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Japan reformiert Gefängniswesen – zum ersten Mal seit 118 Jahren!

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Wer sich ausführlicher mit Japan beschäftigt, stößt ziemlich schnell auf eine für viele unerwartete, brutal erscheinende Gegebenheit: Dass japanische Gefängniswesen. Es gilt als besonders strikt, mitunter grausam, definitiv aber als antiquiert, zumindest im Vergleich mit anderen Wirtschaftsnationen. Das ist auch kein Wunder, denn seit 1907 gab es keine wesentlichen Änderungen. Wer sich unter dem japanischen Gefängniswesen nichts vorstellen kann, dem sei die ZDFinfo Doku “Deutsche Straftäter in Japan: Leben zwischen Einsamkeit und Drill” anempfohlen, denn die zeichnet, ganz ohne Sensationsheischerei und Pathos, ein eindringliches Bild der Lage.

Die am 1. Juni 2025 in Kraft getretenen Veränderungen sind für japanische Verhältnisse bahnbrechend: So wurde bisher bei Gefängnisstrafen zwischen 懲役chōeki (Haftstrafe mit Zwangsarbeit) und 禁錮kinko (Haftstrafe, Arbeit auf Freiwilligenbasis) unterschieden. Die Entscheidung darüber, welche Form anzuwenden ist, wurde jeweils vom Richter gefällt – unter anderem floss dabei die Reue der oder des Angeklagten in das Urteil ein. Diese Unterscheidung wurde nun jedoch durch die Gesetzesnovelle abgeschafft – ein Hauptkritikpunkt an dem System war der, dass nicht genügend getan wurde, um Straftäter in die Gesellschaft wiedereinzugliedern. Das System war ganz klar auf koらしめrashime, auf Bestrafung, aus: Mit zweifelhaften Erfolg, denn lait dem Verbrechensweissbuch des Justizministeriums1 von 2023 werden 48% der Straftäter wieder straffällig. Mit anderen Worten: Jeder zweite zu einer Haftstrafe Verurteilte saß früher schon einmal ein. Interessanterweise ist die Rückfallquote jedoch beinahe identisch mit der von Deutschland2.

Das neue System soll den Schwerpunkt mehr auf 立ち直りtachinaori legen, also auf Resozialisierungsmaßnahmen. Zwangsarbeit liess solcherlei Maßnahmen kaum zu, und eine gewisse Starre sorgte auch für Unverhältnismäßigkeit: Ein notorischer Ladendieb wurde nach einer Weile genauso behandelt wie ein Mitglied des organisierten Verbrechens.

Die neue Novelle erlaubt die Kategorisierung der Inhaftierten in 24 verschiedene Gruppen, wobei Alter, Herkunft und individuelle Bedürfnisse eine Rolle spielen. Je nach Einteilung wird dann entschieden, ob Zwangsarbeit geleistet werden muss oder nicht. Eine dieser Gruppen ist eigens für Senioren gedacht, denn Pflegefälle spielen auch in japanischen Gefängnissen eine immer größere Rolle. Eine andere wiederum gilt Drogenabhängigen, mit dem Ziel, diese aus der Abhängigkeit herauszuholen.

Ob die Veränderungen greifen – und ob diese so überhaupt schnell durchführbar sind – wird sich zeigen. Ein plötzliches Umdenken nach 118 Jahren ist sicherlich nicht sehr einfach. Die Resozialisierung dürfte eine besonders große Herausforderung sein: Sicher, da kann Einiges im Gefängnis getan werden. Doch verurteilte Straftäter sind in Japan schwer stigmatisiert: Der Anteil der Gefängnisbevölkerung an der Gesamtbevölkerung ist in Japan mit 33 Insassen auf 100’000 Einwohner außergewöhnlich gering (Deutschland: 68, USA 541, Stand 20253). Hat man erstmal eine 前科zenka, eine Vorstrafe, ist ein normales Leben fast unmöglich. Ausnahmen bilden hier nur Mitglieder des organisierten Verbrechens, denn die haben ihr eigenes soziales Netz für verurteilte Straftäter. Es gibt zwar kein öffentlich einsehbares Register, in dem man nachschlagen kann – doch Zeitungsarchive sowie das WWW machen es dieser Tage einfach, solcherlei Informationen zu finden.

  1. siehe hier, Seite 250)
  2. siehe hier
  3. siehe hier
tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

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