Was mich gelegentlich verwirrt, ist der Unterschied zwischen Raben (auf Englisch: “raven”) und Krähen (auf Englisch “crow”). Liest man sich nämlich die Beschreibungen durch, möchte man schnell meinen, dass man es in den japanischen Städten mit Raben zu tun hat, aber dem ist offensichtlich nicht so: Es handelt sich wohl fast immer um Krähen, genauer gesagt um die Art Corvus macrorhynchos, die im Deutschen oft als “Dschungelkrähe” bezeichnet wird und in ganz Ost- und Südostasien, vom Himalaya bis zu den Aleuten, verbreitet ist. Was mich etwas verblüffte, war die Tatsache, dass Raben und Krähen eine Familie der Unterordnung der Singvögel sind – bei der Bezeichnung ging es da sicherlich nicht um die Sangeskünste. Aber wie komme ich darauf?
Nun, am vergangenen Sonntag schlenderte ich nichtsahnend zum Parkautomaten eines öffentlichen Parkplatzes neben der Chinatown von Yokohama, als ich mich irgendwie beobachtet fühlte. Auf die Schnelle konnte ich aber niemanden in der unmittelbaren Nähe sehen, aber das Gefühl war dennoch da. Also drehte ich mich noch einmal um, und schaute dieses Mal auch nach oben. Und siehe da: Keine zwei Meter entfernt von mir saß eine der typischen, riesigen japanischen Krähen auf einem Schild und schaute mir hochinteressiert zu. Das war etwas unheimlich, zumal ich gerade auf N***IX Neil Gaiman’s “Sandman” schaue – der Protagonist ist da nämlich mit einer sehr smarten und sprechenden Krähe unterwegs. Beim zweiten Blick fiel mir nun etwas Silbriges am Flügel auf: Offensichtlich wurde der Krähe der Flügel geklammert. Aha. Sicherlich hat jemand die verletzte Krähe gefunden, sie eingesammelt und zum Tierarzt gebracht – und da Krähen äußerst clever sind (allein die Techniken, die sie in japanischen Großstädten entwickelt haben, um an den Müll zu kommen – inklusive Teamwork – sind sehr beeindruckend) – wusste dieses Exemplar nun offensichtlich, dass es auch gute Menschen gibt.
A propos: Das chinesische Schriftzeichen für “Krähe” ist ein wunderschönes Beispiel für die oftmals verblüffende Logik von Schriftzeichen. Das Schriftzeichen für “Vogel” ist die symbolisierte Form eines Petroglyphen, der einen Vogel darstellte – mit der Haube, dem Kopf, Beinen und Flügeln (die vier Striche unten markieren die Füße und Flügelspitzen. Der rot markierte Bereich kennzeichnet die Augenpartie.
Nimmt man nun das Schriftzeichen für “karasu” (Krähe), dann fehlt dieser Strich einfach – man könnte also meinen, dass Krähen mit einem Strich weniger geschrieben werden, da sie meist pechschwarz sind und die Augen somit nur schwer erkennbar sind. Das klingt schlüssig und wunderschön – allerdings zweifeln nicht wenige Sprachwissenschaftler an dieser nur allzu gut klingenden Theorie.
Beide Zeichen entstanden wohl während der 隷変 genannten Zeit der Formung chinesischer Schriftzeichen: Bis zum 1~2 Jahrhundert unserer Zeitrechnung wurden die sehr viel schwierigen 篆書体 benutzt – diese Zeichen waren in der Tat noch regelrechte Malereien und ähnelten in dem Sinne etwas den Hieroglyphen. Dann begann man jedoch im damaligen Han-Reich, die Schriftzeichen zu abstrahieren und zu standardisieren – es entstand die 隷書体-Schrift, die man mit heutigen Schriftzeichenkenntnissen auch heute noch fast vollständig lesen kann.
Einige Sprachwissenschaftler gehen nun davon aus, dass die Tenshotai-Zeichen für “Vogel” und “Krähe” ganz unterschiedlich aussahen – die Nähe der heutigen Schriftzeichen seien daher eher Zufall. Ich verbleibe aber dennoch bei der ersten Theorie, denn wer glaubt schon an Zufälle…
Nun ja, Raben und Krähen gehören beide zur Gattung Corvus und sind somit erst einmal gleich. Allgemein wird immer gesagt, dass die kleineren als Krähen und die größeren als Raben bezeichnet werden. Ich weiß ja nicht, wie groß die Tierchen bei euch sind, aber hier in Matsumoto -hier leben angeblich die größten Exemplare Japans…- wurde ich definitiv nicht von Krähe sprechen. Und die Rabenburg in Matsumoto in Krähenburg umzutaufen wohl auch etwas seltsam….