Kurze Auszeit – und da der Rest arbeiten muss oder zur Schule geht, tingele ich nun also allein herum, aber nur für drei Tage, und “nur” in der Nachbarschaft: Auf der Izu-Halbinsel. Die hatte mich schon bei meinem ersten Besuch, das war immerhin vor 24 Jahren, fasziniert. Hier hat man alles: Meer mit allen möglichen Küstenformen, vom Sandstrand bis hin zu steilen Klippen, Berge – ebenfalls in den verschiedensten Formen, und bis über 1,400 Meter hoch. Eine andere Vegetation als in Tokyo – denn auf Izu ist es im Winter ein paar Grad wärmer. Und Geschichte. Und Meeresgetier bis zum Abwinken.
A propos Meeresgetier. Natürlich haben sich viele Restaurants und Kneipen darauf spezialisiert. Und wie in Japan üblich, experimentiert man gern. So bin ich heute auf etwas gestoßen, wovon ich vorher schon mal etwas gehört hatte, es aber noch nie probieren konnte: うにく uniku. Eine Verballhornung, aus den Wörtern “uni” (Seeigel) und “niku” – “Fleisch”. Wirklich? Ich liebe Seeigel, und ich liebe japanisches Rindfleisch. Aber beides zusammen? Ich war skeptisch, aber natürlich hat die Neugier gesiegt. Ansehnlich sieht es ja aus – ein dünner Streifen fast rohen Rindfleischs, darauf dann auf Sushi-Gunkan-Art eine gehörige Portion Seeigel. Erwartet hatte ich Reis in der Mitte, aber es war geriebener Rettich. Gegessen wird das ganze nach Sushi-Art, mit Soyasauce und Wasabi. Das ganze Gebilde sieht schon fotogen aus, aber es schreit nach Kiefersperre, zumal es schwer sein dürfte, davon einfach mal nur abzubeissen – das gäbe eine Riesensauerei und -sabberei. Den Mund also weit aufgesperrt, und rein damit. Ah, Seeigel. Nee, Rindfleisch. Oh, hier kommt der Rettich. Und schon wieder Seeigel. Den kriegt man aber geschmacklich nicht richtig zu fassen, weil immer wieder der Rettich und das Rind stören. Sicher, ganz schön edel, das Ganze, aber bloß weil man zwei sehr schmackhafte Dinge zusammentut, bedeutet es noch lange nicht, dass die Sache doppelt so schmackhaft wird. Quod erat demonstrandum.
Dennoch ist es diese Probierfreude, die in Japan (aber nicht nur dort) immer wieder neue Sachen hervorbringt und die Qualität der Restaurants auf sehr hohem Niveau hält. Das Schlüsselwort ist dabei fast immer “Umami” – der fünfte Geschmacksnerv, der in der deutschen Küche zum Beispiel kaum angesprochen wird. Bekannte Lebensmittel mit sehr hohem Umamianteil sind zum Beispiel getrocknete Tomaten oder auch Parmesan.
Sowohl Seeigel als auch rohes Rindfleisch haben einen hohen Umamigehalt und müssen deshalb nach dem japanischen Verständnis gut zusammenpassen. Gewissermassen tun sie das auch – das Problem ist nur, wenn man Seeigel wirklich liebt – dann möchte man den Geschmack nicht mit etwas anderem verdecken.
Meiner Erfahrung nach mögen die meisten Deutschen Seeigel nicht. Das liegt aber in sehr vielen Fällen daran, dass der Seeigel extrem schnell an Qualität verliert. Fangfrischer Seeigel ist eine absolute Gaumenfreude, ein bisschen älterer Seeigel einfach grauenvoll. Den Unterschied erkennt man relativ leicht: Wenn der Seeigelrogen noch eine feste Form hat (sieht ein bisschen aus wie eine kleine gelbe oder orangefarbene Zunge), dann ist er sehr frisch. Fängt er an, zu verlaufen, dann ist er nicht mehr frisch. Den frischsten Seeigel hatte ich beim Uni-Matsuri (Seeigelfest) auf Rishiri: Da wurde er quasi noch lebend serviert. Nichts für schwache Nerven.
Ich bin kein großer Fan von Seeigel. Liegt aber daran, dass mein “erstes” Mal Seeigel von minderer Qualität war. Kann bestätigen, nicht frischer Seeigel schmeckt genau so, grauenvoll und noch ein bisschen alter Keller dazu.
Meine Frau gibt sich redliche Mühe mich vom Gegenteil zu überzeugen. Vor einiger Zeit saßen wir einmal wieder in einem Kisoji und als Vorspeise gab es etwas Uni. Der war schon deutlich besser und schmackhafter. Ein großer Fan werde ich trotzdem nicht davon werden.