BlogUnd weg war der Grabscher

Und weg war der Grabscher

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Als ich heute morgen zur Arbeit fuhr, war die Bahn wie immer vollgequetscht. Man kann sich tagtäglich darüber aufregen, man kann es aber auch als 修行 Shūgyō ansehen – als asketische Übung. Wer weiss, wenn man das ohne Murren übersteht, wird man ja vielleicht irgendwann ein besserer Mensch. Oder man läuft irgendwann Amok. Ich weiss es nicht. Es gibt allerdings auch Zeitgenossen, denen das Fahren in einer vollbesetzten Bahn auf gewisse Art Vergnügen bereitet. Gemeint ist der homo gropus – der Gemeine Grapscher. So weit ich weiss, ist dies ein mehr oder weniger japanisches Phänomen, da man nur hier das ideale Habitat so gehäuft vorfindet: Übervolle Züge, in denen man schon am nächsten Bahnhof nicht mehr weiss, welcher Arm und welches Bein eigentlich das eigene ist, sowie junge Mädchen in Schuluniformen.
Mein Askese-Training dauert ziemlich genau 20 Minuten. Am zweiten Bahnhof ereignete sich das gleiche Schauspiel wie immer: Die Tür geht auf, und die Leute quellen aus dem dampfenden Zuginneren auf den Bahnsteig. Darunter eine Oberstufenschülerin in grüner Schuluniform. Die heftete sich umgehend an einen jungen Mann und begann, auf ihn mit tränenerstickter Stimme einzureden: “Bleib stehen! Was sollte das! Willst Du jetzt etwa weglaufen?” Sie sprach nicht laut, aber es fiel trotzdem auf. Ein älterer Mann direkt daneben packte daraufhin den Mann am Arm. Und winkte einen Angestellten heran. Der sofort seine Kollegen rief. Und schon hatte sich eine Traube um den Mann gebildet. Sieh an, ein Grapscher! Er protestierte nicht mal großartig sondern wirkte irgendwie benommen. Und auch wenn ich normalerweise so etwas nicht sagen möchte: Hätte man 99 zufällig ausgewählte Männer neben ihn aufgestellt und mich gefragt, wem ich das am ehesten zutrauen würde, hätte ich, und da bin ich mir ziemlich sicher, mit dem Finger auf ihn gezeigt. Er sah genau so aus, wie man sich einen Grapscher vorstellen würde.
Das Eisenpferd liess sich dadurch nicht aufhalten: Die Tür ging zu, und weiter ging es – fahrplanmässig. Der Grapscher wird für eine Weile beschäftigt sein. Und das Schulmädchen wird auch nicht viel vom Tag haben.
Nun hört man ja einiges über das Grapscherproblem: So soll es mitunter Gaunerpärchen geben, bei denen eine Frau im Zug plötzlich Zeter und Mordio schreit und wahllos einen Passagier der Grapscherei bezichtigt. Der männliche Part bietet dann daraufhin ganz uneigennützig an, dass man sich gegen Zahlung einer gewissen Summe weiteren Ärger ersparen kann. Es soll auch vorkommen, dass sich Gruppen von Schulmädchen einen Spass daraus machen und jemanden absichtlich auf die Pelle rücken (vor allem wohl am liebsten alleinfahrenden Ausländern), um das ahnungslose Opfer in die Bredouille zu bringen. Ob da was dran ist? Letzteres weiss ich aus zweiter Hand, aber das wird wohl eher selten vorkommen. Aber bei der Art und Weise, wie die japanische Justiz arbeitet (nahezu jeder, der vor Gericht gestellt wird, wird auch verurteilt), weiss ich nur eins: Wegen Grapscherei möchte ich in diesem Land ganz sicher nicht belangt werden. Schon gar nicht, wenn man gar nichts gemacht hat. Dazu gibt es übrigens sogar einen vergleichsweise anspruchsvollen japanischen Film: それでもボクはやってない – “Ich war es aber wirklich nicht”, bei dem ein Mann zu Unrecht als Grapscher belangt wird.
Dem einen oder anderen mag das vielleicht übertrieben erscheinen, aber aus reiner Vorsichtsmaßnahme passe ich in vollbesetzten Zügen gut darauf auf, dass beide Hände oben sind. Sicher ist sicher.

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

13 Kommentare

  1. > Es soll auch vorkommen, dass sich Gruppen von Schulmädchen >einen Spass daraus machen und jemanden absichtlich auf die >Pelle rücken (vor allem wohl am liebsten alleinfahrenden >Ausländern), um das ahnungslose Opfer in die Bredouille zu >bringen. Ob da was dran ist? Letzteres weiss ich aus erster >Hand, aber das wird wohl eher selten vorkommen.
    w00t? Also schon mal passiert???

        • Da wäre ich vorsichtig.
          Da aussergerichtliche Einigungen in Japan recht häufig vorkommen (grade weil Anklage=schuldig), stelle ich mir das recht lukrativ vor. Und was lukrativ ist, wird in der Regel auch gemacht.

          • Da gibt es nichts wo man vorsichtig sein müsste.
            Das Grabscherproblem ist existent.
            Kriminelle Machenschaften in die andere Richtung auch.
            Dass aber Schulmädchen es auf alleinfahrenden Ausländer abgesehen haben um sie in die Bredouille zu bringen ist wohl eher Wunschgedanke oder absoluter Einzelfall. Bitte nicht den Sinn für die Dimensionen verlieren.

  2. Mir ist sowas ähnliches passiert. Ich hatte keine Ahnung ueber japanische frauen. Ich war nur fuer eine Woche in Tokyo zu besuch. Und im Nachhinei findet man das nicht lustig. Man fuehlt sich schon etwas ausgenutzt und vieleicht sogar vergewaltigt vor.
    Ich hab mir nichts dabei gedacht als ich mich mit einer getroffen habe. Ich dachte japanische mädchen mögen es sexy zu sein. Sie hat mir dann auch so bilder gezeigt von sich. Der rock war viel zu hoch und sie bewegte sich so das man hier da ihre unterwäsche sehen konnte. Ich dachte so wären japanische frauen. und in meiner wohnung wollte sie dann plötzlich sex. Mir ging das alles zu schnell und ich fand das alles zu komisch. Sie hat mirch dann erpresst und gesagt sie will mich wegen sexuelle Belästigung anzeigen wenn ich nicht mit ihr schlafe…
    danach hab ich mich etwas vergewaltigt gefühl als mann. Aber gott seid dank hat sie mich nicht angezeigt. Sie wollte wirklich nur sex mit einem ausländer vermut ich mal. japanaische frauen haben da eine kranke fantasie. Und man ist als mann immer mehr den frauen ausgeliefert heutzutage.

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