BlogZwei auf einen Streich - Abe verliert seine Minister

Zwei auf einen Streich – Abe verliert seine Minister

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Der Fächer des Anstosses
Der Fächer des Anstosses
Heute gab es in Japan zur Abwechslung mal ein politisches Erdbeben – nicht ganz unerwartet, aber dennoch überraschend, da alles auf ein Mal stattfand. Gleich zwei Minister, genauer gesagt Ministerinnen, gaben heute ihren Rücktritt bekannt. Als da wären:
小渕 優子 Yūko Obuchi, Ex-Wirtschaftsministerin, stolperte über einen Spendenskandal, da sie Parteispenden für falsche Zwecke missbrauchte. Das ist, wie es scheint, in Japan Volkssport bei Politikern. Genauer gesagt wuchs die Diskrepenz zwischen Einnahmen und Ausgaben in ihrem Wahlbezirk auf rund 350,000 Euro an – Geld, bei dem nicht klar ist, wie es eigentlich verwendet wurde.
松島 みどり Midori Matsushima, Ex-Justizministerin, hingegen trat aufgrund eines Verstosses gegen das Wahlkampfgesetz zurück. Jenes Gesetz verbietet Geschenke mit geldwertem Vorteil jeglicher Art an (potentielle) Wähler. Trotzdem hielt und hält noch immer die Ministerin das Verteilen von Wegwerffächern, bedruckt mit ihrem Konterfei, an über 20’000 Besucher eines Voksfestes für unverfänglich, da die Fächer “kaum einen Wert haben”. Sie betonte beim Rücktritt auch eigens, dass ihr Rücktritt kein Schuldeingeständnis sei, sondern dass sie damit Schaden von der Regierung abwenden möchte. Eine noble Geste, quasi.
Matsushima hatte es mir schon vorher sehr angetan. Sie ist eine eifrige Verfechterin der Todesstrafe und findet, dass man zum Beispiel muslimischen Gefangenen in japanischen Gefängnisssen durchaus Schweinefleisch geben sollte – japanische Gefangene befragt man ja auch nicht, ob sie lieber Brot oder Reis möchten. Dementsprechend sei dies “umgekehrte Diskriminierung”. Dass es hier weniger um kulinarische Vorlieben geht als um Glaubensfragen, ist dabei Wurst. Schweinewurst, natürlich.
Abe hatte beide Ministerinnen erst vor einem guten Monat ins Kabinett geholt – quasi als Teil der Botschaft “Schaut her, wir sind modern und beteiligen viele (5) Frauen an der Regierung”. Bei einer eigens eingeraumten Pressekonferenz übernahm Abe heute jedoch zwangsläufig die Verantwortung, da er ja die Personalie durchgewunken hat. Verantwortung? Ja. Konsequenzen? Natürlich nicht. Dabei war Abe einer der Politiker, die am lautesten nach Neuwahlen schrien, als sich die damals regierenden Demokraten an ihren Skandalen versuchten.
Waren das nun alle Skandale? Natürlich nicht. Für wesentlich skandalöser halte ich das Verhalten von 山谷えり子 Eriko Yamatani, Sonderbeauftragte für das Referat Entführung (japanischer Staatsbürger durch Nordkorea). Sie hält das Trostfrauenproblem für eine Lüge und wurde im September dafür bekannt, dass sie sich mit Vertretern der 在特会 Zaitokukai (eine ultranationale Vereinigung, die es hauptsächlich auf seit Generationen in Japan lebende Koreaner abgesehen hat) traf. Und gemeinsam fotografieren liess. Darauf angesprochen, erwiderte sie – vor Reportern – dass sie nicht wusste, mit wem sie sich da traf. Als Reporter nachbohrten und fragten, ob sie die Aktivitäten der Zaitokukai kritisch betrachte (jene laufen schliesslich mit Postern durch die Strassen, auf denen Sprüche stehen wie “Ob gute Koreaner oder böse Koreaner – tötet sie alle!”¹), lehnte sie eine Stellungnahme ab. Und zwar drei Mal.
Ist es Unwissenheit? Oder einfach nur Unverfrorenheit? Sicher, deutsche Politiker zum Beispiel leisten sich auch das eine oder andere dicke Ding. Aber an japanische Politiker kommen sie in puncto Dreistigkeit bei weitem nicht heran.
Siehe hier.

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tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

9 Kommentare

  1. Tja, fast haette ich gesagt: haben wir das nicht schon gewusst bzw. geahnt?
    Japanische Politiker sind halt “zwielichtige Gestalten”! Und dass hier fast ueberall nach dem Motto gehandelt wird: wer gut schmiert, der faehrt gut ist doch allgemein bekannt. Die Seilschaften funktionieren. Was die Dame Obuchi angeht, so habe ich schon anderorts angebracht, dass sie evtl. nur die japanische Wirtschaft ankurbeln wollte, sozusagen mit (mehr oder weniger) glaenzendem Beispiel voranritt …. die 4. Speerspitze von Abe’s Ankurbelung der Wirtschaft.

  2. Selbst wenn es echte Unwissenheit war (was ich bezweifle): die sollte in diesem Fall ebenfalls ein Kündigungsgrund sein. Politiker, die keine Ahnung haben, was in ihrem Land vor sich geht?

  3. Denke schon bzw. bin mir ziemlich sicher dass es Unwissenheit war. Jeder japanische Politiker lässt seine Finanzen von einem extra dafür angestellten Strohmann verwalten, um sich eben genau auf diese Unwissenheit rausreden zu können, wenn von den Hinterbänklern oder der Opposition aus angefangen wird solche Geschichten hervorzukramen. Ich glaube auch nicht dass dieses Skandälchen Obuchi schaden wird, es wirft nur ihre Karriere um fünf bis zehn Jahre zurück. Macht schließlich jeder. Das ist als wenn man einen Parlamentsabgeordneten für die Vergabe von Infrastrukturprojekten an Unterstützer drankriegen möchte, da wären dann nur die Kommunisten noch im Parlament.
    Matsushimas Rücktritt ist eigentlich egal, das Justizministerium ist kein besonders bedeutender Posten und anders als der METI-Stuhl keine Sprosse auf der Leiter nach oben sondern eine Belohnung für oft ins Parlament gewählte Vasallen.
    Viel mehr ärgert mich die völlige Unfähigkeit der Opposition. Es gäbe drölfzig Möglichkeiten die Regierung am Nasenring durchs Unterhaus zu führen, stattdessen hängt man sich an ein paar Fächern auf. Naja, mit der nächsten Unterhauswahl ist die DPJ eh Geschichte.

  4. Frau Yamatanis Ansichten (z.B. das “Keine Ahnung wer das war” über “Naja, ich treffe so viele Leute, da kann ich mir nicht jeden merken” usw.) kann man sich übrigens hier anschauen:

    • Ausgerechnet Hashimoto legt sich mit diesen Idioten an? Der hat vor einem Jahr doch selbst zum Thema “Trostfrauen” seinen dümmlichen Beitrag geleistet. Hängt er jetzt sein Fähnchen in einen anderen Wind, haben ihn die Rechten nicht genug geschmiert? Oder hat er tatsächlich was kapiert danach? (bezweifle ich)

    • Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Ich finde die Beschreibung im Japanmarkt tendenziös, denn wenn man sich mal anhört, wie der Hashimoto redet und was für ein Bully er ist… keinen Deut besser als der Zaitokukai – Freak…

  5. Das Problem ist eher das völlig veraltete Wahlspendengesetz aus den 50ern, nicht das Verhalten der Politiker. Man kann mit diesem Gesetz jeden beliebigen Volksvertreter zum Rücktritt zwingen, das sorgt für dieses Personenkarussell. Deshalb wird es auch nicht geändert, es ist so ein schönes einfaches Tool jemanden loszuwerden. Es sorgt für Instabilität und dies wiederum für Politikverdrossenheit. Manchmal trifft es auch den falschen, wie den ehemaligen Tokioter Bürgermeister Inose, der ein fähiger Mann war oder eben die beiden weiblichen Minister, die sehr anerkannt waren.

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