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Ran ans Eingemachte? Regierung streckt die Hände nach Konten aus

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Ätsch, ich hab ja 'n Tom & Jerry-Konto! Half nichts – war trotzdem immer leer

Gestern kam aus der Politik der Vorschlag, man könnte doch etwas mit den zahlreichen 休眠口座 kyūmin kōza – schlummernden Konten im Land machen. Definition eines “schlummernden Kontos”: Ein Konto, das mindestens 10 Jahre lang nicht mehr angefasst wurde. Die Idee als solche ist sicherlich nicht dumm: Schlummernde Konten sind in der Regel Konten mit sehr, sehr kleinen Beträgen drauf, die sich allerdings im Laufe zahlreicher Jahre zu einer erklecklichen Summe aufgebaut haben: Angeblich beträgt die Gesamtsumme der Einlagen auf schlummernden Konten 880億円 – das sind 88 Milliarden Yen beziehungsweise beim laufenden Wechselkurs gute 850 Millionen Euro. Fast eine Milliarde also. Oder anders gesagt, gute 7 Euro pro Japaner. Politiker schlugen vor, dieses Geld quasi einzuziehen und als Starthilfe für kleine Unternehmen (man denkt dabei vor allem an das Katastrophengebiet) und als Spenden für NPO zu benutzen. Bei letzterem Gedanken wird mir etwas bange, da die Definition von NPO sehr, sehr großzügig ausgelegt wird.
Der gewöhnliche Nicht-Japaner sollte bei diesen Fakten eigentlich stutzig werden: Wie kommt es überhaupt zu so vielen schlummernden Konten? Die Antwort liegt in der Art und Weise, wie Banken in Japan funktionieren:
• Konten kosten in der Regel keine Kontoführungsgebühren
• Der Zinssatz liegt quasi bei Null bzw. nur knapp darüber
(Beispiel Postbank: Bei einer 3-jährigen Festanlage liegt der Zinssatz bei 0.08%)
• Geldkarten (nicht Kreditkarten) haben in der Regel keine Verfallszeit
Zudem ist ein Konto relativ schnell eingerichtet – das gilt freilich nicht für Ausländer, so sie nicht über die erforderlichen Sachen wie Namensstempel usw. verfügen. Einmal eingerichtet, hört man in der Regel nichts von der Bank. Keine Post, keine Aufforderungen – man kann das Konto in der Tat vergessen.
Meine Frau zum Beispiel hatte seit langer Zeit 3 verschiedene Konten. Wir wissen zwar nicht so richtig, warum, aber schaden konnte es ja nicht. Ein Konto war das am häufigsten gebrauchte Konto, eins ein Sparkonto und das dritte, nun ja, keine Ahnung. Ich habe mittlerweilen auch drei Konten – eines hatte ich zu meiner Studentenzeit angelegt, aber das Konto war bei der Bank von Yokohama, doch jetzt lebe ich in Chiba. Ich könnte zwar das Konto wieder benutzen, aber sobald es Änderungen gäbe, müsste ich extra in eine andere Präfektur (Kanagawa) fahren. Die vielen Konten haben natürlich den Vorteil, dass unsere beiden Kinder quasi ihr eigenes Konto haben, auf denen wir mit ihrer Geburt damit begonnen haben, die später anfallenden, horrenden Schul- und Studiengebühren einzuzahlen. Sollten wir vorher nach Deutschland ziehen, können die Einlagen sicherlich auch nicht schaden.
Bezüglich des Vorschlags gab es freilich sofort Proteste des Bankenverbandes: Sicherlich, die Verwaltung so vieler schlummender Konten koste Geld und die vielen Konten schaden eher als das sie nützen, aber allein der Verwaltungsaufwand, um diese Konten freizugeben, wäre viel zu hoch. Schliesslich gehört das Geld auch den Kontobesitzern, und die kann man nicht so einfach enteignen. Womit sie freilich recht haben. Und da liegt auch der Hase im Pfeffer. Sicher, 880 Millionen sind viel Geld. Allerdings sind diese Millionen auf zig Millionen Konten verteilt. Sollte der Verwaltungsaufwand zur Freigabe eines Kontos auch nur 50 Yen kosten (so viel kostet eine Postkarte), kommt man schon auf hunderte Millionen bis Milliarden Yen.
Aus dem Vorschlag wird so wahrscheinlich eher nichts. Andererseits ist es auch keine schlechte Idee, die Bevölkerung zu sensibilisieren: Löst unbenutzte Konten auf, spendet das Geld! Warum nicht. Ich wäre dabei. So ich mal wieder in Yokohama bin. Bin selber neugierig, wie viel sich auf meinem Konto nach ca. 14 Jahren befindet. Aber wie ich mich zu Studentenzeiten kenne, habe ich das Konto wahrscheinlich… nennen wir es mal optimal genutzt.

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

3 Kommentare

  1. Kenn ich hatte so ein Konto in Deutschland und nach den Jahren wo ich nach sah war da nicht viel mehr drauf als das es zur aufloessen reichte :-) PS: Ich hab zwei Konten beides wegen der Firma die ihre Bank Kosten druecken wollte… aber was macht man nicht alles fuer die Firma!

  2. Ich habe mal zur Konfirmation (1975) von einer Bank einen Gutschein von 5,00 DM geschenkt bekommen. Das Konto habe ich dann genutzt und als ich das Bundesland verlassen wollte, sollte die Auflösung des Kontos 5,00 DM kosten. Habe ich mir dann geschenkt, was da wohl heute an Zinsen drauf ist?

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