BlogDer Anfang vom Ende einer uralten japanischen Tradition: Plastiktüten

Der Anfang vom Ende einer uralten japanischen Tradition: Plastiktüten

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Wahrscheinlich gab es sie schon vor dem ersten, legendären Tennō, und bevor man lernte, Eisen zu schmieden und Schriftzeichen zu pinseln: Plastiktüten. Eine uralte japanische Tradition besagt, dass dem Kunden, und sei sein Einkauf auch noch so klein, auf jeden Fall eine – レジ袋 reji bukuro – Plastiktüte gereicht werden müsse, andernfalls wird der Himmel auf die Erde stürzen. Kleine Anmerkung am Rande: Eine auch noch so kleine Plastiktüte OHNE Einkauf zu erhalten, zum Beispiel, um etwas Wichtiges bei einem plötzlichen Regenguss zu retten, geht übrigens nicht!
Dieser Quelle¹ zufolge sieht die Statistik in Japan wie folgt aus:
Jahresverbrauch: 30,5 Milliarden Plastiktüten
Pro Kopf und Jahr: 250 Plastiktüten
Pro Sekunde in Japan: 967 Plastiktüten
und das entspricht in etwa:
1) Zwei vollen Erdöltankern
2) 3 Milliarden Plastikflaschen
Ausländische Besucher amüsieren sich über diesen Brauch zurecht, doch seit mehr und mehr bekannt wird, in welchem Maße sich Plastikmüll nun schon auf dem Planeten breit gemacht hat, weicht die Belustigung immer mehr einem Entsetzen. Muss das wirklich sein? Eine Plastiktüte, immer und überall? Doch das Bewusstsein seitens der Industrie scheint sich nun langsam (doch schon!) zu ändern. Und da sich weder Politiker noch Verbraucher ändern, muss es natürlich die Industrie tun. Ein paar Vorreiter gibt es dabei schon: Supermarktketten wie OK oder Lopia verlangen bereits seit Monaten, wenn nicht gar Jahren, einen Obulus für Tüten, doch das Gros geht schon seit jeher bei den Convenience Stores über den Tresen. Branchenprimus 7-Eleven gab nun jedoch bekannt, eine Gebühr für die Tüten zu verlangen. Das würde schlagartig den Verbrauch mindestens halbieren. Und das gute daran ist natürlich, dass 7-Eleven damit Kosten spart beziehungsweise gar Geld verdienen kann – in dem Sinne also ein no-brainer, erst recht für den Einzelhandelskoloss 7-Eleven. Man kann davon ausgehen, dass die Konkurrenz sehr schnell mitziehen wird, denn es ist schwer vorstellbar, das die Menschen zu einen anderen Convenience Store traben werden, um kostenlos Tüten zu erhalten.
Natürlich ist der Schritt gutzuheißen. Er zeigt aber auch ein typisches Japanphänomen: Während in der westlichen Welt nur allzu oft Verbraucher und anschliessend notgedrungen auch die Politiker Veränderungen herbeiführen und so die Wirtschaft zum Handeln zwingen, vertraut man in Japan noch immer gern auf die Kraft der Märkte. Das geht auch manchmal gut – aber es dauert dann in den meisten Fällen oftmals etwas länger…
¹ Siehe hier

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

15 Kommentare

  1. Die Plastiktuete fuer den Regenschirm ist meiner Meinung nach sogar schlimmer, da fuer wenige Minuten Nutzbarkeit eine Unmenge Muell erzeugt wird. Von den einzelverpackten Suessigkeiten oder Tueten in Tueten in Tueten ganz zu schweigen. Japan muss der Weltmeister in Plastikmuell sein.

  2. Als Tourist ein zweischneidiges Schwert. Zuhause gehe ich zwar mit meinen Stoffbeuteln zum Einkaufen, aber in Japan habe ich diese natürlich nicht zur Hand.

  3. Bei uns in Yamanashi auf dem Land gibt es bestimmt schon seit 10 Jahren keine freien Plastiktüten im Supermarkt mehr, und zwar bei allen Ketten – die haben sich abgesprochen. Braucht man eine Tüte, kostet das 5 Yen. Die Leute haben sich daran gewöhnt, hier kauft mittlerweile jeder mit “Eco-Bags” ein … Wenn 7-11 das auch noch macht, wäre das schon toll!

    • In Kanagawa geben auch nur noch die teuren Supermärkte wie Odakyu kostenlose Tüten raus. Es sind eher die Konbinis, die immer noch damit um sich werfen.
      Yamanashi…. fahre ich morgen wieder hin :)

  4. Wenn in einer Kekstüte nochmal jeder Keks einzelnd verpackt wird und diese Keksetüte dann nochmal in einer Tüte überreicht wird ist das eindeutig zu viel. Bin jedes Mal überrascht, wenn man für eine vierköpfige Familie Bentos kauft wie viel Müll zusammenkommt. Da muss sich wirklich etwas ändern.

  5. Bei mir wurde bei kleinen Einkäufen (zB. 1-2 kleine Süßigkeiten) oft gefragt ob ich einen Tüte brauche was ich mit “iranaidesu” quittierte – klappte prima. Es ist also nicht so dass man um jeden Preis eine Tüte dazu bekommt. Ansonsten muss ich zugeben dass ich es immer geschätzt habe wenn man mir den Einkauf einpackte oder zumindest direkt eine Plastiktüte dazu legt. Einige Läden hingegen verlangen ein paar Yen für Extra-Tüten, helfen dann aber immerhin noch beim einpacken falls es Probleme gibt (oder man zu lange braucht).

    • Sicher, die Tüten kann man ablehnen. Mache ich auch oft, und das ist auch nicht mehr ungewöhnlich, aber es reicht offensichtlich nicht – die Menge der angenommenen Tüten ist immer noch zu hoch.

  6. Ich bin dann wohl eine Traberin, ich such mir aus, wo es die großen praktischen Plastiktüten gibt, die ich für den Mülleimer brauche. So kleine und v.a. so quadratische nehm ich nicht. Kauft ihr denn Mülltüten oder wie macht ihr das?
    Kekse einzeln verpackt ist einfach praktisch, ich “hasse” inzwischen die dtsch. Kekse, wo man die Packung aufmacht und dann muss man sie alle schnell essen sonst werden sie schal und zum mitnehmen muss man die ja auch wieder irgendwie einpacken, dass sie nicht verbröseln.

    • Wir kaufen Mülltüten, aber ehrlich gesagt nur die großen – ich nehme auch gern Tüten mit, wenn die Größe passt… und das mit den einzeln verpackten Keksen ist vor allem praktisch, wenn man Kindern hat und die dann andere Kinder treffen usw. Aber die anfallende Menge Müll ist trotzdem nervend.

  7. In den supermärkten sehe ich jetzt schon viele leute mit eco bags. Aber diese kleinen obst und gemüse säckchen nerven mich. Egal welches obst/gemüse – es muss in den sack! Auch avocados und mais! (Ich nehme maiskolben im gegensatz zu den anderen ungeschält mit nach hause, bräuchte also keine verpackung!)
    Die kassiererin steckt mir all meine losen einkäufe die ihrer meinung nach so unhygienisch sind in ein kleines säckchen. Da ich keine lust und kraft auf täglichen streit habe, nehme ich die säckchen wieder mit zum einkaufen und sackel alles mögliche ein! Natürlich auch abgepackten fisch oder waschmittel!!

    • Diese kleinen Säckchen nerven mich auch. Ich esse doch die Avocado nicht mit Schale?! Und wieso muss jedes Gemüsestück einzeln in Plastik verpackt sein??

  8. Nun, ich war in einem Deutschen Supermarkt und als ich keine BILLIGE Plastiktüte gefunden habe um schnell mein Einkauf hineinzutun, wurde mir eins klar.
    Plastiktüten zu verbieten ist ein Eingriff in die Menschenrechte.
    Ich kann deine Denkweise verstehen doch in meinem Augen ist das nichts als versteckter Sozialismus und pure Diktatur.
    Deutschland wird vor die Hunde gehen, wenn die Plastiktüten und Abschaffung des Pfandes sowie die reduzierung der Grünen ideology nicht zustande kommt in den nächsten Jahren….
    Und wenn Japan anfängt das gleiche zu tun wie Deutschland, dann werde ich Japan von meiner Auswanderungsliste streichen. Besonders wenn es keine Plastiktüten mehr gibt. So einfach ist das. Plastiktüten ist einer der wichtigsten Erfindungen der Menschheit und nur totale Kommunisten würden Menschen diese Freiheit wegenehmen wollen! So sehe ich das.

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