BlogWie YouTube das Vertrauen in die japanische Gastronomie erschüttert

Wie YouTube das Vertrauen in die japanische Gastronomie erschüttert

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Seit einigen Wochen geistert ein neues Wort durch die japanische Medienlandschaft – es lautet 迷惑meiwaku動画dōga und setzt sich aus den Worten für “Belästigung” und “Video” (genauer gesagt: “bewegte Bilder”) zusammen. Dahinter verbergen sich auf YouTube hochgeladene Videos, die Handlungen zeigen, die als “Belästigung” gelten. Das ganze begann vor allem mit Videos, die in Kaiten-Zushi, als Dreh-Sushi-Restaurants entstanden. Dort filmten sich einige Menschen, wie sie sich Sushi vom Band direkt in den Mund stopften, die Fläschchen mit Soyasauce oder Becher anlecken, Sushi vom Band nehmen und wieder zurücklegen und dergleichen. Die Liste ist lang, und die Taten gelten nunmehr als 模倣mohōhan – Nachahmerstraftaten – denn die YouTuber kopieren sich mit diesen Taten zur Zeit gegenseitig.

Am 8. März kam es nun zum ersten Mal zu einer Festnahme — drei junge Männer wurden in Nagoya unter dem Vorwurf der Störung des Betriebsablaufs von der Polizei festgenommen1. Das Interesse der Öffentlichkeit an diesem und Folgefällen ist groß – Japan hat eine sehr ausgeprägte Restaurantkultur, und Japankenner werden bestätigen, dass die Preise in japanischen Restaurants sehr zivil sind. Es gibt zahlreiche Ketten, bei denen die Preise so niedrig sind, dass es beinahe keinen Unterschied macht, ob man selber einkauft und kocht oder essen geht. Diese Restaurants (vor allem sehr beliebte Ketten wie Yoshinoya, Sukiya, Marukame Seimen, Kura-zushi und und und) funktionieren jedoch nach dem Prinzip, das sich alle Besucher mehr oder weniger benehmen. Das betrifft zum Beispiel all die kleinen Beilagen, die an den Tischen zur freien Verfügung stehen – eingelegter Ingwer zum Beispiel, oder diverse Gewürze und Soyasaucen. Wenn man nun jedoch sieht, was einige Möchtegern-YouTuber damit anstellen, vergeht den Betrachtern schnell der Appetit.

Erste Restaurants reagieren auf die Videos mit mehr Kontrollen, mehr Kameras – und manche Sushikette sogar damit, die Fließbänder zu stoppen und nur noch direkt an den Tisch zu liefern. Eine nachhaltigere Variante gegen diese Unsitte ist jedoch wahrscheinlich wirklich nur, einige der YouTuber festzunehmen und vor Gericht zu stellen, sprich, diesen Menschen zu zeigen, dass man sie sehr wohl ausfindig machen und zur Rechenschaft ziehen kann. Die Frage nach dem Motiv scheint da nach bisherigen Informationen erwartungsgemäß sehr profan zu sein – es reicht von Langeweile bis zur Mutprobe oder einfach nur ein unappetitlicher Hang zur Prahlerei.

  1. siehe unter anderem hier
tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

7 Kommentare

  1. Der Tatbestand, der hier zum Tragen kommt, ist 営業妨害 (woertlich “Behinderung der Geschaeftsausuebung”) und ist wesentlich weiter gefasst, als wir das in Deutschland vom Tatbestand der “Geschaeftsschaedigung” kennen, und die Polizei ermittelt bereits. Ich denke mal, die Blagen, die so einen Mist machen, duerfen sich sehr warm anziehen – bei der Anzeige wird die geschaedigte Person naemlich gefragt, ob er eine strenge Bestrafung bei erwiesener Schuld wuenscht, oder ob ein Klaps auf den Stinkepoeter ausreicht. Ich denke nicht, dass sich hier die Geschaedigten milde stimmen lassen. Nicht nur die Reputation, sondern auch die wirtschaftliche Existenz steht auf dem Spiel! Der o.a. Tatbestand ist bewusst weit gefasst, um z.B. Aktionen der Yakuza erfassen zu koennen, die ja auch gewaltfrei sein koennen – schon das Zuparken eines Halteplatzes, den Kunden zum Abholen von Bestellungen nutzen, kann darunter fallen.

    • Vielen Dank auch für diesen sehr hilfreichen Einblick! Dass der Straftatbestand in Japan viel weiter gefasst ist, habe ich schon gehört – mit den Details habe ich mich aber noch nicht beschäftigt. Mein Eindruck war bisher lediglich, dass der Paragraph auch dafür geeignet sein könnte, jemanden mal eben eins auszuwischen…

      • Theoretisch ja, aber die Polizei sieht es absolut nicht gern, wenn sie zum Vorteil des Anzeigenden missbraucht wird… Das kann ganz schnell ungemuetlich werden, weswegen schon beim ersten Besuch der aufnehmende Beamte penibel prueft, ob es sich um boeswillige Geschaeftsschaedigung oder lediglich um Animositaeten handelt, und der Hinweis auf die Folgen einer falschen Anschuldigung kommt mehrfach. Die Pruefung des Sachverhalts erfolgt nicht, um der Polizei Arbeit zu ersparen, sondern auch, um den Anzeigenden vor moeglichem Fehlverhalten und den Folgen zu bewahren. Ich war vor Jahren mal kurz davor, selbst Anzeige zu erstatten und hatte mich dazu ausfuehrlich mit einem mir bekannten Kriminalbeamten unterhalten – letztendlich waere die Beweisfuehrung extrem schwierig gewesen, und man haette mir im Gegenzug auch ans Bein pinkeln koennen – Konsequenz 泣き寝入り・・・。

  2. Hallo,
    ich frage mich bei sowas immer, vom Grund mal abgesehen, wie man so dämlich sein kann, sich bei einer Straftat zu Filmen, und das dann auch noch zu veröffentlichen. Da könnte man doch gleich zur nächsten Polizeistation gehen und sagen was man wo verbrochen hat. Klar man kann seinen You Tube und Google ACC unter Falschem Namen anlegen, und den Upload dann über VPN erledigen, aber ich hege meine Zweifel ob die Herren und Damen so weit denken.
    Allerdings wenn sie nachdenken würden, käme es vermutlich gar nicht erst zu den Vorfällen.

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