Viele Japaner waren im vergangenen Jahr verunsichert, als plötzlich die Regale mit dem Reis wie leergefegt waren – die Erklärung der Verantwortlichen war relativ einfach: Gegen Ende des Sommers sind die Lager meistens so gut wie leer, da die Ernte erst ab September eingefahren wird. Doch nun stellt sich heraus, dass es sich hier um ein größeres Problem handelt. Zwar gibt es in den meisten Supermärkten noch Reis, doch die Preise sind nun jenseits von Gut und Böse: Zahlte man im vergangenen Jahr noch rund 2000 Yen (knapp 13 Euro) für 5 Kilogramm Reis, so sind es plötzlich 3800 Yen und mehr: Eine Steigerung von gut 90% also. Der Durchschnittsverbrauch von Reis liegt in Japan bei gut 50 Kilogramm pro Kopf und Jahr – der Preisanstieg bedeutet also, dass man gut 120 Euro mehr pro Jahr allein für Reis ausgeben muss – bei einer vierköpfigen Familie kommt da eine erkleckliche Summe zusammen.
Zu einer 米騒動 – einer “Reisunruhe” – kommt es alle paar Jahrzehnte wieder, meist infolge von Misswirtschaft oder Missernten. Doch diese “Reisunruhe” kommt zur Unzeit, denn nach Jahrzehnten stagnierender Preise (und Löhne), gefolgt von einer plötzlichen Inflation von 3 und mehr Prozent, ist man in Japan ohnehin schon empfindlich, was steigende Preise anbelangt – da ist eine beinahe-Verdoppelung des Preises für das Grundnahrungsmittel Nummer 1 ein schwerer Schlag für Verbraucher – und für das Gastronomiegewerbe.
Die Regierung war und ist hier nur bedingt hilfreich: Hochrangige Vertreter des Landwirtschaftsministeriums erklärten, dass sie sich den plötzlichen Preisanstieg nicht erklären können, denn eigentlich sei genug Reis im vergangenen Jahr produziert worden. Ein bisschen Nachrechnen brachte jedoch eines ans Licht: Anscheinend sind 210’000 Tonnen Reis aus dem Reiskreislauf verschwunden. Einfach so. Wirklich?
Normalerweise verkaufen die Reisbauern ihren Reis in Japan an 農協 – die gern “JA” abgekürzten landwirtschaftlichen Kooperativen, die in ganz Japan existieren. Diese handeln dann die Preise mit Großabnehmern aus und sorgen für die Verteilung. Doch JA beklagt nun, dass immer mehr Reisbauern quasi an JA vorbei direkt an Großabnehmer verkaufen – daran sind aber nur bedingt die Bauern schuld, denn findige Großabnehmer haben ganze Abteilungen von Mitarbeitern allein für den direkten Einkauf geschaffen, und die telefonieren nun herum und bemühen sich, Reis direkt zu beschaffen. Das ist ein Win-Win für beide Seiten – läßt man so doch JA mit ihren Gebühren außen vor. Damit kommen allerdings auch automatisch Spekulanten ins Spiel, die hier ihr Geschäft wittern und beginnen, den Markt leerzukaufen – und den Reis zu bunkern, in der Hoffnung, dass der Preis weiter steigt. Das geschieht nicht nur im großen Stil, denn 転売, das “Weiterverkaufen”, ist für viele Japaner eine lukrative Einnahmequelle. Dementsprechend werden nun Yahoo! Auction und Mercari (Pendants zu Ebay) von Reisangeboten geflutet, wobei der Preis pro Kilogramm bei allen Angeboten bei mehr als 1000 Yen pro Kilogramm zu liegen scheint – zur Erinnerung: Im letzten Jahr waren es noch 400 Yen. Auf Mercari steht eigens ein Hinweis: “Bitte bewahren Sie einen kühlen Kopf, was Reisangebote anbelangt”. Die Plattformen haben aber sicherlich nur ein sehr geringes Interesse daran, den Weiterverkauf zu verhindern, schließlich profitieren sie ja stark davon.
Nahrungsmittelspekulanten und Weiterverkäufer sind jedoch nicht der Grund des Übels – sie verstärken die Misere lediglich. Der eigentliche Grund ist, dass es schlichtweg an der erforderlichen Menge Reis fehlt. Der Reis ist wirklich nicht da. 1970 produzierte man noch über 12 Millionen Tonnen Reis in Japan – im Jahr 2020 waren es mit 7,8 Millionen Tonnen schon 40% weniger, und 2024 waren es nur noch 6,8 Millionen Tonnen. Das klingt erstmal hochdramatisch, doch man muss dazu bedenken, dass der Pro-Kopf-Verbrauch rund um 1970 auch fast doppelt so hoch war. Hinzu kommt die immer weiter schrumpfende Bevölkerung. Japan braucht also in der Tat immer weniger Reis, zum einen aufgrund der demographischen Entwicklung, zum anderen aufgrund sich ändernder Essgewohnheiten. Doch das Landwirtschaftsministerium hat sich wohl ordentlich verrechnet.
Zwar konnte die Reisknappheit im Jahr 2024 während des Herbstes wie angekündigt schnell gelöst werden – doch um es salopp zu formulieren, haben Japaner quasi eine große Menge des für das Jahr 2025 gedachten Reisberges bereits Ende 2024 aufgegessen. Dieser Reis beginnt jetzt schon zu fehlen – und das ruft die Spekulanten auf den Plan. Das problematische ist, dass sich die Situation weder kurz- noch mittelfristig ändern wird. Die Regierung hat zwar beschlossen, Mitte Februar einen Teil der staatlichen Reisreserve auf den Markt zu werfen, doch das hatte keinen großen Einfluss auf den Preis.
Dementsprechend geistern nun schon erste Geschichten durch die Nachrichtensendungen, in denen Verbraucher nun erzählen, wie sie notgedrungen ihre Ernährung umstellen und Pasta statt Reis essen, denn Pasta ist mittlerweile erschwinglicher als Reis. Das Beispiel wird zwar nur bedingt Schule machen – aber klamme Haushalte, vor allem solche mit Kindern – werden in der Tat zwei Mal überlegen, ob sie jedes Mal Reis kaufen – oder doch lieber etwas anderes.
Für dieses Problem sollte man glaub ich auch ein bisschen in die Vergangenheit Japans reisen. In den 70iger Jahren war Gendan eines der Schlagworte, deren Folgen wir heute spüren. Damals gab es scheinbar zu viel Reis, was die Regierung veranlasste, Reisbauern die Anweisung zu geben, entweder Reisfelder in normale Felder umzuwandeln oder was ganz anderes damit zu machen. Dieser Trend hält leider gegenwärtig immer noch an. In unserer Gegend wandeln sich immer mehr Reisfelder zu Parkplätzen. Allein in den letzten Jahren gefühlte 10 %. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Und an JA vorbei zu verkaufen ist ja auch kein neuer Trend.
Da sind ja die 18 Euro, die der Asia-Markt im Norden Berlins für 2kg Koshihikari aus Japan verlangt, gar nicht mal so teuer !