Neulich besuchte ich einen etwas besonderen – und sehr schönen – Schrein auf der Insel Awaji in der Präfektur Hyōgo – und zwar den 伊弉諾神宮. Besonders deshalb, weil der Schrein niemand geringerem als Izanagi – quasi eine Art Gottvater in der japanischen Mythologie – gewidmet ist. Der Schrein wird in diversen Quellen auch als ältester Schrein Japans bezeichnet, denn der shintoistischen Legende der Geburt Japans nach begann die Entstehung auf der Insel Awaji (genauer gesagt auf der winzigen, vorgelagerten Insel Nushima), und der Izanagi-Schrein war und ist der wichtigste Schrein von Awaji.
Doch am Haupttor wartete bereits die erste unangenehme Überraschung: Ein Wahlplakat von Haruko Arimura, Kandidatin der regierenden Liberaldemokraten (die auch einen Ministerposten innehatte) prangte gut sichtbar am Haupttor. Die Politikerin ist unter anderem Mitglied der rechten Nippon Kaigi-Fraktion. Egal, ich laufe in den Schrein hinein zum Hauptgebäude, welches von zwei Bannern flankiert wird, die dazu aufrufen, die Verfassung zu ändern — gemeint ist der Teil der Verfassung, der Japan zum Pazifismus verpflichtet. Die Banner stehen dort tatsächlich links und rechts vor dem Heiligtum, da kommt man einfach nicht daran vorbei.
Ziemlich prominent findet man dann auf dem gut 4 Hektar großen Schreingelände auch noch eine neue “Sehenswürdigkeit” – ein überdimensionaler, schwarzer und glatter Stein, der in seiner Form an einen Kopf erinnert. Versehen mit der Aufschrift 頭髪感謝 – “ein Dank an das Haupthaar”. Hinter dem – offensichtlich durch die Berührung zahlloser Besucherhände glattpolierten – Stein befinden sich zwei Wände, auf denen der Sponsor in großen Buchstaben eingraviert steht: 株式会社毛髪クリニックリーブ21 (Haarklinik Reve 21) geschrieben steht – eine Firma aus Osaka. Und in der Tat: Zur Errichtung dieses “Heiligtums” im Jahr 2008 gibt es sogar eine amtliche Pressemitteilung1. Bei dem Stein bleibt es übrigens nicht – seit es das Ungetüm gibt, wird auch alljährlich am 20. Oktober (goroawase für “Tōhatsu”) ein kleines Festival abgehalten.
In Japan gibt es so etwas wie eine Kirchensteuer nicht – Tempel und Schreine müssen also sehen, wie sie die notwendigen Finanzen zusammenbekommen. Das geschieht zu einem großen Teil aus Spenden, und zu einem ebenfalls großen Teil auch durch Gebühren für religiöse Handlungen. So kann man zum Beispiel nicht nur sich selbst und seinen Nachwuchs, sondern vielerorts auch sein Auto segnen lassen. Tempel und Schreine inserieren auch nicht selten – vor allem vor größeren Veranstaltungen wie dem Neujahrsbesuch, denn je mehr Besucher sie anziehen, desto mehr Einnahmen können durch Verkauf und Standgebühren eingenommen werden.
Dass sich ein so großer und alter Schrein wie der Izanami-Jingū jedoch so billig auf profane Wahlwerbung und Werbung für politische Ziele einläßt ist traurig. Japan ist ein laizistischer Staat, und das ist auch gut so. Einen ganzen Schreinbereich jedoch für schlichte Werbung einzurichten – in der Hoffnung auf Werbeeinnahmen und den Besuch unzähliger japanischer Senioren mit schütterem Haupthaar, ist einfach nur grauenvoll. Hier wurde mal eben Tradition für Bares verkauft und nebenher auch gleich noch versucht, Gläubigen die eigene politische Meinung aufzudrücken. Irgendwie traurig.
- siehe hier
Politisierende und geldgeile Pfaffen kennen wir in Europa ja schon spaetestens seit dem Mittelalter. Warum sollte das hier in Japan und / oder bei nichtchristlichen Religionen anders sein? ;-)
Interessant ist m.E. nur eine Kleinigkeit – waehrend in Europa nach der Predigt geloehnt wird (der Klingelbeutel geht erst nach der Predigt um), wirft man hier erst Geld in die dafuer bereitgestellte Kiste und betet dann… “Vorkasse” vs “Lieferung auf Rechnung?” ;-)