BlogSoundtüfteleien in Japan / Taifun #17

Soundtüfteleien in Japan / Taifun #17

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Dieser Beitrag von Bloggerkollege Umij erinnerte mich gestern daran, dass ich mal einen kurzen Artikel über Geräusche in Japan schreiben wollte, und bevor ich es wieder vergesse, fange ich mal lieber gleich an.
Mein erster Eindruck, als ich in Japan landete – das war im April 1996 – war folgender: Mein Gott, hier spricht alles. Sogar die Türen. So geschehen in einem kleinen Shuttle-Zug, der zwischen den Terminals am Flughafen von Narita verkehrt. Eine süsse Stimme säuselte irgendwas, was ich damals noch absolut gar nicht verstand, und die Tür schloß sich mit zufriedenem Schmatzen. Gut, das letzte war von Douglas Adams geklaut.
In Japan arbeitet man, so scheint es, sehr gern mit akustischen Effekten. Sowie mit Stimmen von Band, die immer und überall die Gegend beschallen. Fahrstühle reden. Ampeln reden (manchmal). Rolltreppen reden. Bahnsteige und Züge sowieso. Türen. Getränkeautomaten. Alles quatscht vor sich hin. Parks werden beschallt. Interessant in Japan ist dabei, wieviel Bedeutung man den akustischen Effekten beimisst.
Beispiel Bahnhof: Sehr viele Bahnhöfe in Japan haben eine Erkennungsmelodie. Diese Melodie ist einzigartig für den jeweiligen Bahnhof – und prägt sich natürlich ein, wenn man oft dort aussteigt oder vorbeifährt. Das hat natürlich einen Riesenvorteil: Während man Bahnhofsdurchsagen oft überhört, bohrt sich die Melodie schon eher ins Gedächtnis und vermittelt dem dösenden ode quatschenden Passagier: Hier ist deine Station, steig aus. Bei grösseren Bahnhöfen gibt es dabei oft auch je nach Bahnlinie und/oder Bahnsteig variierende Melodien. So zum Beispiel am Bahnhof Ebisu (Tokyo, Yamanote-Ringlinie):

Erkannt? Genau, das ist die Filmmusik vom “Dritten Mann”. Und da es ein gleichnamiges, und durchaus trinkbares Bier in Japan gibt (welches früher tatsächlich in Ebisu hergestellt wurde), wird nämliche Musik auch bei der Bierwerbung verwendet. Aber das nur am Rande.
Die Tradition der 発車メロディ hassha merodii – “Abfahrtsmelodie” begann 1971 bei einer privaten Bahnlinie (Keihan-Linie), die da zwischen Kyōto und Ōsaka verkehrt. Bei neuen Bahnlinien macht man sich richtig Mühe und lässt teilweise neue Stücke komponieren – an jedem Bahnhof hört man dann ein kleines Stück des Gesamtwerks.
Bleiben wir beim Bahnhof. Züge haben ja in der Regel ein Alarmsignal, das vor allem in japanischen Großstädten oft benutzt werden muss, wenn die Bahnsteige brechend voll sind. Vor ca. 3, 4 Jahren fiel mir dabei besonders ein Zug auf – ein Expresszug, der mit gut 100 km/h direkt am Bahnsteig meines Bahnhofs vorbeidonnert. Bei den üblichen Zugsirenen? Hupen? (wie heißen die eigentlich?) habe ich mich schon oft gewundert, ob sie nicht manchmal eher Schaden anrichten – sie sind so laut und schrill, dass man in der Regel erschrickt, und es würde mich nicht wundern, wenn schon mal jemand vor Schreck auf die Gleise gefallen ist. Bei jenem Zug ist das anders: Die Hupe ist sehr subtil, ein eher leises Heulen, bei dem man weniger erschrickt, aber umgehend das Gefühl bekommt, dass Gefahr im Verzug ist und sich etwas sehr, sehr schnell nähert. Ich bin nicht Experte genug, um das wirklich analysieren zu können, aber ich habe das Gefühl, diese Hupe imitiert den Doppler-Effekt (in diesem Mitschnitt gibt es mehrere Beispiele zu hören – ich meine die Sirene in den ersten 10 Sekunden):

Die Aufnahme wurde bei Abfahrt gemacht – bei Gelegenheit nehme ich das mal auf, wenn ein Zug wirklich vorbeirauscht.
Überhaupt Bahnhöfe: Bei einigen Bahnlinien verwendet man zum Beispiel auch unterschiedliche Sprecher für die Durchsagen vom Band: Beim folgenden Beispiel hört man zwei Durchsagen gleichzeitig: Die weibliche Stimme wird für die eine Richtung (von Tokyo weg) benutzt, die männliche Stimme hingegen für alle Züge Richtung Tokyo. Das ist sehr clever, denn selbst wenn beide Durchsagen gleichzeitig laufen, kann man halbwegs mühelos verstehen (so man Japanisch versteht…), was gerade passiert. Und – so man sich daran gewöhnt hat, ignoriert man einfach die weibliche Stimme (in meinem Fall, kann auch im Alltag nützlich sein :-), da man ja morgens immer Richtung Tokyo fährt:

Zu guter letzt noch ein meiner Meinung nach sehr gelungenes Beispiel für Sounddesign: Das Erdbeben-Frühwarnsignal. Das haben wir ja 2011 zur genüge gehört. Sehr einfach, aber sehr markant. Mit Nebeneffekt: Zahlreiche Japaner haben 2011 eine regelrechte Allergie gegen dieses Geräusch entwickelt – mit akutem Stressausbruch, wenn sie das Geräusch hören. Da die Vervielfältigung verboten ist, hier nur als Link: Offizielles, vom Staatsfunk entwickeltes Erdbebenfrühwarnsignal.

Für den Fall, dass der eine oder andere Leser in Japan ist und noch nichts darüber gehört hat: Ein aussergewöhnlich kräfiger Taifun, Nr. 17, zieht momentan quer über Japan. Momentan ist der Taifun kurz vor Okinawa – am Sonntag wird er tagsüber mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit über die Kansai-Region ziehen und in der Nacht zwischen Sonntag und Montag über den Großraum Tokyo. Mit 925 hPa im Zentrum gehört er zu den großen, und behält der den Kurs bei, wird am Sonntag in Zentraljapan verkehrstechnisch nicht mehr viel laufen. Den neuesten Stand kann man hier erfahren.

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

3 Kommentare

  1. Toller Beitrag. Ich habe mir in Tokyo auch immer sehr viele Gedanken zu den Umgebungsgeräuschen gemacht. Für mich habe ich Tokyo auch immer “Stadt der Geräusche” genannt. Ganz anderst als in Europa. Sehr inspirierend, da ich gerne solche Umgebungsgeräusche aufnehme/sammle.
    Ich bin auch überrascht das so ein grosses Konzept dahinter steckt, mir kamen die Melodien oft willkürlich vor. Bei meinem Bahnhof habe ich dann auch manchmal 2 Durchsagen aus Frauenstimmen die fast zeitglich quatschten… ich habe dann gar nichts mehr verstanden.
    Ich hoffe ihr kommt einigermassen unbeschadet davon mit dem Taifun. がんばって!

  2. Einer der riesigen Unterschiede zwischen Tokyo und Seoul ist die “fehlende” Geräuschkulisse in Seoul. Es blinkt und funkelt alles in Neonfarben wie in Japan, aber ganz so viel Lärm wird nicht auf einen abgeladen.
    Problem: Plötzlich fängt man an, das Geplärre zu vermissen. Vor allem das “piiep-paap” der Ampeln :(

  3. Taifun is durch, war nur etwas laut in der Nacht.
    UND ich HASSE das Erdbebenvorhersagegeraeusch
    Als ich gestern (leider) draufgeklickt habe, gabs auch bei mir einen Schweissausbruch. Und mein Mann kam gleich angerannt…

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