Nerven aus Stahl – anders kann man japanische Politiker, die meisten zumindest, nicht charakterisieren. Die braucht man sicherlich auch, um es bis nach oben zu schaffen, aber was manche Politiker hier durchmachen, um auf ihren Posten zu bleiben, ist der reine Wahnsinn. Dazu zählt auch der amtierende Premierminister, Ishiba Shigeru. Seit dem 1. Oktober 2024 ist er Vorsitzender der Liberaldemokraten, und somit auch Premierminister Japans. Und während seiner nun nicht ein Mal ein Jahr währenden Amtszeit verlor seine Partei sowohl bei der Unterhauswahl als auch bei der Oberhauswahl die Mehrheit. Die herbe Niederlage in beiden Kammern – das gab es schon seit vielen Jahrzehnten nicht mehr – ist sicherlich nicht vollkommen Ishibas Schuld gewesen, dafür hatte sich schon seit langem zu viel Frust bei den Wählern angestaut, doch Ishiba ist nicht gerade ein frisches Gesicht das für Neuerungen steht. Und dennoch, trotz Rufen nach Rücktritt aus allen Richtungen, hielt er wacker an seinem Posten fest.
Bis gestern – Grund für die Entscheidung, nun doch zu gehen, soll wohl ein Gespräch mit Parteigenossen gewesen sein. Und nun geht das Spekulieren los: Ganz hoch im Rennen stehen natürlich die Kandidaten, die – zum Teil überraschend – im Herbst 2024 Ishiba unterlagen. Besonders die Namen Koizumi Shinjirō (ein verhältnismäßig junger Politiker und der Sohn einer der anderen 10, noch lebenden Ex-Premierminister) und Takaichi Sanae (eine leicht rechtspopulistische Politikerin, die die erste Frau im Amt des Premierministers wäre) werden hoch gehandelt, doch Kenner der japanischen Politikszene gehen davon aus, dass es wohl eher ein weniger bekannter Politiker sein wird – Shigeki Toshimitsu zum Beispiel, seines Zeichens lange Jahre amtierender Geschäftsführer der Liberaldemokraten. Doch wer es auch sein wird – es wird schwer ohne die übliche Mehrheit in den Kammern, denn die Liberaldemokraten sind auf die Zusammenarbeit mit Oppositionsparteien angewiesen.
Nerven aus Stahl zeigte in den vergangenen Jahren definitiv auch die Bürgermeisterin der Stadt Itō auf der Izu-Halbinsel, gut 100 Kilometer südwestlich von Tokyo. Dort setzte sich am 29. Mai 2025 die illustre Lokalpolitikerin Takubo Maki, parteilos, mit 53% der Stimmen gegen ihren Mitbewerber durch. Zu jener Zeit gab es in der Stadt hitzige Debatten über einen geplanten “Mega-Solarpark”, den Takubo vehement bekämpfte. Im Juni 2025 tauchte nun ein anonymes Schreiben im Rathaus auf, in dem behauptet wurde, dass man doch mal bitte die Vita der Politikerin durchleuchten sollte: Dort steht zwar, dass sie an der Tōyō-Universität (nicht die beste, aber auch nicht die schlechteste der fast 900 Universitäten in Japan) erfolgreich Jura studiert habe, doch das entspräche wohl nicht der Wahrheit.
Die Stadtkammer beschied, dass sich das doch schnell lösen liesse – sie solle doch einfach ihr Diplom von der Universität mitbringen und zeigen. Das tat sie auch – sie holte eine Mappe hervor, öffnete sie aus sicherer Entfernung für weniger als 10 Sekunden und sagte dann “das reicht ja dann wohl”. Ihrer Erinnerung zufolge – sie ist 55 Jahre alt, und damit keine Greisin – habe sie das Studium abgeschlossen, doch Kommilitonen und die Universität bezeugten Anderes. Gegen Ende des Studiums sei sie kaum noch zur Universität gegangen und deshalb exmatrikuliert worden. Damit sie aber nicht ohne irgendwas dasteht, haben ihr Kommilitonen aber wohl bei einer inoffiziellen Abschlussfeier eine selbstgemachte Urkunde gegeben.
Die Tatsache, dass ein Diplom nur ganz, ganz selten nicht offiziell von der Universität, sondern inoffiziell von Kommilitonen bei einem Trinkgelage überreicht wird, schien ihr angeblich nicht seltsam, und so leugnete sie bei nachfolgenden Pressekonferenzen auf sehr schnippische Art und Weise alles, was mit dem gedokterten Lebenslauf zu tun hat.
Räumt sie trotz der überführten Lüge nun den Posten? Aber nicht doch. Sie will im Amt verbleiben – und sollte ein Misstrauensantrag gegen sie gelingen, will sie die Stadtkammer auflösen und erneut zur Wahl antreten, denn das sei sie “ihren Wählern schuldig”. In der Zwischenzeit postet sie munter auf X, wie sehr sie doch die Aussicht im 8. Stock der Cafeteria des Rathauses geniesst und wie gut das Essen dort doch schmeckt.
Ja, das sind Nerven aus Stahl. Itō ist eine kleine Stadt, doch dank ihrer Unverfrorenheit sind Nachrichtenbeiträge über die Bürgermeisterin nun Dauerbrenner im landesweiten Fernsehen. Natürlich mit den entsprechenden kritischen Kommentaren tausender Menschen, aber das perlt offensichtlich alles an ihr ab.