Neulich waren meine Augen wohl etwas müde nach einem langen Arbeitstag im Büro – ich machte gegen Abend den verhängnisvollen Fehler, einen Kunden nicht mit 植木 (Ueki) anzuschreiben, sondern mit 直木 (Naoki) – das Radikal “Baum” auf der linken Seite des ersten Schriftzeichens hatte ich wohl übersehen. Der Fehler ist eigentlich – vor allem beim Beantworten von Emails – vermeidbar, denn man ist gut daran beraten, den Namen nicht einzutippen, sondern mit Copy & Paste einzufügen. Schliesslich gibt es bei Japanischen Namen furchtbar viele Fallen. Viele Kunden beschweren sich auch umgehend über den Faux-pas (wenn ich allerdings einen Yen für jeden Fehler mit meinem Namen bekommen würde, egal ob geschrieben oder gesprochen, wäre ich Millionär).
Ein Grund für die Probleme mit japanischen Familiennamen liegt in der Vielfalt — es gibt geschätzt 290,000 verschiedene Familiennamen, wobei die gebräuchlichsten 7,000 Namen rund 96% der Gesamtbevölkerung ausmachen1.
Ein anderer Quell zahlreicher Verwirrungen liegt in der Vielzahl der Schriftzeichen. Japanische Familiennamen werden prinzipiell mit chinesischen Schriftzeichen geschrieben, und da gibt es diverse Varianten. Nehmen wir zum Beispiel den Namen Saitoh (Saitō):
Alle vier Varianten werden “Saitoh” gelesen – die beiden linken Versionen repräsentieren alte Schriftzeichen, die rechten die entsprechenden neuen Versionen. Dabei haben die beiden verschiedenen Schriftzeichen ursprünglich eine unterschiedliche Bedeutung. Das Problem im Fall “Saitoh” ist dabei natürlich die Schriftgröße: Bei 48pt sind die Unterschiede ziemlich deutlich, doch bei auf Bildschirmen häufigen 12pt sieht die Sache schon schwieriger aus: 齋藤 vs. 齊藤, und 斎藤 vs. 斉藤. Schaut man sich die Häufigkeit der Familiennamen in Japan2 an, so findet man alle vier Schreibweisen ziemlich weit vorne:
Rank | Familienname | Lesung | Anzahl der Träger |
---|---|---|---|
1 | 佐藤 | Satoh | 1,853,000 |
2 | 鈴木 | Suzuki | 1,786,000 |
3 | 高橋 | Takahashi | 1,399,000 |
4 | 田中 | Tanaka | 1,326,000 |
5 | 伊藤 | Itō | 1,065,000 |
6 | 渡辺 | Watanabe | 1,055,000 |
7 | 山本 | Yamamoto | 1,041,000 |
8 | 中村 | Nakamura | 1,037,000 |
9 | 小林 | Kobayashi | 1,021,000 |
10 | 加藤 | Katoh | 882,000 |
11 | 吉田 | Yoshida | 823,000 |
12 | 山田 | Yamada | 808,000 |
13 | 佐々木 | Sasaki | 665,000 |
14 | 山口 | Yamaguchi | 638,000 |
15 | 松本 | Matsumoto | 622,000 |
16 | 井上 | Inoue | 610,000 |
17 | 木村 | Kimura | 571,000 |
18 | 林 | Hayashi | 541,000 |
19 | 斎藤 | Saitoh | 538,000 |
20 | 清水 | Shimizu | 529,000 |
21 | 山崎 | Yamazaki/Yamasaki | 479,000 |
⋮ | |||
41 | 斉藤 | Saitoh | 320,000 |
⋮ | |||
254 | 齋藤 | Saitoh | 86,500 |
⋮ | |||
534 | 齋藤 | Saitoh | 37,000 |
Zum Ursprung der japanischen Familiennamen im Allgemeinen und der Bedeutung der 10 häufigsten Namen im Speziellen gibt es übrigens diesen lesenswerten Artikel auf Japan Digest.
An der Stelle sei auch auf die Nummer 21 in der Liste oben verwiesen: Yamazaki/Yamasaki ist ein sehr gebräuchlicher Name, für den es ebenfalls viele Schreibweisen gibt. Und zwei verschiedene Lesarten. Im Osten Japans wird der Name fast ausschließlich “Yamazaki” gelesen, im Westen Japans hingegen fast ausschließlich “Yamasaki”3. Mit anderen Worten: Selbst wenn man die Schriftzeichen des Familiennamens kennt, weiß man noch lange nicht, wie er ausgesprochen wird. Sicher, es gibt “relativ” klare Fälle – “Satoh” wird fast immer “Satoh” und “Suzuki” fast immer Suzuki gelesen, aber auch nur fast. Auch hier gibt es Ausnahmen.
Die verschiedenen Schreibweisen des Familiennamens “Yamazaki/Yamasaki”
Die Vielzahl der Namen und Schreibweisen sorgt leider auch in der virtuellen Welt für einige Probleme, denn einige der Schriftzeichen existieren in verschiedenen Kodierungen nicht. Das betrifft zwei der oben erwähnten Schriftzeichen für “Yamasaki/Yamazaki”, aber auch den sehr gebräuchlichen Namen “Takahashi”. Die alte Schreibweise wird gern “hashigodaka” genannt (“Leiter-‘Taka'”), weil der mittlere Teil des linken Schriftzeichens an eine Leiter erinnert. Bei der neuen und heute üblicheren Schreibweise (rechts) wird nur ein Rechteck geschrieben. Das alte “Taka” geht bei einigen Dekodierungen dummerweise verloren: Shift JIS und UTF-8 können das Zeichen darstellen, doch JIS – auch heute noch häufig bei Emails in Gebrauch – verwandeln dieses in ein Fragezeichen.
Die zahllosen Familiennamen mit all ihren Variationen sind also selbst für belesene Japaner eine ausgemachte Fallgrube. Dabei machen die Familiennamen nur 50% des Namens aus – bei den Vornamen wird es nämlich ebenso problematisch.
Die Karte gefällt mir :-)
Hast du die erstellt? Wenn ja mit welchem Tool?
Ja, die habe ich erstellt. Und dazu gibt es ein sehr gut gemachtes Tool hier:
https://www.wordclouds.com/
Hi, könnte ich dich was fragen. Die Kanjizeichen hören sich sehr kompliziert an. Wie ist es den für Kinder wenn sie ein Buch lesen wollen das über keine Furigana verfügt oder auch Videospiele. Einige Japanische Videospiele die für Kinder sind wie Kingdomhearts, One Piece etc. haben selber keine Furigana. Selbst Spielekonsolen wie der 3DS haben in der JPN Version keine Furigina.
Ich bin da jetzt einfach nur Neugierig.
Zum Thema:
Ja das mit den Familiennamen ist schon heftig. Ich habe schon selber gehört das die meisten Japaner selber viele Kanji Bedeutungen nicht richtig lesen können.
Ich frage mich sowieso warum man noch daran festhält. Würde man nur noch Hirgana/Katakana verwenden würde das doch reichen. In Südkorea verwendet man auch keine Hanjas mehr sondern nur noch eine einzige Silbenschrift.
Was die erste Frage anbelangt — da heisst es einfach nur, Pech gehabt :) Grundschüler (also die ersten 6 Schuljahre) lernen 900 Schriftzeichen, und Bücher und Videospiele sind dem in der Regel angepasst. Quasi FSK durch die benutzte Sprache – wenn man nicht will, das Grundschüler (oder gar Kindergartenkinder) ein bestimmtes Buch lesen oder ein bestimmtes Spiel spielen, benutzt man einfach keine Furigana. Die Kinder wissen entsprechend sofort bescheid: Das ist nichts für mich. Das funktioniert auch ganz gut.
Was den letzten Absatz anbelangt: Dafür gibt es gute Gründe. Es gibt viel mehr Zeichen in Hangul als in den japanischen Silbenalphabeten aufgrund der zahlreichen Kombinationen. Einen Text wie diesen hier:
한글은 한국어의 공식문자로서, 세종이 한국어를 표기하기 위하여 창제한 문자인 ‘훈민정음’을 20세기 초반 이후 달리 이르는 명칭이다. 한글이란 이름은 주시경 선생과 국어연구학회 회원들에 의해 지어진것으로 알려져 있으며 그 뜻은 ‘으뜸이 되는 큰글’, ‘오직 하나뿐인 큰글’, ‘한국인의 글자’이다.한글의 또 다른 별칭으로는 정음, 언문, 언서, 반절, 암클, 아햇글, 가갸글, 국문 등이 있다.
kann man problemlos lesen (vorausgesetzt, man beherrscht Hangul). Dieser nur in Hiragana geschriebene Text
へいあんじだいのめいそうでのうひつかでもあったくうかいがひらがなをそうさくしたというでんしょうがあるが、これはげんざいぞくせつであるとかんがえられている。ひらがなのもとになったのは、ならじだいをちゅうしんにつかわれていたまんようがなである。まんようがなはかいしょやぎょうしょのほか、そうしょでかかれることもあった。そうしょのまんようがなを、ひらがなのぜんだんかいとしてそうがなとよぶ。
ist jedoch ein Alptraum – selbst wenn man Leerzeichen einsetzen würde. Es ist schlichtweg sehr mühselig zu lesen. Aus dem Grund werden die chinesischen Schriftzeichen aus dem Japanischen nicht verschwinden.
Danke für die Antwort.
Gut ich verstehe, die Frage habe ich nur selber gestellt da ein Freund von mir viele Japanische Spiele importiert und bei Kingdom Hearts aufgefallen ist das es dort keine Furigana gibt, obwohl das Spiel von Squere und Disney entwickelt wurde.
Naja, wenn man das von der Seite sieht dann kann ich es schon verstehen.
Ich frage mich wie das wohl in China ist. Da gibt es ja keine einfachen Silbenzeichen sondern nur diese komplizierten Zeichen.
In China ist es glaube ich was die Schrift angeht einfacher. Man muss zwar die Zeichen da auch lernen, aber die haben den Vorteil das jedes Zeichen nur eine Art zu lesen hat. Da ist denke ich eher die Sprache das Problem, da sie auf Laute basiert.
In Japan kann es pro Zeichen sehr viele verschiedene Varianten geben. Das hat mich damals dazu gebracht aufzuhören die Schrift zu lernen, da es mir einfach viel zu viel Aufwand war.
China hat wesentlich mehr Zeichen (je nach Katalog bis zu 64000). In Taiwan sind ca 13000, in der VR ca 6000 normiert (1986, könnte nicht mehr ganz aktuell sein).
Nach dem nationalen Curriculum 2012 sollte die primary school etwa 2500 Zeichen vermitteln; danach kommen in den beiden folgenden Stufen je noch einmal mindestens 1000 Zeichen dazu.
Eine weitere Besonderheit des chinesischen ist der starke Unterschied zwischen gesprochener Sprache und Schriftsprache. Man lernt eigentlich zwei verschiedene (aber verwandte) Sprachen. Chinesisch hat sehr wenige Phoneme (ca 400) gegenüber anderen Sprachen (4000-6000). Selbst mit Berücksichtigung der Töne sind das nur 1200. Die Silben bekommen durch Mehrsilbigkeit und den Kontekt ihre spezielle Bedeutung (er=Sohn,Beine,Perle,2,dumplings…).
Die Schriftsprache kann sehr viel kompakter sein, weil viele gleichklingende Worte (Homophone) verschieden geschrieben werden (er=珥耳儿饵而迩贰鲕洱鸸佴铒二尔…). Und hier trifft sich chinesisch mit dem Artikel, den ich sehr interessant fand, weil die japanischen Namen sich offensichtlich ähnlich verhalten.
Vielen Dank für den spannenden Kommentar! Bevor ich Japanisch gelernt habe, habe ich Chinesisch gelernt, und ich finde die ganze Angelegenheit noch immer faszinierend – schließlich benutzen hier zwei Sprachen aus völlig unterschiedlichen Sprachfamilien die gleiche Schriftsprache. Fast jedenfalls. Faszinierend finde ich da auch die Sprachgeschichte – die sinologische “On”-Lesung japanischer Schriftzeichen ist ja in vielen Fällen eben nicht eine einzige Lesung, sondern mehrere – und die verschiedenen Lesungen reflektieren die verschiedenen historischen Zeiträume, wann der Begriff mit dieser Lesung aus China importiert wurde.
Und dann gibt es noch diese Aha-Effekte – zum Beispiel in dieser Woche, als Kim Jong-Un die neueste nordkoreanische Rakete mit dem Ausruf ”Palssa” startete… das klang in der Aussprache fast genauso wie das japanische Wort dafür “Hassha” (Abschuß!) und das ist ja auch kein Zufall, da das Wort ja in allen drei Sprachen das gleiche ist: 发放 (Fāshè) -> 發射 (palssa) -> 発射 (hassha).