BlogDer ganz normale Rassismus

Der ganz normale Rassismus

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Ach, was wird die japanische Gastfreundschaft doch über den grünen Klee gelobt. Sicher, wenn man an den Kundenservice in Berlin (oder in der Ukraine zum Beispiel) denkt, ist das relativ gesehen sicher gerechtfertigt, doch es gibt auch zahlreiche Gegenbeispiele, die an der Gastfreundschaft stark zweifeln lassen – und viele davon bekommen Kurzzeitbesucher, zum Glück, wahrscheinlich, nicht mit. Da wäre zum Beispiel die Geschichte mit den Supermarkt- und Kaufhauskassen, die mich immer wieder zum Verzweifeln bringt. Das Schema ist immer das Gleiche:

So sieht ein typischer Dialog mit einem japanischen Kunden aus:

Kasse: “Haben Sie eine Punktekarte?”
Kunde: Verneint oder reicht Punktekarte.
Kasse: “Brauchen Sie einen Parkschein”?
Kunde: Antwortet.
Kasse: “Benötigen Sie eine Einkaufstüte?”
Kunde: Antwortet.
Kasse: Das macht dann xyz Yen. Zahlen Sie bitte am Automaten Nummer soundso.

Diesen eingeübten Dialog hört man dann eben so oft, bis man dran ist. Dann bin ich an der Reihe. Und in gefühlten 50% oder mehr der Fälle ändert sich der Dialog – er wird zu einem Monolog, und der lautet so:

Kasse: Das macht dann xyz Yen. Zahlen Sie bitte am Automaten Nummer soundso.

Fertig. Keine Frage nach Rabattkarten, Parkscheinen oder Einkaufstüten. Das ist gelegentlich ziemlich unpraktisch, denn es kommt in der Tat manchmal vor, dass ich einen Parkschein benötige – und vergesse, an der Kasse danach zu fragen. Würde ich daran erinnert, wäre das kein Problem, aber es kam schon mehrfach vor, dass ich zurücklaufen musste, um den Parkschein einzufordern.

Warum geschieht das? Ich habe öfter mit verschiedenen Japanern darüber gesprochen – und die waren sich in allen Fällen gar nicht bewusst, dass a) so etwas passiert und b) das für Ausländer befremdlich wirkt. Der Erklärungsversuch ist dann deshalb auch meistens dieser hier: “Wahrscheinlich kann die Kassenkraft kein Englisch und hat deshalb Angst davor, ein Gespräch anzufangen”. Aha. Immerhin können sie aber in ganz normaler Geschwindigkeit und natürlich auf Japanisch sagen, was es kostet und wo man zahlen soll – das geht offensichtlich.

Würde dies nur in stark von Touristen frequentierten Gegenden passieren, könnte ich es noch verstehen – dort sorgt die Fragerei sicherlich nicht selten für Verwirrung. Doch das geschieht ebenso oft abseits der Touristengebiete, zumal auch das ungeübte Auge relativ leicht erkennen kann, ob jemand nur zur Besuch ist oder dort möglicherweise wohnt. Doch was tun? Manchmal sage ich etwas. Manchmal nicht. Manchmal sage ich es direkt, in einem Kaufhaus hingegen gehe ich danach, nun gut, das habe ich erst einmal gemacht, zum Informationsschalter, um die Angestellten zu bitten, den Angestellten doch bitte mitzuteilen, auch Ausländer in erster Linie als das zu behandeln, was sie sind: Kunden. Mit dem entsprechenden Kundenservice. Aus irgendeinem Grund ist mir das zwar immer ein bisschen peinlich, aber ich tue das nicht für mich, sondern für alle Ausländer, die hier wohnen.

Es gibt aber auch extremere Fälle, bei denen ich höflich, aber sehr deutlich meine Meinung sage: So geschehen einmal bei meinem Mobilfunkbetreiber. Dort kreuzte ich zusammen mit meiner Frau auf, da wir die Geräte wechseln wollten. Das läuft alles unter meinem Namen, und da ich mich besser mit dem Vertrag und den Geräten auskenne, führte ich auch das Gespräch – mit einer sehr jungen Angestellten. Das wurde jedoch schnell sehr komisch, denn ich sprach zu ihr, und sie antwortete jeweils meiner Frau. Sicher, das geschah wahrscheinlich unbewusst, aber letztendlich absolut unhöflich, denn ich spreche und verstehe Japanisch ausgezeichnet.

Doch ist das ganze Rassismus? Im Prinzip ja: Oftmals wird Ausländern in Japan allein aufgrund ihrer Erscheinung schlechterer Kundenservice geboten, Fakt. Das ist im Prinzip Rassismus. Ist das rassistisch gemeint? Nun, im Zweifel für den Angeklagten, also oftmals eher nein (ein anderes Beispiel sind Etablissements, die Ausländern den Zutritt verweigern, mit der Begründung, dass man mangels Sprachkenntnisse nicht den üblichen Service bieten könne). Doch letztendlich geht es nicht darum, was wie gemeint ist, sondern wie es aufgefasst wird, und da gibt es genügend Gründe, dies rassistisch aufzufassen.

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

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