Manche Menschen haben wirklich Nerven aus Stahl. Das muss man auf jedem Fall dem Hyogo-Präfekturgouverneur Saitō lassen. Gegen den mit 46 Jahren erstaunlich jungen Saitō Motohiko wurden seit Wochen zahlreiche, mitunter wahrhaft absurd klingende Vorwürfe laut, die heute darin gipfelten, dass alle 86 Abgeordneten des Präfekturparlaments heute geschlossen seinen Rücktritt forderten. Saitōs Antwort kam prompt: Er möchte, dass ihm auch in Zukunft die Amtsgeschäfte anvertraut werden.
Geschieht bis zum 19. September nichts Weiteres, kommt es am 19. September zum Misstrauensvotum im Präfekturparlament. Wenn mindestens drei Viertel der Abgeordneten ihr Misstrauen aussprechen — und danach sieht es wohl ganz aus — steht der Gouverneur vor der Wahl, entweder das Amt wie gefordert aufzugeben, oder das Parlament aufzulösen, was baldige Neuwahlen zur Folge hätte.
Der smarte Todai-Absolvent begann seine Amtsperiode im Jahr 2021 eigentlich verheißungsvoll – er war sowohl bei vielen Präfekturbewohnern als auch bei der Wirtschaft beliebt. Doch seit Ende des vergangenen Jahres zogen erste Schatten auf. So trieb Saitos Entscheidung, Gelder für eine große Parade zu Ehren eines Baseballteams auf zwielichtige Wege zusammenzukratzen – eine Weisung, die einen Verantwortlichen in eine Depression trieb, die schliesslich mit Selbstmord endete. Anfang dieses Jahres zirkulierten zahlreiche Gerüchte über den Gouverneur, was die Verwaltung dazu veranlasste, eine Untersuchung einzuleiten. Mittels Fragebogen wollte man von Angestellten der Verwaltung wissen, ob und wenn ja was sie von den Vorwürfen wissen. Ein Angestellter “leakte” die Dokumente an Teile der Medien und der Präfekturverwaltung, doch obwohl dies anonym geschah, fand man schnell heraus, wer der Maulwurf war. Der Arbeitscomputer wurde konfisziert, der Angestellte vorerst drei Monate suspendiert. Saito liess verlauten, dass jemand, der während der Arbeitszeit solche Lügengeschichten verfasst, das Recht auf eine Angestelltenposition verwirkt hat. Kurz darauf verstarb der Maulwurf plötzlich – Details wurden nicht bekannt – und hinterliess eine Abschiedsnachricht, dass er mit seinem Tod gegen den Gouverneur zu protestieren gedenke.
Sollten die ganzen Vorwürfe, oder auch nur ein Teil davon, stimmen, handelt es sich bei Saito um einen raffgierigen Narzissten, der seine Angestellten gängelt und drangsaliert, Stichwort パワハラ, japanisches Neusprech für power harrassment. Zu den Aufgaben von Präfekturgoverneuren gehört, durch die Präfektur zu tingeln, um hier und dort mit den Menschen und Vertretern von Wirtschaft, Verwaltung und anderen Institutionen zu sprechen. Besonders gern besuchte er wohl die Krabbenfischer von Toyooka im Norden der Präfektur – die Krabben, die dort der Delegation als Geschenk überreicht wurden, nahm der Gouverneur wohl alle selbst mit nach Hause, und nach mehrmaligen Besuchen richteten sich die Krabbenfischer mit einem Bittschreiben an die Verwaltung, dass der Gouverneur doch bitte von weiteren Besuchen absehen möge. Zahlreichen Berichten zufolge wählt der Gouverneur wohl seine Besuchsorte danach aus, was er dort kostenlos bekommen kann. Ist keine Presse anwesend, wird er wütend. Muss er ein paar hundert Meter laufen, wird er wütend – und entlädt seinen Zorn auf die Angestellten. Zahlreiche Angestellte bescheinigten Saito despotisches Verhalten, und beim zweiten Todesfall wurde ver Vorwurf des 公益通報つぶし laut — des “Unschädlichmachen eines Whistleblowers”. Seit 2004 gibt es auch in Japan ein Gesetz, das Whistleblowern Schutz bieten soll1, was dem Gouverneur jedoch scheinbar egal war.
Ehemaligen Kollegen sowie Journalisten zufolge2 war Saitō früher völlig anders: Nach der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe von 2011 wurde er mit anderen Kollegen in die Präfektur Miyagi versetzt, um dort beim Wiederaufbau mitzuhelfen. Er galt als integer und beliebt. Mit drei weiteren Mistreitern aus der Präfektur Hyogo schien er jedoch besonders gut zu können — die vier Männer trafen sich sehr oft und erhielten bald den Spitznamen 牛タン倶楽部 (“Rinderzungen-Klub” — gegrillte Rinderzunge ist eine Delikatesse in Japan). Nach seinem Wahlerfolg im Jahr 2021 verhalf Saito seinen Kumpels aus der Miyagi-Zeit zu Spitzenpositionen in Hyogo, so unter anderem ist der Vizegouverneur einer von ihnen. Gerüchten zufolge machen die vier Männer wohl seitdem so ziemlich alles unter sich aus.
Ein solcher Showdown ist auf Präfekturebene eigentlich ungewöhnlich, doch Saitō ist parteilos — will heissen, kein Parteigenosse kann ihm ins Wort reden, maßregeln oder zur Räson bringen. Damit wird die Tragödie wohl in die nächste Runde gehen. Am Ende wird Saitō der Verlierer sein, doch so viel steht fest — seine Nerven kann man nur bewundern.
- japanischer Gesetzestext nebst englischer Übersetzung siehe hier
- siehe Artikel hier