Vor gut einem Jahr habe ich hier über das Jahr 2025-Problem berichtet — eine demographische Zeitbombe, die unaufhörlich tickt. Zwar explodiert diese 2025 nicht mit einem lauten Knall, aber sie wird sich schleichend bemerkbar machen. Doch das ist nicht die einzige Zeitbombe. Denn bereits im kommenden Jahr steht das Jahr 2024-Problem auf der Matte, und das wird sich ab dem 1. April 2024 bemerkbar machen. Kurz zusammengefasst kommt auf Japan ein großes logistisches Problem zu, denn die Arbeitsbedingungen für Lieferanten werden sich ab dem Tag ändern, was zu folgenden Problemen führen wird:
- Der Mangel an Spediteuren/Fahrern wird schlagartig noch akuter als er ohnehin schon ist
- Versandkosten/Lieferpreise werden spürbar teurer werden
Der Grund für dieses “Problem” sind die 働き方改革関連法 — die Gesetze zur “Verbesserung der Arbeitsbedingungen”. Es handelt sich dabei um ein ganzes Gesetzespaket, das seit 2019 stufenweise in Kraft tritt, und ab April 2024 reguliert dieses Gesetz die Arbeitsbedingungen von Lieferanten, Bauarbeitern, medizinischem Personal – und Beschäftigten der Zuckerindustrie in Kagoshima und Okinawa.
Im Falle der Lieferfahrer bedeutet die neue Regelung konkret, dass — mit wenigen Ausnahmen — nicht mehr als 960 Überstunden pro Jahr gemacht werden können. Außerdem darf die Zahl der Monate mit 45 oder mehr Überstunden im Monat nicht mehr als sechs Mal pro Jahr überschritten werden. Bauarbeiter dürfen dann übrigens nicht mehr als 100 Überstunden pro Monat machen, was eigentlich schon eine ganze Menge ist.
Dazu eine kurze Rechnung nebst Statistik: Das Gesetz geht von 8-Stunden-Tagen mit 5 Arbeitstagen (also 40 Stunden pro Woche) und 52 Wochen pro Jahr aus. Das macht 2080 Arbeitsstunden pro Jahr, wobei hier Urlaube und Feiertage nicht einberechnet werden. Das 総務省 (Ministerium für Innere Angelegenheiten und Kommunikation) fand bei einer Untersuchung im Jahr 20211 heraus, dass 21,7% der Spediteure ihre Fahrer 3300 Stunden oder mehr pro Jahr arbeiten lassen – ab April ist das nicht mehr möglich, da die Obergrenze dann bei 2080 + 960 = 3040 Stunden liegt.
Obwohl die gesetzlichen Maßnahmen erstmal vernünftig für die Fahrer klingen, wird wahrscheinlich das Gegenteil der Fall sein. Die Spediteure werden aufgrund dieser und ein paar weiteren Beschränkungen – so wird es auch ein Limit auf die Menge der Waren, die transportiert werden dürfen, geben – weniger Geld verdienen. Viele ältere Fahrer werden sich dann für eine Pensionierung entscheiden, andere werden in besser bezahlte Posten abwandern. Die Befürchtungen wurden durch eine Umfrage2 offensichtlich – dort gaben fast 30% der Fahrer an, die Branche zu wechseln, falls aufgrund des 2024-Problems die Löhne fallen sollten.
Die Logistikkosten werden also zweifelsohne steigen, da ja die Fahrzeuge nun weniger ausgelastet werden und höhere Löhne gezahlt werden müssen. Vom Personalmangel, der schon jetzt in der Branche eklatant ist, ganz zu schweigen. Viele Logistikunternehmen arbeiten schon jetzt hart am Limit. Man darf da neugierig sein, was die Regierung bis April unternehmen will, um die Lage unter Kontrolle zu halten – so wird zum Beispiel diskutiert, mehr Fahrer aus dem Ausland anzuwerben. Doch dafür bleibt so gut wie keine Zeit mehr.
Bei der japanischen Post hat man schon Massnahmen ergriffen;
1) Im Herbst 2021 wurde die Samstags-Zustellung fuer normale Briefpost eingestellt.
2) Im April 2023 wurde die Nachtschicht bei der Eingangssortierung fuer normale Briefpost eingestellt.
Normale Briefpost ist innerhalb Japans seither drei bis vier Tage unterwegs, wenn sie von Insel zu Insel laeuft.
Interessant in diesem Zusammenhang ist vielleicht, dass eingeschriebene Luftpostsendungen, sowie Luftpostpakete aus dem Ausland als Eilsendungen behandelt und dementsprechend auch samstags und sonntags zugestellt werden.
Auch Takkyubin ist von Honshu aus zwei bis drei Tage unterwegs, bis sie in Hokkaido zugestellt wird…
Der Anwerbung von Fachkraeften im Ausland steht dabei in erster Linie die Sprachbarriere entgegen – der “Nabi” kann nicht jedes Problem loesen, und der “Flieger-Eilschritt”, mit dem einheimische Boten durch die Botanik wetzen, ist nicht jedermann’s Sache…
Junge Japaner konnten durchaus mehr als 10 Millionen Yen im Jahr als Paketboten bei Yamato etc einsacken, sofern sie in den Ballungsgebieten den Arbeitstag nebst Ueberstunden auch mit schwerer Last im Akkord bewaeltigen konnten. Die Fahrer, die ich hier im Umland von Sapporo sehe, sind alle jenseits der 30 ~ 40 und duerften eher zu den unteren Lohngruppen gehoeren…