BlogSpektakuläres Forschungsergebnis: Englischlehrer in Japan können kein Englisch!

Spektakuläres Forschungsergebnis: Englischlehrer in Japan können kein Englisch!

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Manche Sachen gehen einfach nach hinten los. Und man fragt sich hinterher, was man da eigentlich, unbewussterweise, angerichtet hat. Und wie man aus der Bredouille wieder rauskommt. Ähnliche Gedanken müssen den Mitgliedern des Bildungsausschusses der Präfektur Kyōto vor gut zwei Wochen durch den Kopf gegangen sein. Jemand hatte nämlich die geniale Idee, einfach mal zu testen, wie gut die Englischlehrer an den Mittelschulen in der Präfektur eigentlich Englisch können. Ausgenommen von der Studie waren zwar die Lehrer der Stadt Kyoto selbst, aber das spielt hier nur eine untergeordnete Rolle. Man entschloss sich, die Englischkenntnisse mit dem in Japan so heißgeliebten TOEIC-Test zu messen¹.
Zur Erinnerung: Der TOEIC-Test wurde einst von der japanischen Regierung in Auftrag gegeben, ist nunmehr weltbekannt und vor allem in Japan das Maß aller Dinge. Dieser Test konzentriert sich auf Wirtschaftsenglisch und hat ein gewaltiges Manko: Die Sprechfähigkeiten werden nicht getestet. Und: Die Struktur des Tests erlaubt es, mittels diverser Tricks den Test zu bewältigen, ohne wirklich brauchbare Englischkenntnisse vorweisen zu können. Damit ist der Test natürlich nur mäßig geeignet für das Messen der Sprachfähigkeiten von Mittelstufenlehrern.
Jedoch: Wer halbwegs Englisch beherrscht, kommt zwangsläufig zu einem besseren Ergebnis. Die volle Punktzahl beim TOEIC beträgt 990 Punkte, und da es bei den meisten Fragen 4 Antwortmöglichkeiten gibt, liegt die niedrigste Punktzahl bei circa 280 Punkten. Wer weniger Punkte erreichen möchte, muss schon absichtlich danebentippen.
Nun sollte man eigentlich von Englischlehrern, die 12 bis 14-jährige Kinder unterrichten, eine halbwegs gesunde Punktzahl (score) erwarten können. Dem war jedoch in Kyoto leider nicht so:
– Von 74 getesteten Lehrern erreichten nur 16 (also rund 20%) mehr als 730 Punkte
– 14 Lehrer hatten eine Punktzahl unter 500
– der Durchschnitt lag bei 578 Punkten
Dazu kommen auch noch diverse Fußnoten: So testete man nur Lehrer, die jünger als 50 Jahre alt sind. Und man testete nur die Hälfte der rund 150 Lehrer.
Wenn man bedenkt, dass die Lehrer eigentlich ihr Brot damit verdienen, Englisch zu unterrichten, dann mag man meinen, dass hier lauter Scharlatane am Werk sind. Doch das wäre zu einfach: Hier versagt nämlich – seit Jahrzehnten – das gesamte System. Es wird schlichtweg versäumt, die Lehrer angemessen auszubilden – teacher training ist ein Konzept, das vor allem an öffentlichen Schulen quasi fehlt.
Nicht, dass der Fund wirklich spektakulär wäre. In meiner Stammkaschemme geistert auch ein Mittelschul-Englischlehrer herum. Über 50, mit grauenhaften Englischkenntnissen – und jedes Mal sturzbetrunken. Was aber noch fast schlimmer ist: Ihm fehlen jegliche kulturelle Kenntnisse. Und eine Fremdsprache zu unterrichten, ohne auf die kulturellen Hintergründe einzugehen, ist beinahe noch schlimmer, als eine Fremdsprache zu unterrichten, ohne selbige selbst zu beherrschen. In diesem Punkt ist das japanische Bildungssystem, vor allem beim Englischunterricht, eine riesengroße Baustelle. Aber wie heißt es so schön: Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung.
¹ Siehe Kyoto Shimbun (Online-Version)

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

15 Kommentare

  1. Vielleicht sollte man auch mal all die Amis und Europäer die nach Asien “Englisch unterrichten” gehen auf ihre Englischkenntnisse testen. Als ehemalige Austauschschülerin kannte ich da nämlich einige, die kaum einen grammatikalisch korrekten Satz in Englisch rausbrachten und trotzdem nicht schlecht verdienten als “Lehrer” in Japan, nur weil sie sich irgendwie durch irgendein Bachelorstudium und einen lächerlichen TOEFL-Test durchgeschummelt hatten.

    • Ja, da ist was dran!
      Südkorea hat das auch erkannt – anstatt auf Teufel komm raus (oftmals) unqualifizierte Muttersprachler ins Land zu holen, setzt man dort auf ordentliche Ausbildung der Lehrer.
      Ich denke trotzdem, dass das JET-Programm & Co. vom Prinzip her eine gute Idee ist, aber man muss da mehr auf Qualität achten.

    • Da gibt es leider viele schwarze Schafe.
      Viele beherrschen ihre Muttersprache sogar ganz gut, aber haben KEINE Ahnung, wie man diese vermittelt oder wie man generell mit Schülern umzugehen hat. Was ich da schon alles erlebt habe ……
      Ein Lehrer dachte z.B., dass das Lesen von Harry Potter auf Englisch genug “Unterricht” wäre. Er war nur zu faul, den Unterricht vernünftig vorzubereiten ……
      Viele der Englischlehrer machen den Job ja auch nur, weil sie ohne Japanischkenntnisse nichts anderes bekommen…

  2. Als ich den Artikel meiner Frau gezeigt habe, merkte diese an, dass es ja einen Unterschied mache, ob man Englisch sprechen oder beibringen soll.
    Rein theoretisch hätte man ja auch die Leistung der Unterrichteten testen können.

    • Da muss ich Deiner Frau leider widersprechen. Sicher, bei Akademischen Englisch an der Uni zum Beispiel mag das der Fall sein, aber hier geht es um die erste Berührung von Kindern mit Fremdsprachen, und da können die Englischlehrer noch so viel theoretisches Wissen haben – ein solider Englischunterricht wird das nicht. Das Resultat: Die Schüler können letztendlich kaum Englisch, und, was noch schlimmer ist: Sie verlieren die Lust am Sprachenlernen, und das ist schade.
      Aber davon mal abgesehen: TOEIC testet ja noch nicht mal gesprochenes Englisch. Und wer weniger als 500 Punkte hat, ist auf keinen Fall berechtigt, Kindern Englisch beizubringen, denn dann fehlen ja schon mal grundlegende Vokabeln und Grammatikkenntnisse. Und mit dem “I have a pen. I have an apple”-Englisch bringt man keinen ordentlichen Unterricht zustande.

      • Danke für die Aufklärung.
        Ich hab das heute mit ner guten Kollegin auch schon besprochen. Nach dem Forschungsstand bedarf es in methodologischer und organisatorischer Hinsicht noch eine ganze Menge Verbesserungen.
        Hoffen wir mal, dass das MEXT mal aufwacht.

    • Nicht jeder, der Englisch (oder sonst etwas) kann, kann es auch unterrichten.
      Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand etwas unterrichten kann, das er selbst kaum beherrscht.

  3. Da hat Ali natürlich völlig recht – und das zeigt aber wiederum wie verrückt das System in Japan ist. Anstatt die eigenen Lehrer anständig auszubilden und z.B. während der Ausbildung ein halbes Jahr nach Australien, Neuseeland oder in die USA zu schicken, holt man sich Amateure ins Land, deren einzige Qualifikation ist Muttersprachler zu sein. Und die oft noch nicht mal selbst eine Fremdsprache sprechen.

  4. @kuma: ja, aber das eine seit ja nun mal im Wesentlichen das andere voraus. Ich meine, man kann ja auch schlecht Mathematik unterrichten, ohne dass 1×1 zu kennen. Und der Toeic ist noch nicht mal so schwer, wenn die den Toefl gemacht hätten (wo auch Hoer und sprech Verständnis abgeprueft werden, so wie das eigene formulieren von Texten, dann wäre das Ergebnis sicherlich noch desaströser ausgefallen….

    • @umij: an dem Punkt ist was dran. Bei der Argumentation hab ich völlig außer Acht gelassen, dass ja vor allem das Leseverständnis abgeprüft wurde.

  5. Wobei Wirtschaftsenglisch jetzt auch nicht unbedingt das ist, was ich von Schulbildung erwarte. Da wäre Alltagsenglisch besser aufgehoben.
    Aber wahrscheinlich bin ich da noch immer zu altertümlich, im Humboldschen Bildungsideal verfangen statt im aktuellen “auf Wirtschaftsgebrauch ausbilden” Dogma ;)

  6. Ich meine, in Japan sprechen ja oft nicht einmal die Diplomaten (!) richtig Englisch. Dass denen das auf internationalem Parkett nicht peinlich ist… Viele denken offenbar, dass Fehler egal sind, solange man den Sinn versteht, aber erstens machen Fehler einen schlechten Eindruck und zweitens kommt halt meist eben nicht einmal der Sinn rüber.
    Einmal bekam ich im Büro (wo neben mir auch andere Frauen arbeiten) eine Massenmail mit der Anschrift “Dir Sir”. Kein Witz.

  7. Ich bin überhaupt nicht überrascht.
    Das ist ja schon lange bekannt.
    Am Anfang hab ich mich noch gewundert, wieso all meine Schüler so eine schlechte Aussprache hatten, aber das wurde mir sehr schnell klar.
    Die Englischlehrer in Japan müssen im Zuge ihrers Studiums ja nicht mal für ein paar Semester ins englischsprachige Ausland.
    Ihre Aussprache ist grauenhaft und dieses Grauen geben sie genau so an ihre Schützlinge weiter. Press repeat.
    Naja, deswegen hatten Leute wie ich ja auch einen sicheren Job. Man muss es immer positiv sehen.
    Und vielleicht merkt Japan ja auch irgendwann, dass man eine lebendige Sprache wie Englisch nicht genauso vermitteln darf wie Formeln im Mathe-Unterricht. ;)

    • Na ja, aber an vielen Schulen in der ehemaligen DDR war es auch nach der Wende noch so, dass die Englischlehrer grauenhaftes Englisch unterrichtet haben. Ich habe 2007 Abitur gemacht und hatte in zwölf Jahren Schule EINE gute Englischlehrerin. Wie das im Westen aussieht, weiß ich nicht, aber im Anglistikstudium war ein Austauschsemester bei mir jedenfalls keine Pflicht, und ich glaube, für die Lehramtsstudenten auch nicht…

      • Bei uns schon. Ich bin eine ältere Generation. Ich hab 2000 Abi gemacht und wir mussten im Studium ein Auslandssemester machen, wenn wir eine Fremdsprache studiert haben. Allerdings war das im Westen, also vielleicht lag das wirklich daran.

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