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Nur noch jeder sechste der einst reisefreudigen Japaner besitzt einen Reisepass

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Eigentlich waren die Japaner lange Zeit ein sehr reiselustiges Völkchen –– man traf überall auf Japaner, egal ob in Gruppen oder als Individualtouristen. Ob mitten in Armenien, auf einem hohen Berg auf der Sinai-Halbinsel, in einem abgelegen georgischen Dorf, tief in den Bergen von Albanien, auf einem Zugdach irgendwo in Indien oder auf dem Slow Boat in Laos – ich kann mich kaum an einen Ort erinnern, an dem ich nicht Japaner antraf.

Das hat sich jedoch spätestens seit Corona grundlegend geändert. Tere Asa News (TV Asahi News) hat dies nun in diesem Artikel1 in Zahlen ausgedrückt. Demzufolge besitzen nur noch 17% aller Japaner einen gültigen Reisepass – vor Corona waren es noch 23.8%. Noch arger sieht es bei den Auslandsreisen aus: Während 2019 fast genau 20 Millionen Japaner mindestens ein Mal ins Ausland flogen, waren es 2023 nur noch 9.6 Millionen – die Zahlen haben sich also halbiert, ganz im Gegensatz zu den Inbound-Zahlen: Allein in der ersten Hälfte dieses Jahres besuchten fast 18 Millionen Ausländer Japan – ein Allzeithoch. Zum Vergleich: Laut dieser Quelle2 hatten im Dezember 2021 rund 41% der deutschen Staatsbürger einen gültigen Reisepass. Dabei muss jedoch angemerkt werden, dass der Vergleich hinkt, denn zum einen wurden die Zahlen für Deutschland noch während der Pandemie erhoben – sie dürften also unter dem Durchschnitt gelegen haben – zum anderen können deutsche Staatsbürger fast alle europäischen Länder ohne Reisepass besuchen, während Japaner prinzipiell überall einen Reisepass benötigen – egal, wohin die Reise geht.

Das ganze deckt sich auch mit meinen Beobachtungen in den letzten beiden Jahren. Weder im vergangenen Jahr (Frankreich, Luxemburg, Deutschland) noch in diesem Jahr (Irland, UK) habe ich viele Japaner ausserhalb Japans gesehen. In Irland habe ich, vom Flughafen mal abgesehen, innerhalb von 10 Tagen nur ganze drei Japaner gesehen beziehungsweise gehört.

Besonders die Generation Z scheint laut des Artikels kaum Interesse am Ausland zu haben, und das hat zahlreiche Gründe. Einer der Hauptgründe dürfte der schwache Yen und die nicht besonders rosige Wirtschaftslage sein. Auslandsreisen sind für Japaner in der Tat ziemlich teuer geworden. Ein anderer Grund ist die Pandemie und die damit verbundene Unsicherheit, womöglich nicht mehr ins Land gelassen zu werden. Die Zwangspause von 2-3 Jahren während der Pandemie bedeutet, dass viele Japaner die Chance verpasst haben, die fast obligatorische Auslandsreise während oder nach des Universitätsstudiums zu absolvieren. Ein weiterer Grund ist der hohe Preis und der Aufwand: Ein Reisepass kostet 16’000 Yen an Gebühren, das sind fast genau 100 Euro. Weitere Gründe beinhalten die Situation in der VR China, zuvor ein aufgrund der Nähe sehr beliebtes Reiseziel, doch aufgrund verschlechterter Beziehungen benötigen japanische Staatsbürger nun ein Visum für China – und die Tatsache, dass in diesem Jahr zwei japanische Kinder vermutlich infolge von Hassverbrechen willkürlich angegriffen wurden (ein Kind starb bei der Attacke, bei dem anderen Angriff starb eine chinesische Passantin, die zur Hilfe eilte). Die hohe Inflation in den USA ist ein weiterer Grund – für Japaner ist in den USA jetzt fast alles unerhört teuer.

Die jetzige Situation ist das Gegenteil dessen, was in den 1980ern und teilweise auch 1990ern üblich war – damals sind viele Japaner gern auch mal nur für ein Wochenende ins Ausland geflogen – ganz einfach, weil man es sich leisten konnte. Für die Reisebranche ist das natürlich ein schwerer Schlag, und für die Gesellschaft auch: Das Fehlen von Auslandserfahrung macht sich früher oder später bemerkbar, auch im beruflichen Leben. Deshalb werden auch schon erste Stimmen laut, Maßnahmen zu ergreifen: Zum Beispiel, in dem man Jugendlichen den ersten Reisepass kostenlos zur Verfügung stellt.

Die Sache mit dem Reisepass kann ich so auch bestätigen: Während der Pandemie sind auch die Reisepässe meiner Kinder ungültig geworden, da diese ja sowieso nur 5 Jahre gültig sind. Wenn ich also mit Kind und Kegel mal wieder ins Ausland verreisen möchte, muss ich erstmal etwas Zeit und ein paar hundert Euro investieren, um Reisepässe zu erstellen. Von den gestiegenen Flugpreisen nach Europa und dergleichen ganz zu schweigen.

  1. siehe hier
  2. siehe hier
tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

4 Kommentare

  1. Auch ich beobachte diesen Trend. In meinem Bekanntenkreis hat nur eine ältere Frau einen Reisepass und das auch nur weil Sie dieses Jahr nach England geflogen ist. Sie hat auch nur den 5 Jahre gültigen Pass genommen, da sie, nach den hohen Kosten dieser Reise, keine weiteren Auslandsreisen mehr plant.
    Meine Kinder hatten noch nie einen Pass und der meiner Frau ist vor einigen Jahren schon abgelaufen. Meiner ist während der Pandemie auch abgelaufen und aufgrund der mühseligen Beantragung übers Konsulat habe ich ihn auch nicht erneuert.

  2. zu berücksichtigen ist auch, daß durch die Alterung der Gesellschaft die Zahl der noch Reisefreudigen abgenommen hat.
    Ja, die Auslandsreisen sind enorm zurückgegangen, keine jap. Speisekarten mehr in Rothenburg kein “Hondasan konnichi wa” auf der Reeperbahn….
    Und die Wochenendtrips z. B. nach Taiwan, Korea “alles viel billiger, Golf Spielen, Zahnarzt, Frauen usw.” lohnen wohl auch nicht mehr.
    Immerhin, im Januar in Toblach/Südtirol einige Japaner gehört.

  3. Ich wohne in Leipzig und kann beisteuern just heute wieder eine japanische Reisegruppe gesehen zu haben – aber auch alles ältere Personen. Da sah mir keiner unter 50 aus. Keine Kinder, keine Jugendlichen. Reisegruppen sehe ich hier ab und an mal.

  4. Leider verarmt Japan. Steigende Lebenshaltungskosten bei stagnierenden Loehnen wirkt sich auf den Konsum aus. Bei BIP pro Kopf hat Japan -15,2% zum Vorjahr zu verzeichnen. Und keine Besserung in Sicht.

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