Genauso wenig wie es postnatale Abtreibungen gibt, sollte es eigentlich auch keine postmortalen Scheidungen geben, möchte man jedenfalls meinen, aber in Japan gibt es tatsächlich eine Prozedur, die dem relativ nahe kommt, und sie hat durchaus einen ernsthaften Hintergrund. Und hinter all dem steckt, wie immer in familiären Fragen, das altertümliche japanische Familienregister, 戸籍 genannt.
Nun wird die folgende Prozedur gern wirklich 死後離婚, also wortwörtlich “postmortale Scheidung” genannt, doch der korrekte Name lautet 姻族関係終了届 – wörtlich “Erklärung der Beendigung der familiären Bindung”. Dieses Vorgehen seitens der Antragssteller – meistens handelt es sich dabei um Antragsstellerinnen – hat nicht etwa zum Zweck, sich posthum vom ungeliebten Ehepartner loszusagen, sondern sich von den Schwiegereltern nebst Nachkommen zu lösen. Denn es passiert durchaus häufig, dass ein Ehepartner verstirbt — doch die greisen Eltern leben noch und erwarten nun, von der Schwiegertochter oder dem Schwiegersohn gepflegt zu werden. Das ist – verständlicherweise – eine Belastung, die nicht alle aufnehmen können oder wollen, es sei denn, zwischen beiden Parteien hat sich in den letzten Jahrzehnten wirklich eine hervorragende Beziehung herausgebildet.
An der Stelle sollte erwähnt werden, dass vor allem japanische Frauen sich vor den Schwiegereltern des Geliebten fürchten wie der Teufel vor dem Weihwasser. Das mag sich oft genug als unberechtigt herausstellen. Dafür gibt es eigens das Gleichnis
– “Braut und Schwiegermutter sind wie Hund und Affe”. Zur Anmerkung: In Japan sind es nicht Hund’ und Katz’, die als Beispiel für Unverträglichkeit herhalten müssen, sondern Hund und Affe. Eine zweite Anmerkung zum chinesischen Schriftzeichen für “Schwiegermutter”: Dieses Zeichen (姑) setzt sich aus den Bestandteilen 女 (“Frau”) und 古 (“alt”) zusammen — schon sprachlich erscheint die Schwiegermutter also in einem schlechten Licht.
Scheidungen aufgrund der Schwiegereltern des Gatten sind keine Seltenheit in Japan (wo ohnehin im Schnitt jede dritte Ehe irgendwann in die Brüche geht) – entweder ist der Gemahl schuld, weil er für immer Mutters Liebster bleibt, oder die Schwiegereltern selbst, die die neue familiäre Bindung hemmungslos ausnutzen – auch das ist keine Seltenheit.
Mit der “Erklärung der Beendigung der familiären Bindung” können sich Ehepartner nach dem Tod des Ehepartners von der Familie des Verstorbenen loslösen und sich so jeglicher moralischer oder gesetzlicher Verpflichtung entziehen. In einem Land, in dem familiäre Bindungen einen sehr hohen Stellenwert haben, ist das ein drastischer Schritt, doch alljährlich machen etliche Tausend Japaner davon Gebrauch. Die “Blutsverbindung” wird damit gekappt — der Name bleibt aber der gleiche, doch selbst den kann man sich mit einer anderen Prozedur postmortal “zurückholen”. Die Kinder hingegen verbleiben im Familienregister.
“Schwiegereltern des Gatten” wären die eigenen Eltern. Gemeint sind wahrscheinlich die Eltern des Gatten, die man “entheiraten” kann, wenn es denn sein muß.
Wie wirkt sich so etwas auf die Erbrechte des loslösenden Familienmitglieds aus?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass damit alle Ansprüche erlöschen (es sei denn, der der die Losgelöste wird ausdrücklich im “isho”, dem Testament, bedacht.
Ich wundere mich über den Ausdruck “Blutsverbindung”.
Das Erbrecht scheint dem Deutschen ähnlich zu sein.
Da die Scheidung von der Schwiegerfamile nach dem Tod des Partnes vollzogen wird, müsste doch der Überlebende den Verstorbenen beerben können.
Nee, der oder die Überlebende erbt natürlich vom Partner. Ich bezog die Frage auf die Erbschaft, was die Eltern des oder der Verstorbenen anbelangt.