BlogKugeln für Politiker

Kugeln für Politiker

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In letzter Zeit sind laut Polizei und Mr. Hatoyama persönlich vermehrt Drohbriefe eingegangen – einige davon enthielten echte Gewehrmunition. Natürlich ist der Ministerpräsident darob arg empört. Wer Kritik üben wolle, solle es laut sagen, und nicht sowas unanständiges machen.
Als zivilisierter (?) Mensch ist man natürlich gegen Gewalt, Androhung von Gewalt usw. usf. Aber eine Stimme ganz tief in mir drin hegt starke Sympathien für die Briefeschreiber. Was sich momentan rund um den Ministerpräsidenten Hatoyama und den Generalsekretär der regierenden Demokraten, Ozawa, abspielt, ist nicht nur unschön, sondern moralisch sehr verwerflich.
Obama hielt am 28. Jan seine mit Spannung erwartete State of the Union Address. Hatoyama hielt gestern vor dem Parlament seine 施政方針演説 Shisei Hōshin Enzetsu – die „Ansprache über die Verwaltungspolitik“. In der mangelte es nicht nur an irgendwelchen wenigstens ein kleines bischen konkreten Ideen. Stattdessen glänzte er mit halbseidener, fadenscheiniger Rhetorik: Laut einer (zugegebenermassen sehr seichten) Nachrichtensendung benutzte er über 20 Mal das Wort いのち (Inochi = Leben) – gross ankündigend, dass er etwas für die Wirtschaft und die Arbeitslosen tun möchte, denn schliesslich geht es um das Leben der Leute usw. usf.
Unter anderem kam auch der Ruf nach Prinzipien in der Politik (理念なき政治はばらまきになります – in etwa: Ohne Prinzipien geht die Politik vor die Hunde). Das sagt genau der Richtige. Das ist in etwa so, als ob Nachbars Metzger über die Vorzüge veganen Algenbreis schwadroniert (oder der sturzbetrunkene Marokkaner, der mich mal als ungläubigen Hund beschimpfte und angehen wollte, aber das ist eine andere Geschichte).
Statt für das Wohle des Volkes zu arbeiten, ist Herr Ministerpräsident momentan mehr damit beschäftigt, sich und seinen Generalsekretär Ozawa zu verteidigen. Hatoyama hatte bis 2008 von seiner leiblichen Mutter (eine der Bridgestone-Erben) einige Millionen Euro als Spende erhalten – und keine Steuern dafür gezahlt. Angeblich wusste er von all dem nichts. Und so einer regiert momentan das Land: Allein aus Gründen der Scham müsste er zurücktreten – wie erklärt man denn bitte schön einem normalen Bürger, dass man zwar mehrere Millionen Euro von seiner Mutter (!) erhielt, aber nichts davon wusste?
Auch Ozawa, die graue Eminenz im Hintergrund, hat ordentlich Dreck am Stecken – in Form von enormen Spendengeldern von Firmen, überreicht in Bargeld, weggetragen in grossen Tüten und verteilt auf diverse Banken. Natürlich wusste auch Ozawa von nichts – stattdessen wurden ein paar seiner Untertanen verhaftet.
Statt mit der Wirtschaftskrise zu kämpfen, erleben wir in Japan, wie man Korruption auf höchster Ebene mit allen Mitteln zu vertuschen versucht. Ein Trauerspiel (Anmerkung: Ich verfolge, so möglich, auch die deutsche Politik mit – und ich kann es versichern: kein Vergleich! Mit diesem Sumpf kann höchstens noch die NPD mithalten).
An dieser Stelle möchte ich den Report der Eurasia Group (ein Think Tank) über die grössten globalen Gefahren 2010 nicht vorenthalten: Der Reihenfolge nach sehen die grössten Gefahren so aus:
1. US-chinesische Beziehungen
2. Iran
3. Finanzdivergenz in Europa (Stichwort Griechenland)
4. Finanzmarktregulierung in den USA
5. Japan
6. Klimawandel
7. Brasilien
8. Indien-Pakistan
9. Osteuropa – Wahlen & Arbeitslosigkeit
10. Türkei
Klasse! Japan hat es auf Platz 5 geschafft. Der erste Satz der Begründung ist interessant:

What happens when the ruling party loses power in a one-party state? You get a zero-party state.

(Was passiert, wenn die Regierungspartei in einem Ein-Parteien-Land der Macht verlustig wird? Man bekommt einen Null-Parteien-Staat).
Die Aussage hat ihren Grund: Die ganze Bürokratie, die gesamte Regierungsmaschinerie war jahrzehntelang auf eine Partei eingestellt: Die Liberalen. Die sind nun weg vom Fenster – und die jetzt regierenden Demokraten stehen salopp gesagt dumm da.
Für politisch Interessierte: Hier die Originalliste nebst Begründung: Top Risks of 2010. Vorsicht freilich beim Lesen: Dies ist nur einer von zahlreichen Think Tanks.
Das Wort des Tages: 政治とカネ seiji to kane. Politik und Geld. (Geld hier im negativen, anrüchigen Sinne). Diese Floskel geistert momentan massiv durch die Medien des Landes.

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

7 Kommentare

  1. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass in Österreich einfach nur mehr vertuscht wird und wir deshalb nicht mit auf der Liste sind.

    Das mit den Demokraten tut mir echt weh, eine Freundin von mir, die zwei Kinder hat, war ehrlich glücklich über den Machtwechsel und dass nun der Besuch von öffentlichen Schulen gratis sein würde, was ihr eine große Last von den Schultern nimmt.

    Was ist aus der Taktik geworden, dass man einfach nur öffentlich bereuen und Besserung geloben muss, um solche Skandale vergessen zu machen?

  2. Aeh war die LDP besser in solchen Sachen? Eventuel nur im Vertuschen. Die Buerokraten helfen natuerlich beim Dreck schaufeln, wollen sie doch ihre alten „Herren“ zurueck. Was passiert erst sollte Hatoyama wirklich den Buerokratiemoloch entruempeln.

    Bezueglich der B(ananen)RD, denke ich das nur besser vertuscht wird. Schon das mit Althaus gehoert?

  3. Natürlich habe ich von Althaus gehört.
    Und ich denke nicht, dass die LDP in irgnedeiner Form besser war als die Demokraten.
    Traurig ist nur, dass die Demokraten nicht besser sind als die LDP.

  4. So ist das, wenn man immer nur zuschauen und nicht mitspielen durfte. Wer glaubt, ein bürokratisches und korruptes System mal eben mit einer Handbewegung wegzufegen irrt. Macht doch eigentlich Spass, auch bürokratisch und korrupt zu sein.

    Gibt es vielleicht NGOs, die hier mal zeigen, was ein Pranger ist?

  5. By the way: In der letzten Woche war Thema Japan. Viele Dokus und Beiträge, allerdings schon älteren Datums. Aber offensichtlich hat sich in den letzten zehn Jahren nicht viel geändert. Das Leben der Leute interessiert offensichtlich immer noch keinen.

    P.S. Also die Geschichte mit dem sturzbetrunkenen Marokkaner würde mich dann auch interessieren ;-)

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