Ende vergangenen Jahres habe ich an dieser Stelle das neue (Ab)rechnungssystem vorgestellt, welches am 1. Oktober diesen Jahres in Kraft treten soll. Ganz kurz zusammengefasst will die Regierung mit dem System dafür sorgen, dass die Mehrwertsteuereinnahmen steigen, indem man die Zahl mehrwertsteuerbefreiter Transaktionen verringert und genauer verrechnet, welche Transaktionen 8% und welche 10% Mehrwertsteuer verlangen.
LayerX, ein japanisches Unternehmen, das sich auf Steuerberechnungssoftware spezialisiert, hat das ganze mal ein bisschen unter die Lupe genommen und fand dabei Interessantes heraus. Bei der Untersuchung1 nahm man 40 Firmen und die Arbeitsabläufe von rund 200 Angestellten unter die Lupe, um herauszufinden, wieviel Mehraufwand das neue System mit sich bringen wird. Denn so viel ist klar — die Buchhaltung bekommt durch das neue System nicht weniger, sondern mehr zu tun. Die Bilanz: Man kam zu dem Schluss, das die Begleichung einer Rechnung von einer Firma zu einer anderen 15 Minuten mehr Zeit in Anspruch nehmen wird (das klingt nach extrem viel Aufwand), und die Abrechnung von Spesen wird pro Vorgang 5 Minuten länger dauern. Rechnet man das auf die gesamte Wirtschaft hoch, kommt man so auf einen monatlichen Mehraufwand von 140 Millionen Arbeitsstunden, was die Firmen insgesamt rund 340 Milliarden Yen (rund 2 Milliarden Euro) kostet. Pro Monat. Pro Jahr sind dies stattliche
Japan nimmt pro Jahr in etwa knapp 25 Billionen Yen (150 Milliarden Euro) Mehrwertsteuer ein, und durch die Einführung erhofft sich die Regierung — so eine Rechnung, die bei der Diskussion des Gesetzesentwurfes 2019 im Parlament präsentiert wurde — Mehreinnahmen von rund 250 Milliarden Yen, sprich 1 (in Worten: einem) Prozent mehr als dessen, was ohne das System eingenommen wird. Zusammengefasst bedeutet das also, dass die japanischen Unternehmen für staatliche Steuermehreinnahmen von 250 Milliarden Yen rund 4 Billionen Yen ausgeben sollen. Das ist schlichtweg Wahnsinn.
In der Tat — viele Kunden meiner Firma sind Schulen, und es trudelten bereits die ersten Briefe mit Formularen und Rückantwortumschlägen ein, mit der Bitte, wir sollen doch unsere Registrierungsnummer eintragen und die Formulare zurückschicken. Täten wir dies nicht, würden wir wohl diese Schulen als Kunden verlieren. Doch das kann nicht der Sinn des ganzen sein, denn der Aufwand, diese Formulare zu erstellen und zu verschicken – sowie der Aufwand unsererseits, die Formulare – handschriftlich, versteht sich – auszufüllen und zurückzuschicken hat exakt gar keinen ökomischen Vorteil für beide Seiten.
Natürlich muss man mit der Umfrage vorsichtig sein – schließlich macht die Softwarefirma damit vor allem Werbung in eigener Sache, und mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit will man diese Gelegenheit nutzen, Firmen zu erklären, dass mit der Einführung der Software der Mehraufwand in Grenzen gehalten werden kann. Doch selbst mit diesem Hintergrund steht bereits jetzt fest, dass das neue Rechnungssystem einen erheblichen bürokratischen Aufwand darstellt – mit absolut keinem Wert für die Wirtschaft und einem sehr geringen Wert für den Staat. Dieses sogenannte インボイス制度 entpuppt sich somit schon vor Inkrafttreten als unsinniger Flop.
- siehe hier
Das war schon von Anfang an eine Totgeburt – als die 消費税 mit 3% zum 1.4.89 eingefuehrt wurde, hat sie bereits mehr Geld verschlungen als sie einbringen sollte, und dem Missbrauch waren Tuer und Tor geoeffnet! Zuerst lag die steuerpflichtige Umsatzgrenze bei 30 Mio Yen (ca 250.000 EUR) im Jahr, und jeder Eierhaendler in der oertlichen 商店街 hat die 3% aufgeschlagen – das sind ‘ne Menge Eier, die er/sie/es pro Tag verkloppen muss, um ueberhaupt auf steuerpflichtige Umsaetze zu kommen… Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass uns bald wieder eine Erhoehung der Umsatzsteuer ins Haus steht – einmal dran gedreht, gibt’s kein Halten mehr… :-/
Ich habe mir deinen Beitrag vom November 2022 jetzt mal durchgelesen. Gibt es denn die Möglichkeit für kleine Selbstständige freiwillig umsatzsteuerpflichtig zu werden?
Für mich klingt das ziemlich genau nach dem deutschen System. Als umsatzsteuerpflichtiges Unternehmen kann man Umsatzsteuer, die man an ein anderes umsatzsteuerpflichtiges Unternehmen bezahlt hat, vom Finanzamt zurückverlangen (bzw gegen eigene Schulden an Umsatzsteuer beim Finanzamt einfach gegenrechnen). Wenn der Geschäftspartner keine Umsatzsteuer erhebt, kann man logischerweise auch nichts erstattet kriegen.
Bei Rechnungen mit Unternehmen anderer EU-Staaten läuft es meines Erachtens etwas geschickter. Da muss man auf der Rechnung die VAT-Nummern des Unternehmens (oder beider Unternehmen?) angeben und muss dann die Umsatzsteuer gar nicht erst ausweisen / einziehen. Somit erübrigt sich das buchhalterische Hin und Her.
Im deutschen System – und deine Erklärung vom November klang für mich auch so – hat ein Kleinunternehmer mit vielen Privatkunden und ohne eigene Einkäufe einen Vorteil. Wer selbst Waren einkauft und Firmenkunden hat, sollte lieber freiwillig umsatzsteuerpflichtig werden. Wahrscheinlich war es in Japan bisher so, dass Kleinunternehmer gegenüber allen Kunden Vorteile hatten?
Wenn ich deinen Beitrag vom November richtig verstehe, dann gab es bisher so eine Pi-mal-Daumen-Schätzung, was man an Umsatzsteuer bezahlt hatte und daher vom Finanzamt zurückerstattet kriegen kann? Egal ob man bei umsatzsteuerpflichtigen oder umsatzsteuerbefreiten Zulieferern eingekauft hat?
Wobei ich jetzt an diesem Satz hängen geblieben bin: “Sind diese [das alte Ehepaar, das einen Hammer verkauft] nicht mehrwertsteuerpflichtig, wird der Handwerker die 10% Mehrwertsteuer, die beim Kauf fällig wurden, nicht zurückerhalten”
Wieso zieht das alte Ehepaar 10% Umsatzsteuer ein, wenn sie nicht umsatzsteuerpflichtig sind?
Moin, ich greife da mal vor:
1) Ja, man kann sich als Selbstaendiger jederzeit fuer die Umsatzsteuer anmelden.
2) Die Pflicht zur Umsatzsteuer beginnt erst bei ¥10 Millionen / Jahr steuerpflichtigem Umsatz. Klartext: wenn man ¥9 Millionen ins Ausland (USt.-frei!) verkauft und nur ¥5 Millionen im Inland (theoretisch steuerpflichtig), bleibt man noch von der Umsatzsteuerpflicht verschont. Eine Sonderregelung fuer Kleinunternehmer gibt es bislang nicht.
3) Die Absetzbarkeit der Vorsteuer (so nennt man den Umsatzsteuer-Anteil am Wareneinkauf von anderen gewerblichen Unternehme(r)n) laeuft bislang im Prinzip so wie in Deutschland. Ab 1.10. wird man sie ohne Umsatzsteuernummer nicht mehr als Vorsteuer absetzen koennen. Das soll m.E. in erster Linie Kleinunternehmer in die Umsatzsteuerpflicht pressen, ohne dass sie das Handtuch werfen und den Laden schliessen…
4) Die Anmeldung der Umsatzsteuer erfolgt einmal jaehrlich (in Deutschland i.d.R. monatlich, damit das Viehnanzamt Umsaetze und Gewinne abschaetzen kann, um ggf die Vorauszahlungen auf Einkommen- bzw Koerperschaftssteuer raufzusetzen).
5) Umsatzsteuer zu berechnen, obwohl man gar nicht umsatzsteuerpflichtig ist, ist eine Steuerstraftat und kann einem ganz schnell die Steuerfahndung ins Haus holen… Leider ist das trotzdem weit verbreitet, denn die Steuerfahndung ist notorisch unterbesetzt und wird nur dann aktiv, wenn’s richtig was zu holen gibt…
6) “Pi mal Daumen” wird i.d.R. in diesem Lande nicht akzeptiert… Es muss auf den ersten Anschein stimmig sein (staendig Verluste einfahren, aber einen Benz fahren und die Kinder auf die Deutsche Schule schicken – sowas ist nicht stimmig und erregt Verdacht…).
7) Die Regelungen innerhalb der EU sind weitaus komplizierter – ab bestimmten Umsaetzen, die von Zielland zu Zielland unterschiedlich sind, muss man naemlich dort Umsatzsteuer zahlen, und in der FiBu muss das auch dokumentiert sein, was man wohin verkauft… Fuer Details wende man sich an seinen Steuerverbrater…
Ich bin dir sehr dankbar für die Antwort!
Dafuer nich’ … ;-)