Wenn man lange Zeit im Ausland lebt und auch noch die Sprache spricht, vergißt man nach einigen Monaten? Jahren?, daß man Ausländer ist. Das ist soweit in Ordnung, wenn man zum Beispiel in die USA gezogen ist oder nach Frankreich. Etwas anders sieht es in Japan aus, wo der Anteil der nicht-ostasiatischen Ausländer bei unter einem Prozent liegt. Ob man sich als Ausländer fühlt oder nicht ist dabei vollkommen Wurst: Man ist Ausländer. Man fällt auf. Man fragt sich manchmal, ob man bunte Flecken im Gesicht hat oder einem gerade das Gesicht zerfliesst, wenn man angestarrt wird. Oder ob man als jemand angesehen wird, der gerade erst aus dem Wald kam (letzteres artikuliert sich meist dadurch, daß irgendjemand angeturnt kommt und ganz gekonnt “No, No” ruft, wobei auch eine im fliessenden Japanisch vorgebrachte Gegenfrage, was denn des Rufers Unmut errege, nicht den Wortschatz des nun leicht grenzdebil wirkenden Störenfriedes wiederbringt).
Der Bekanntheitsgrad hat in der näheren Umgebung jedoch nicht nur Nachteile, sondern auch einige Vorteile. Erst gestern zog es mich mit meiner Familie mal wieder zum Doutor. Das ist eine japanische Kaffeehausfiliale, und ja, ich bin schon soweit tatamisiert, daß ich eben nicht zu Starbucks gehe, denn da ist der Kaffee einfach mal zu groß, zu teuer und nicht mal besonders wohlschmeckend. Nicht, daß Doutor in punkto Geschmack wesentlich besser ist, aber da sind wenigstens Tasse und Preis kleiner. In Doutor-Filialen kann man mit der sogenannten T-Card seiner Punktesammelwut fröhnen. Eigentlich bin ich kein Freund solcher Karten und Systeme, aber die Sache mit der T-Card ist clever: Jene ist gleichzeitig die Mitgliederkarte für Tsutaya, der wahrscheinlich größten Video- und CD-Verleihkette in Japan. Also schleppt man die Karte sowieso mit sich herum. Warum also nicht gleich beim Gang zu Doutor oder zum Family Mart die T-Card vorzeigen. Immerhin ist damit jede 210. Tasse Kaffee umsonst (man bekommt überall 1 Prozent des Preises gutgeschrieben). A propos Punktekarte: Ein absolutes Muß meinerseits ist da die Bic Camera- Karte, mit der man meistens 10% auf Elektroartikel gutgeschrieben bekommt. Was habe ich der Karte nicht schon alles zu verdanken. Wäre doch glatt eine Geschäftsidee, vor Bic Camera Touristen abzufangen, ihnen beim Einkauf mit Rat und Tat beiseite zu stehen und sich dann die Punkte gutschreiben zu lassen. Da hat jeder was davon. Wie? Gute Idee? Na warte, wehe ich erwische einen von Euch vor Bic Camera!
Ich glaube, ich schweife ab. Doutor. Gestern ging ich also an den Tresen, um zu bestellen. Weiss nicht, welcher Hund bunter ist – ich oder meine Tochter. Die Bedienung schaut mich an, als ob sie lange auf mich gewartet hätte, greift kurz unter den Tresen und überreicht mir meine… T-Card. Da ich sie seit dem letzten Besuch, muss wohl vor 2, 3 Wochen gewesen sein, eigentlich nicht vermisst hatte, war ich umso überraschter. Und ein bisschen glücklich, denn auf der Karte haben sich mittlerweilen um die 5 Tassen Kaffee angesammelt. Es gibt wohl verschiedene Arten, Zeit zu messen.
Ob mir das in Deutschland in einem sehr gut besuchten Cafe, das ich zwei, drei Mal im Monat besuche, auch passieren würde? Ausgeschlossen ist das nicht. Aber dank des Bunten-Hund-Prinzips passiert so etwas in Japan sehr häufig.
Also die T-Card sieht irgendiwe schwedisch aus – allerdings klingt Doutor definitiv nicht schwedisch ;-)
Dir allein würde das in Deutschland garantiert nicht passieren, aber gemeinsam mit deiner Tochter steigt die Wahscheinlichkeit erheblich!
Und: 10% Rabatt gibts? Zusammen mit der Touri-Initiative der japanischen Regierung könnte sich langsam ein Einkaufsbummel in Japan lohnen.
In meinem Stamm-7/11 um die Ecke hatte ich die Angestellten nach ein paar Wochen soweit, dass ich nicht mehr danach gefragt wurde, ob man die heisse Büchse Kaffee zusammen mit dem Sandwich in eine Tüte tun dürfe. Die Frage nach der Punktekarte hatte sich dann irgendwann auch erledigt, nachdem ich mehrfach geduldig erläutert habe, dass sich eine solche für mich nicht lohnen würde.
Geht es eigentlich nur mir so? Ich hatte den Eindruck, dass die Angestellten besonders strahlten, wenn man sie bewusst wahrnahm, sich bedankte und ihnen dabei in die Augen schaute.
Aw Biccamera.
Als mein Sohn noch so klein war, dass ich ihn a la Känguruhprinzip in Babyschlinge vor dem Bauch durch unsere Kleinstadt trug war das auch eine kleine Sensation. Ich wurde sogar dann und wann persönlich in unserem Stamm-läden begrüsst und in der Schlange vorgelassen. Bringt einen schon zum schmunzeln.
Punkte anderer Leute abzugreifen ist nicht ganz neu, ich habe öfter deutsche Freundinnen zu Ainz&Tulpe (wieso heißen die eigentlich so?) geschleppt, “fachlich” beraten und dann für ihre Käufe die Punkte abgegriffen. xD
Und die Verkäuferinnen haben mich auch alle erkannt, eine wusste sogar noch nach einem halben Jahr, dass ich aus Deutschland komme, an der Waseda studiert habe (zu dem Zeitpunkt), was ich gekauft habe und dass die Freundin, mit der ich das letzte Mal dort war, damals an der Kyoto Uni war. O.o (Etwas gruselig war das schon…)