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Liberaldemokraten verlieren zum ersten Mal seit 15 Jahren Mehrheit im Unterhaus

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Die Unterhauswahl vom 27. Oktober 2024 ist vorbei und die Stimmen sind gezählt: Das Ergebnis ist etwas überraschend, wenn auch nicht nicht völlig überraschend: Die Hälfte der 465 Unterhaussitze waren neu zu vergeben – vor der Wahl hatten die Liberaldemokraten eine satte Mehrheit im Unterhaus, doch die haben sie nun verloren: Der Regierungspartei und ihrem Juniorpartner, der Komeito, bleiben nur noch 215 Sitze – das sind 18 Sitze weniger als nötig, um beschlussfähig zu sein.

Schaut man sich die Veränderung der Sitzverteilung an, kann man nur von einer Abstrafung sprechen: Beide Regierungsparteien verlieren ein Viertel ihrer Sitze, während die stärkste Oppositionspartei, die Konstitutionell-Demokratische Partei, mehr als 50% dazu gewinnt. Die Demokratische Volkspartei is ebenfalls beachtlich, konnte sie doch die Zahl ihrer Sitze von 7 auf 28 erhöhen.

Vor der Wahl Nach der Wahl 2024 Zuwachs
Regierungsparteien
Liberaldemokraten 256 191 -25.4%
Komeito 32 24 -25.0%
Summe 288 215 -25.3%
Opposition
Konstitutionell-Demokratische Partei 98 148 51.0%
Nippon Isshin 43 38 -11.6%
Kommunistische Partei 10 8 -20.0%
Demokratische Volkspartei 7 28 300.0%
Reiwa-Partei 3 9 200.0%
Sozialdemokratische Partei 1 1 0.0%
Sansei 1 3 200.0%
Unabhängige* 14 15 7.1%
Summe 177 250 41.2%

15 Jahre ist es her, seit die Liberaldemokraten zusammen mit der Komeito das letzte Mal die Mehrheit verloren. Leider kam damals nur zwei Jahre später die Erdbebenkatastrophe nebst Tsunami und GAU in Fukushima dazwischen, nach denen die Liberaldemokraten mal eben der damaligen Regierungspartei die gesamte Schuld in die Schuhe schoben: Obwohl die grundsätzlichen Probleme zu jener Zeit allesamt auf die Jahrzehnte mit den Liberaldemokraten an der Macht zurückgingen, überzeugten diese das Volk vom Gegenteil und kamen wieder an die Macht.

Wie erwartet war bei dieser Wahl unter anderem das Problem der liberaldemokratischen schwarzen Kassen für die Wähler von Bedeutung. Die überführten Abgeordneten mussten, so sie den Mut dazu hatten, teils ohne die Unterstützung der eigenen Partei in den Wahlkampf gehen, weshalb diese als “unabhängig” gelistet wurden (die meisten “Unabhängigen” sind also in Wahrheit nicht Opposition, sondern “gefallene” Liberaldemokraten).

Interessant ist, dass in den 30 Wahlbezirken von Tokyo allein die Konstitutionell-Demokratische Partei die Hälfte der 30 Sitze holen konnte – die LDP lag mit 11 Sitzen deutlich dahinter.

Die Wahlbeteiligung lag dieses Mal bei 53.85% – das ist die drittschlechteste Wahlbeteiligung seit 1945 und deutet möglicherweise darauf hin, dass einige Stammwähler der Liberaldemokraten möglicherweise einfach aus Protest zu Hause geblieben sind.

Ein paar einzelne Überraschungen gab es hier und da. So wurde, wenn auch nur knapp, Hagiuda Koichi im Tokyoter Stadtteil Hachioji wiedergewählt – zwar nur knapp, aber er war nachweislich tief in dem Skandal um die Moon-Sekte UND im Skandal um die schwarzen Kassen verwickelt – eigentlich schon zwei gute Gründe, um ihm das Vertrauen zu entziehen. Doch der in Hachioji gebürtige Politiker scheint in seinem Heimatort sehr starke Wurzeln zu haben.

Wird nun alles besser? Na, aber sicher doch. Zumindest können die Liberaldemokraten nun nicht mehr schalten und walten, wie sie wollen – sie brauchen noch einen Partner, um Entscheidungen im Parlament verabschieden zu können, und dieser Partner wird Forderungen stellen. Wäre die Opposition nicht so zerstritten, hätte sie zudem von jetzt an auch die Macht, die Liberaldemokraten zur Verantwortung zu ziehen, wenn etwas schief läuft – das war bisher zumindest außergerichtlich nicht möglich. Es wird also, ein bisschen zumindest, spannender als vorher.

Protest gegen schwarze Kassen vor der Wahl - hier in Hachioji, Tokyo
Protest gegen schwarze Kassen vor der Wahl – hier in Hachioji, Tokyo
tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

3 Kommentare

  1. Wir werden nochmal einen Ministerpräsidenten erleben, der nicht von der LDP stammt, aber jetzt noch nicht.

    Fürs Erste bin ich nur erleichtert, dass Japan als einziges demokratisches Land dem Populismus-Wahlkampf noch nicht anheim gefallen zu sein scheint.
    Vielleicht gewinnt man in Japan auch keine Wahlen mit Youtube-Videos betitelt “Comedian ZERSTÖRT Komeito”…

  2. “Obwohl die grundsätzlichen Probleme zu jener Zeit allesamt auf die Jahrzehnte mit den Liberaldemokraten an der Macht zurückgingen, überzeugten diese das Volk vom Gegenteil und kamen wieder an die Macht.”
    Sicher, dass du nicht die Situation der Grünen in Deutschland beschreibst? ;)

    Reiwa Shinsengumis Steigerung überrascht mich. Bei dem Namen hatte ich eher an eine Spaßpartei/Splitter-Ideologiepartei gedacht. Als Protestpartei für LDP scheinen sie mir jedenfalls nicht geeignet.

  3. und der Yen ist wieder auf Tauchgang. Ich frage mich, wie lange Japan das noch aushalten kann. Für meine Ferien im nächsten Jahr habe ich zumindest schon mal vorgesorgt.

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