BlogPolitische Satire... und ihr schnelles Ende

Politische Satire… und ihr schnelles Ende

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Brief des angeblich 10-jährigen
Brief des angeblich 10-jährigen
Im letzten Artikel über die Auflösung des Parlamentes und die nicht gerade ermunternde Wirtschaftspolitik Japans warf ein Kommentator – zurecht – ein, ob es denn keine erfreulichen Nachrichten aus Japan gebe. Das ist nur allzu verständlich, und Zeit, sich als Blogautor zu hinterfragen, ob man denn wirklich nur negative Nachrichten aufgreifen möchte. Um dem Trend entgegenzuwirken, deshalb heute aus gegebenen Anlass eine erfreuliche Nachricht – nämlich die, dass es in Japan so etwas wie gelungene, wirkungsvolle politische Satire geben kann. Zwar ohne Happy End, aber immerhin.
Und das kam so: Viele Japaner haben sich nach der Entscheidung Abes, das Unterhaus aufzulösen und vorzeitig Neuwahlen abzuhalten, gefragt, was das ganze eigentlich soll – schliesslich hat Abe bereits die Macht im Unterhaus, und es ist jedem klar, dass die Oppositionsparteien ganz einfach nicht in der richtigen Verfassung sind. Da tauchte plötzlich die Webseite Why-Kaisan.com (Kaisan = Parlamentsauflösung) auf, betrieben von einem 10-jährigen Jungen namens Nakamura, der ganz naïv Fragen stellte wie:

Du (Abe) hast doch gesagt, dass Du mit dem Ding namens Abenomics das Geld im Land vermehren wirst, aber mein Taschengeld wird nicht mehr. Und Mama und Papa machen sich immer Sorgen um das Geld und wir können kein yakiniku (gegrilltes Fleisch auf koreanische Art) essen gehen. Und Du entscheidest einfach so, Wahlen abzuhalten, die 70 Billionen Yen (eine halbe Milliarde Euro) kosten. Sag mal, wessen Geld ist das eigentlich?

Zu guter letzt, mit Anspielung auf das vor genau einem Jahr verabschiedete Gesetz zum Schutz von Geheiminformationen schreibt er noch:

Warum also löst Du das Parlament auf? Oder ist das etwa auch ein Geheimnis?

Das ganze wurde schön in kindlicher Schrift geschrieben. Und bekam sehr viel Zuspruch von den Medien und Internetbenutzern. Laut Counter auf der Webseite zählte man über 28 Millionen Hits. Doch jetzt trat der Schöpfer der Seite die Flucht nach vorne an: Es ist ein gewisser Aoki Yamato – ein 20-jähriger Student der renommierten 慶應義塾大学 Keiō-Universität und Vorsitzender einer NPO namens 僕らの一歩が日本を変える。 – “Unser einer Schritt wird Japan verändern”. Er wählte die Geschichte des 10-jährigen Schülers aus, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Auf der oben erwähnten Webseite why-kaisan.com findet man heuer eine Stellungnahme von Yamato, in der er sich entschuldigt, gelogen zu haben, und seine Rücktritt von der Spitze der Organisation bekanntgibt.
Ministerpräsident Abe griff den Studenten heute derweil scharf an, nannte die Aktion auf seiner Facebook-Seite 卑劣 (hiretsu) niederträchtig und bezichtigte Aoki der Meinunsgmanipulation. Interessanterweise hat Abe diesen Eintrag jedoch vor ein paar Stunden scheinbar von seinem Facebook-Account gelöscht und stattdessen eine entschärfte Kritik hinzugefügt. Interessant ist jedoch die Wortwahl Abes in seinem ursprünglichen Kommentar. Wenn seine Minister Spendengelder missbrauchen oder rechte Gruppierungen durch die Strassen laufen und skandieren, dass man alle Koreaner umbringen soll, hält er es allemal für “bedauerlich”. In diesem Fall wurde jedoch die verbal grösstmögliche Keule “niederträchtig” herausgeholt. Sicher, sein Gegenüber ist also nicht 10 Jahre alt. Sondern gerade mal 20 Jahre alt!
Kein Happy End? Im Gegenteil. Sicher, Aufmerksamkeit zu erhaschen, indem man sich als jemand ausgibt, der man nicht ist, ist fragwürdig. Aber Aoki hat mit dieser Aktion sehr viele zum Nachdenken gebracht. Und er hat die richtigen Fragen gestellt. Ob er nun 10 Jahre alt ist oder 20 ist dabei eigentlich Jacke wie Hose. In der jetzigen Lage Neuwahlen auszurufen ist schlichtweg grober Unfug und reinste Geld- und Zeitverschwendung. Ich hoffe jedenfalls, auch in Zukunft noch viel (Gutes) von Aoki zu hören. In diesem Sinne: Chapeau!

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

7 Kommentare

  1. Klasse! Sehr erfrischend :) Bitte mehr davon!
    Wie sieht es aus in der Bildung? Wird mehr Fremdsprachenunterricht an Schulen gegeben? Gibt es da interssante Projekte? Gibt es irgendwelche Reformen an Schulen bzw. Unis?
    Wie sieht der Japanische Innovationssektor aus? Hier bekommt man leider nicht viel mit, wie weit ist man z.B. schon mit Elektro bzw. Wasserstoffautos, sieht man schon welche direkt auf der Straße?
    Hier sprechen viele momentan über das selbstfahrende google Auto, gibts in Japan ähnliche Trends?
    Mischt Japan eigentlich auch bei der Raumforschung mit?
    Hoffentlich sind es nicht all zu viele Fragen ))
    Auf jeden Fall danke ich dir für die Mühe und Arbeit an den Blog ;)

  2. Danke für die Story. =)
    Ich hoffe, dass es wenigtens wirklich ein, zwei Japaner nun ein wenig mehr über Ihre gewälten Vertreter nachdenken.
    Ich weiß ich ibn ein Träumer. ;)

  3. Endlich mal was Schoenes! Hab’s auf FB weitergegeben, und wie gesagt, wenn man die FB Seite unseres geliebten Premiers sieht, seine geschaetzten TV Sendungen tragen die Titel “Lost” und “Damages”. Ich wuerde sagen, das spricht fuer sich (nein, nicht ihn!!).

  4. Ist doch völlig wurscht, wie alt jemand ist, der Fragen stellt, es kommt auf die Fragen an.
    Grundsätzlich gibts jetzt 2 Möglichkeiten:
    A) Abe ist grundsätzlich kritikunfähig oder
    B) Weiß, dass er viel Mist baut, weiß aber keinen Ausweg, was dann in einer Art Verleugnungreaktion endet.
    Beides (leider) sehr verbreitete menschliche Züge.

    • Also meine Frau hat einmal, mit einem Augenzwinkern, die Vermutung geäußert, der Mann sei “bearbeitet” worden. Anders wäre der Unfug, den dieser Mann als Politik verkaufen will, nicht zu erklären.
      Ich würde sagen A+B.

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