇー
Ich hab jetzt hunger! :)
muss laut deiner beschreibung ein meeresäquivalent zum “kobesteak” sein.
wenn’s so ist – dann ist es wert (im gegensatz zum in japan “beliebten” walfisch!)
Kurz nach Neujahr bekam ich von nem Bekannten um die 250g Ankimo geschenkt. Das ist Leber vom Seeteufel, gesalzen und gewaschen mit Sake, dann zu ner Wurst geformt und gedämpft. Auf den ersten Blick und Bissen ähnlich einer Mettwurst aber mit der Geschmeidigkeit von Foie Gras. Eine Delikatesse die in der Kanto Region als chinmi (珍味) gilt und je nach Qualität sehr hohe Preise erzielen kann, oft aber schon ab 1’000 Yen pro 100g zu haben ist. Leider war es mir unmöglich soviel Ankimo runterzuschlingen, will heissen den Grossteil davon musste ich nach ner Woche im Kühlschrank leider wegmüllen…
Wer Foie Gras mag sollte mal Ankimo probieren. Die Seeteufel werden übrigens nicht gestopft, auch wenn sie so ein Gesicht machen ;-)