Da ich ja nun dank Tagesschau-Podcast allmorgendlich in der U-Bahn neben den neuesten Neuigkeiten fernab Nippons auch den deutschen Wetterbericht sehe und als ursprünglicher Geograph eine gesunde Portion Neugier für Meteorologie und Umweltthemen habe, gibt dieser Winter schon eine Menge her für mich. In Europa wundert man sich über einen aussergewöhnlich warmen Winter. Auch in Amerika wunderte man sich – bis plötzlich die grosse Kälte im Midwest einbrach. Auch in Japan ist dieser Winter reichlich seltsam. Normalerweise ist der Dezember erträglich, der Januar schön aber kühl und der Februar recht garstig – mit viel Kälte und viel Feuchtigkeit.
Dieses Jahr hingegen ist es richtig warm – tagsüber bis 16 Grad und auch nachts selten weniger als 5 Grad. Bedenkt man, dass Tokyo auf dem gleichen Breitengrad wie Tunesien liegt, so ist das immer noch kalt. Aber das hat ja seine guten Gründe (siehe den vielzitierten Vergleich, dass Tokyo im Winter kälter ist als Reykjav?k).
Wie betrachtet man nun diesen Winter in Japan? Wird auch hier Panik gemacht – im Land, das dem Kyoto-Protokoll seinen Namen gab? Geht auch hier die Welt unter? Eher nicht. Das Wetter ist schon immer langfristig und auch kurzfristig schwer vorhersehbar gewesen in diesem auf viele Breitengrade verteilten Land, das mal von den Taifunen aus der Äquatorregion (manchmal sogar von der Westküste der USA bzw. Mexiko) und mal von den kalten Luftmassen des sibirischen Winterhochs dominiert wird. Momentan sieht es ganz danach aus, dass dieser Winter in Tokyo schneefrei bleibt. Eine Seltenheit, doch kein Novum – das letzte Mal wurde hier ein schneefreier Winter vor 47 Jahren beobachtet.
Nun möchte ich an dieser Stelle nicht behaupten, dass wir es nicht mit einer hausgemachten globalen Erwärmung zu tun haben. Die zeichnet sich mittlerweilen so deutlich ab, dass nur noch ganz hartnäckige Öllobbyisten es wagen können, sie zu leugnen. Jedoch nervt es mittlerweilen gewaltig, wie in den Medien die Statistiken interpretiert und missbraucht werden. Kaum fällt irgendwo eine Schneeflocke weniger, heisst es sofort “Rekord seit Beginn der Aufzeichnungen”. Dass auf der Erde zehntausende Orte detaillierte Wetteraufzeichnungen besitzen und zwangsläufig jedes Jahr mal hier, mal dort ein Rekord fällt, ist statistisch gesehen ja wohl eher die Regel. Also, erhöhte Aufmerksamkeit ja, ein blindes Vertrauen in die Statistiken der Medien – nein. Und morgen bitte mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren.
Das Wort des Tages: 暖冬 dantō. Eines der Wörter, das die Diskrepanz zwischen der verblüffenden Effektivität der Schriftzeichen und der Unverständlichkeit der selben Sprache, so nur gesprochen, aufzeigt. Dantō bedeutet “Warmer Winter” – wer Schriftzeichen kennt, weiss sofort, was gemeint ist. Hört man das Wort im Gespräch, muss man wirklich den Zusammenhang kennen, um sich einen Reim daraus zu machen (das gleiche Wort, anders geschrieben, hat nämlich viele Bedeutungen).