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"Sendeunfall" bei Asahi: Vergreift sich der Staat an den Medien?

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Koga mit selbst gemachtem Schild. Photo mit freundlicher Genehmigung von Ryusaku Tanaka
Koga mit selbst gemachtem Schild. Photo mit freundlicher Genehmigung von Ryusaku Tanaka (Blogos.com)

Das, was da am 27. März in der Nachrichtensendung 報道ステーション Hōdō Station auf TV Asahi, einem der grossen Privatsender Japans, live in der Sendung geschah, war schon drehbuchreif: Da schweifte auf einmal der Stammkommentator 古賀茂明 Shigeaki Koga vom Thema ab. Eigentlich ging es um die Lage im Mittleren Osten, doch Koga merkte plötzlich an, dass dies sein letzter Auftrat als Sidekick des Moderators 古舘伊知郎 Ichirō Furutachi sein werde. Die Begründung: Er wäre vom Sender und Furutachi’s Produktionsfirma geschasst worden. Er hätte schon zuvor verbale Prügel vom Kantei, dem japanischen Pedant zum Kanzleramt, bezogen, aber dank der Unterstützung vieler Menschen bis hierher durchgehalten.
Furutachi war sichtlich überrascht, sprang aber sofort in die Diskussion ein und sagte “Aber das stimmt doch so gar nicht. Und ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich, so sich eine Gelegenheit ergibt, wieder mit Ihnen zusammen arbeiten möchte”. Koga entgegnete: “Aber Sie haben doch selbst gesagt, dass es Ihnen leid tut, dass sie nichts dagegen (gemeint ist seine Absetzung) tun konnten. Ich habe das alles aufgenommen … und wenn es sein muss, werde ich das veröffentlichen”, woraufhin Furutachi ebenso mit der Veröffentlichung von “allem” drohte¹.
Koga kommentierte die politische Lage jeden Freitag in der Sendung, und er wusste, wovon er redete – er war einst selbst Amtsträger im Wirtschaftsministerium. Nun ist Asahi und auch die Nachrichtensendung dafür bekannt, nicht besonders angetan von Abe’s Politik zu sein, aber Koga war da wesentlich undiplomatischer und ein Kritiker vor dem Herrn. Als es um Abe’s Entscheidung ging, indirekt den Kampf gegen den Islamischen Staat zu unterstützen, hielt er sogar ein im Stil von “Je suis Charlie” aufgesetztes Schild mit der Inschrift “I am not Abe” in die Kamera.
Am 30. März folgte das Dementi aus der Kanzlei: Man habe keinerlei Einfluss auf den Sender genommen, das sei alles gelogen. Dass die japanische Rechte natürlich genüsslich über den Vorfall herzieht, ist nicht verwunderlich, denn man hat sich schon vor vielen Jahren auf die linksliberale Asahi eingeschossen.
Koga warnte schon vor geraumer Zeit, dass es drei Schritte bis zum Verlust der Pressefreiheit bräuchte²:

  1. Die Regierung unterdrückt mediale Berichterstattung
  2. Medien üben daraufhin Zurückhaltung aus
  3. Autokraten gewinnen die Wahlen aufgrund mangelnder Informationen

Dabei warnte Koga, dass Japan sich bereits mitten in der zweiten Stufe befindet.
Was trieb also Koga dazu, alle Tabus zu brechen und “on air” seinem Frust freien Lauf zu lassen? Ist er paranoid? Oder ist er einer der letzten Rufer in der Wüste? Soll man ihm glauben? Soll man der Regierung glauben? Ist er ein Held oder ein Spinner? Naturgemäss tendiere ich zu ersterem. Denn der Regierung ist alles zuzutrauen – erst recht seit das Gesetz zum Schutz von Geheiminformationen erlassen wurde, um nur ein Beispiel zu nennen. Es wird auf jeden Fall interessant sein, den Werdegang Kogas zu verfolgen.
Eine Anmerkung hätte ich noch: Sucht man nach einem Videomitschnitt der besagten Szene, muss man schon sehr tief graben: Es tauchen tausend Videos auf, aber die meisten sind editiert und schlichtweg Hetze. Es ist schon ein bisschen wie bei “1984”: Man versucht mit allen Mitteln das Geschehene ungeschehen zu machen – als hätte es den Vorfall nie gegeben. Stattdessen findet man nur verzerrte Splitter.

¹ Den genauen Wortlaut gibt es hier (Japanisch): Huffingtonpost.jp: 古舘伊知郎氏、番組降板する古賀茂明氏と口論 報道ステーション(全文) (29. März 2015)
² Asahi Shimbun: Abe critic claims on air he was axed from TV program at behest of management (29. März 2015)

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

6 Kommentare

  1. Ich habe das auch mitverfolgt, aber dann: Wer A sagt, muss auch B sagen. Dann soll er dann halt den Mitschnitt auch veröffentlichen! Sonst kann man in der Tat vieles behaupten…

    • Richtig. Allerdings dürfte er da am wesentlich kürzeren Hebel sitzen: Hätte er wirklich eine heimlich mitgeschnittene Aufnahme, dürften ihn Sender und Produktionsfirma auf Teufel komm raus verklagen – und mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich.

  2. Liegt das an meiner morgendlichen Verwirrtheit oder sind hier Namen vertauscht?
    “Koga merkte plötzlich an, dass dies sein letzter Auftrat als Sidekick des Moderators 古舘伊知郎 Ichirō Furutachi sein werde”
    “Koga war sichtlich überrascht, sprang aber sofort in die Diskussion ein…”
    Koga war von seinem eigenen Statement überrascht?

    • Oh je! Tut mir leid für die morgendliche Verwirrung – die beiden Namen waren wirklich zwei Mal vertauscht. Ausrede dafür: Beide beginnen mit dem gleichen Schriftzeichen :(

  3. Am 05.04. gab es die Geschichte auf der Website der Tagesschau. Ich habe mir ein Lesezeichen angelegt, Ihr Blog gefällt mir wirklich gut.
    Welchen Stand hat Deutschland bei der japanischen Rechten und wie wird die Shoa und deren Aufarbeitung überhaupt in Japan wahrgenommen?

    • Vielen Dank.
      Welchen Stand das heutige Deutschland bei Japans Rechten hat, ist mir nicht hinlänglich bekannt, aber es gibt genügend Fans des alten Deutschlands hier – und mangels Geschichtswissen müssen das noch nicht mal eingefleischte Rechte sein, die von Hitler schwärmen. Traurig aber wahr.
      Die Shoa ist hier natürlich auch bekannt, aber es ist nicht viel mehr als eine Fussnote in den Geschichtsbüchern – der Kulturkreis ist dafür einfach zu verschieden / dass ganze zu weit weg.

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