Es scheint ein globaler Trend zu sein, Bezeichnungen zu ändern, weil sich der eine oder andere daran stoßen könnte. Das ist in manchen Fällen sicherlich gerechtfertigt, aber nicht selten ist der Grund auch mit gutem Willen nicht ganz nachvollziehbar. Ein fragliches Beispiel liefert nun der Diabetiker-Verband Japans, der sich nun lautstark dafür einsetzt, den Namen der Krankheit zu ändern. Die japanischen Bezeichnungen für Krankheiten sind oftmals beschreibend – aber dem Verband zufolge sorgt das für eine Stigmatisierung der Betroffenen. Diabetes heißt auf Japanisch:
— wörtlich übersetzt: “Zuckerurinkrankheit”. Der Verband weist nun darauf hin, dass:
- Diabetes bedeutet, dass man einen erhöhten Blutzuckerwert hat – der Bezug auf den Urin ist da ungenau
- Der Name andeutet, dass der Erkrankte unbedingt selbst schuld an der Krankheit ist, da das Wort “Zucker” darauf hindeutet, dass hier übermäßiger Genuss als Ursache vorliegt
Im September liess der Verband deshalb eine Umfrage starten, auf die gut 1’000 Betroffene antworteten1. Die Ergebnisse wurden im Oktober ausgewertet und in den vergangenen Tagen veröffentlicht. Demzufolge sagten 27% der Befragten aus, beim jetzigen Begriff Unbehagen zu verspüren; 25% gaben an, definitiv ein Problem mit dem Namen zu haben. Insgesamt zauderten 90% der Befragten auf die eine oder andere Weise mit dem heutigen Begriff, der in der jetzigen Form wohl rund um das Jahr 1800 auftauchte.
Bemängelt wurde, dass das Wort “Urin”, also ein Exkrement, im Namen vorkommt und die Krankheit oft mit Faulheit, Luxus, Selbstschuld und anderen, durchweg negativen Konnotationen einhergeht.
Die Änderung eines Krankheitsbegriffes wäre dabei kein Novum – im Jahr 2002 wurde der Name für Schizophrenie geändert – von 精神分裂病 (wörtlich: “zerrissene-Seele-Krankheit”) in 統合失調症 – “Verlust-der-(seelischen)-Einheit-Krankheit”. Der Prozess hatte 9 Jahre lang gedauert.
Sicher, der jetzige Begriff ist nicht ganz genau, auch wenn er einen guten historischen Hintergrund hat. In der Vergangenheit schauten die Ärzte nämlich gern den Patienten ganz genau an, und dazu gehörte ein Blick auf die Schuhe. Sah man dort ganz kleine, weiße Punkte, so konnte dies ein Hinweis auf Zucker im Urin sein. Doch nicht jeder Diabetiker hat erhöhte Zuckerwerte im Urin, und andersherum gesagt muss erhöhter Zucker im Urin nicht gleich bedeuten, dass der Ausscheidende Diabetiker ist.
Doch eine Veränderung des Krankheitsbegriffes wird nicht viel ändern. Leute, die es nicht besser kennen, werden noch immer denken, dass Diabetes auf jeden Fall immer selbstverschuldet ist, was natürlich nicht der Fall ist. Aber vielleicht ist es ja ein Anfang.
Was mich jedoch bei Umfragen dieser Art immer wieder stört, ist die fehlende Offenlegung der Umfrageparameter. Wie wurden die 1000 Befragten rekrutiert? Was war der Titel der Umfrage? Waren die Fragen zum Teil suggestiv (dies schien, zumindest laut der Pressemitteilung, der Fall zu sein)? Und von wem werden Diabetiker diskriminiert?
Vorschläge eines besseren Namens gab es übrigens nicht.
Kleiner Fakt am Rande: Laut Internationalem Diabetikerverband2 lag der Anteil der Diabetiker an der Bevölkerung im Jahr 2021 in Japan bei 7%. Für Deutschland wurde exakt die gleiche Zahl ermittelt.
kenne natürlich nicht den Umfang der Bezeichnungsänderungen in Japan, denke aber “glückliches Japan” im Vergleich mit Deutschland, ein paar Beispiele: Technik wird zu Technologie, Raubtier zum Beutegreifer, Volk zu Ethnie, Eingeborener zu Indigenem (was übersetzt Eingeborener heißt), Weißrussland zu Belarus (wann wird Japan zu Nippon?) und und und
Sprache ist dynamisch und braucht keine zentrale Authorität. Hat der Ärtzeverband in Japan nichts besseres zu tun? Hört sich so an als wollte man etwas vertuschen. Naja, mein Vertrauen in die Artze und der Pharmamedizin hat, durch das Coronatheater, sowieso einen Schaden genommen.
Diabetes mellitus: kommt aus dem Griechischen und bedeutet honigsüßer (Durch)fluß (= Urin). Die japanische Bezeichnung ist also wahrscheinlich eine Übersetzung. Wenn man weiter fachlich argumentieren wollte (was der Diabetikerverband und Tabibito ja auch tun) kann man mit Fug und Recht sagen, dass viele Diabetiker keinen Zucker im Urin haben – der taucht dort nämlich erst ab der “renalen Schwelle” auf – also wenn Glucose (Zucker) im Blut höher als 180 mg/dl ist, kann die Nieren die Glucose nicht mehr reabsorbieren. Bei gut eingestellten Typ I – Diabetikern oder auch häufig bei Typ II Diabetikern, insbesondere im gefährlichen Frühstadium, wird es also gar nicht zur Zuckerausscheidung im Urin kommen. Zucker – also Glucose – ist essentieller Stoffwechselbestandteil und als solcher wertfrei … jeder von uns kann gar nicht verhindern, Zucker im Blut (und auch im Urin oder an noch ganz anderen Orrten) zu haben.
Klar ist es gut und sinnvoll, entwertende Begriffe zu ersetzen – wobei ich mich frage, wer schon mal einen an Schizophrenie erkrankten Menschen im Akut-/ Krisenstadium gesehen hat. Aber seis drum: selbst wenn der Begriff Diabetes inhaltlich / fachlich auch zu ungenau ist, stellt sich trotzdem die Frage, ob man ihn ändern sollte – da hätte man im Bereich der Medizin außerdem auch noch woanders eine Menge zu tun.
Bei der japanischen Diabetes-Diskussion geht es, denke ich, eher mal wieder ums Pippi Langstrumpf-Syndrom: “ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt”. Also: ich möchte vermeiden, dass es irgendwelche Schuldzuweisungen oder Stigmatisierungen gibt (was ich natürlich nicht kann), und das mache ich am besten, in dem ich Begriffe verbiete oder ändere und die Sprachpolizei kümmert sich anschließend darum, dass das auch eingehalten wird – bei Strafe von u.a. Shitstorm etc.
Mein Vorschlag:
デイベーテス
– neutral
– medizinisch verwertbar für internationale Veröffentlichungen
– deutsche (bzw. griechische), nicht englische Transkription, in Anlehnung an die Tatsache, dass Deutsch in der japanischen Medizin eine wichtige Rolle gespielt hat.
Den Gedanken hatte ich auch!