BlogLivebericht aus dem japanischen Gesundheitswesen

Livebericht aus dem japanischen Gesundheitswesen

-

Richtig krank war ich schon lange nicht mehr, und selbst meine Zähne machten seit rund 10 Jahren keinen Ärger. Das ist verdächtig. Irgendwann kommt das bestimmt mal ganz dicke, dachte ich mir so. Und siehe da. Am Sonnabend sollte es los gehen. Irgendwie fühlte sich der Gaumen komisch an. Als ob ich mich verbrannt hätte. Die Schmerzen kamen in Wellen. Am Sonntag wurde es nicht besser, denn die Schmerzen begannen, sich auf die Zähne und den Kopf auszustrahlen. Will heissen, nicht ein Zahn tat weh, sondern gleich mal 10. Oder so. Plus Kopfschmerzen. Plus Gaumen, der in Flammen zu stehen schien. Ausgerechnet am Sonntag.
Aber wohin damit? Zahnarzt? HNO? Was war da los? Erstmal zum Zahnarzt. Nach einer Weile fand ich einen, der auch am Sonntag geöffnet hat. Also fahre ich mit dem Fahhrad hin – 2 km Berg und Tal, bei segender Sonne und explodierendem Kopf. Dort angekommen, merke ich, dass ich meine Krankenkassenversicherungskarte nicht dabei habe. Die habe ich sonst immer, wirklich immer dabei. Ausgerechnet heute aber nicht. Ob es ausreicht, wenn meine Frau ein Photo davon schickt? Das tat sie auch, aber der liebe Herr Doktor meinte, er brauche dann doch eher das Original. Also 2 km zurück. Und wieder 2 km hin. 10 Minuten später schaut man mir kurz ins Maul, immerhin mit Kamera, und sagt: “Man sieht nichts. Vielleicht leicht verbrannt?” Ich verneine. Dann tastet er sich vor: Kalte Luft. Ach, hier tut’s weh, ja? Noch mal mit dem Instrument draufdrücken: Hier, ja? Haaaaaaaaaai! Ich muss mich arg zusammenreissen. Diagnose: Also das ist zu weit vom Zahn weg, das kommt bestimmt nicht vom Zahn. Ist bestimmt nur die Schleimhaut gereizt – das geht bestimmt von alleine wieder weg. Falls nicht, kommen sie in ein paar Tagen noch mal wieder, und ich gebe ihnen eine Überweisung zu einem Facharzt!”
Mit einem komischen Gefühl bezahle ich die 950 Yen Ins-Maul-schauen-Gebühr und trolle mich. Nicht die Zähne? Das ist gut. Ich hasse Zahnärzte. Aber was ist es dann? Dank des Abtastens und der Bestrahlung mit Luft haben sich die Schmerzen jedenfalls in etwas entwickelt, was nur schwer zu beschreiben ist. Ich habe jedenfalls keine Kraft mehr, noch einen anderen Arzt aufzusuchen.
Nun gut. Ich schleppe mich also am Montag zur Arbeit und gehe auf dem Weg dorthin zu einem Allgemeinarzt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Gaumen geschwollen ist, aber es liegt in der Natur des Gaumens, dass man sich jenen nur schwer selber ansehen kann. Ja, versucht es mal mit nur einem Spiegel! Also gehe ich zu einem Allgemeinarzt gleich neben unserem Büro. “Hmm, also man sieht nichts. Vielleicht haben Sie sich verbrannt? Ich verschreibe ihnen mal was zum Gurgeln. Geht bestimmt von allein wieder weg – wenn nicht, schreibe ich Ihnen eine Überweisung für den Facharzt”.
Prima! Zwei Ärzte, eine Meinung. Beide scheinen zu denken, dass da gerade ein Hypochonder vorbeigeschaut hat. Das hilft mir freilich wenig, und ein explodierender Kopf erschwert das Programmieren, Übersetzen, Buchführung und Meetings und alles ungemein. Ich rufe also das hiesige Krankenkaus in Hiroo an. Ob ich einen Termin beim Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen bekommen kann. “Also diese Woche wird das nichts… ach nein, warten sie! Freitag? Ginge das?”. Geht nicht. Also erstmal doch, aber ich bin mir sicher, nicht den Freitag zu erleben, wenn das so weiter geht. Falls es ein Notfall sei, könnte ich aber auch direkt dort anrufen und fragen, ob es eher geht.
Es war ein Notfall. Obwohl, mal davon abgesehen, dass Essen, Trinken, Schlucken und Schlafen beinahe unmöglich waren, ging es mir eigentlich blendend. Ich schilderte also meine Lage. Die Schwester am anderen Ende schien gestresst zu sein. Aber meine Beschreibung war offensichtlich plastisch genug. Sie bat mich, kurz zu warten, und sagte schliesslich: “Könnten Sie jetzt vorbeikommen? Der Arzt meinte, er könne sich das vor dem Mittag ansehen”. Ich konnte. Alles andere musste einfach warten.
10 Minuten später. Da ich zum ersten Mal dort bin, melde ich mich erstmal im Krankenhaus an. Dann werde ich zum Facharzt geführt. Noch mal Formular ausgefüllt (Allergien? Trinken sie Alkohol? …) – und keine 5 Minuten später ruft mich ein Arzt in eine von insgesamt 7 nur doch Vorhänge abgetrennte Boxen. Ich setze mich also hin, erkläre – so weit das eben mit geschwollenem Gaumen geht – meine Lage. Er schaut einmal rein, drückt kurz rauf und meint: “Ah ja. Das ist deftig! Das müssen wir sofort mit dem Skalpell aufschneiden”.
Das Gefühl, gleichzeitig geschockt und begeistert zu sein, kannte ich bis dahin nicht so ausgeprägt. Der Mann scheint zu wissen, was er macht! Er erklärte lang und ausgiebig, was da los war. Betäubung, aufschneiden usw. usf… und er schickte mich herauf sofort zum Röntgen, Zahn-CT und Blutbild. Ein Marathon, der letztendlich fast 3 Stunden dauern sollte. Aber immerhin mit Happy End: Die Besserung stellte sich nach ein paar Stunden ein. Sicher, das war es noch nicht ganz, und ich werde wohl auf geraume Zeit Stammgast beim Zahnarzt werden… bestimmt aber nicht bei dem oben genannten. 11,000 Yen (rund 80 Euro) ärmer, aber halbwegs glücklich konnte ich mich dann endlich zurück zum Büro trollen.
Nach all den schlechten Dingen, die ich so über japanische Krankenhäuser gehört habe, muss ich meine erste Erfahrung damit erstmal als positiv einstufen. So schnell möchte ich da allerdings nicht wieder hin….

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

13 Kommentare

  1. Nach dem Artikel über den Allergietest, der in den USA satte 2500$ kostet, bist du wenigstens finanziell nicht allzu mies davongekommen…

    • Sowas habe ich mir beim lesen auch gedacht.
      Egal ob Hausarzt, Zahnarzt oder Spital – in der Schweiz sind die Kosten jenseits von gut und böse. Schon für den Augenkontakt gehen da schnell mal mehrere tausend Yen flöten. Ob es dann Quacksalber oder wahre Koryphäen sind ist dann auch wieder eher Zufall – aber das ist wohl überall so.
      So oder so – gute Besserung!

    • Es sind wohl Bakterien über eine vor vielen Jahren nicht korrekt behandelte Zahnwurzel in einen Nerv im Gaumen eingewandert… das kriegt man mit Penicillin in den Griff, aber die Wurzel muss wohl noch mal behandelt werden, sonst kann das wieder passieren.

      • Gute Besserung! Bei deinem Bericht habe ich gerätselt, ob ein Nerv mit im Spiel ist. Das konnte ich mir aber nicht recht vorstellen, wenn woher hätte der betroffen sein sollen. So macht es (leider) Sinn. Ich hoffe, dass du bald wieder ganz gesund bist!
        Meine eigene Erfahrung mit einem Hausarzt war übrigens gut. Ich hatte Grippe. Das hatte er nach kurzem Fühlen der Lymphknoten, in den Mund schauen und einem Abstrich (inkl. Test) sehr schnell raus. Dann gab es ein paar Medikamente und in wenigen Tagen war ich wieder fit.

  2. Nuja, ich war dieses Jahr im Winter in Tokyo im Krankenhaus und muss sagen ich war begeistert.
    Auf den Stuhl vor dem Arzt gesessen, nach dem er 5x 前 gesagt hat saß ich ihm dann fast auf dem Schoss –> Grelles Licht –> alles klar, hier Antibiotika und bald ist alles wieder gut.
    Tja und naja, das wars, hab das Antibiotika genommen und der Urlaub war gerettet.

    • Achso, ich hab vielleicht vergessen zu erwähnen wie lange und kompliziert es war als Tourist zu Neujahr um 3 Uhr Nachts in ein Krankenhaus zu kommen wenn man selber nicht weiss was man eigentlich hat, aber das ist eine so lange Geschichte dass das schon ein eigener Blog Eintrag wäre ;)

  3. Schön, dass du gute Erfahrungen machen konntest.
    Ich muss hier in Japan leider regelmäßig zum Arzt, weil ich ne chronische Krankheit habe. Ist nix dramatisches, braucht aber regelmäßige Check-ups und Medikamente.
    Aus diesem Grund habe ich (leider) auch schon extrem viel Erfahrung sammeln dürfen.
    Ich glaube aber auch, dass meine teilweise schlechten Erfahrungen daran liegen, dass ich bisher immer nur auf dem Land gelebt habe, wo zum Teil schon viele Quacksalber rumlaufen. Sowas findet man ja in Deutschland auch.
    Andere Dinge regen mich dagegen viel mehr auf – nicht zuletzt die extrem hohen Kosten für jemanden wie mich, der regelmäßig zum Arzt muss. Früher hab ich meine 10€ Praxisgebühr bezahlt und dann noch ein paar Euro für die Medis und das wars. Hier zahl ich jedes Mal zwischen 2500 und 6000 yen JEDEN MONAT für den Check-up (je nachdem ob Blut abenommen wird oder nicht) und für die Medikamente nochmal rund 1000 yen (für 28 Tage). T____T ….
    Was ich hier schon alles an Kohle gelassen hab …..

  4. Jaja, die Dentisten!
    Ich habe den meines Vertrauens gefunden …. und er verstand damals sofort mein groesstes Problem: Zahnarzt-Phobie.
    Das war vor 5 Jahren. Jetzt ist alles kein (grosses) Problem mehr. Hingehen, hinsetzen, den Mund aufreissen und die Prozeduren ueber sich ergehen lassen (vor 2 Wochen erfolgreich ein Zaehnchen entfernt *_*).
    Und die Gebuehren sind auch wesentlich guenstiger als in Germanien. Es kommt halt immer darauf an, wen man sich auswaehlt! Meinen Zahnklempner kann ich waermstens (auch hinsichtlich Behandlung und Fachwissen) weiterempfehlen!!

  5. Gute Besserung!
    Ich könnte aber in Deutschland genau so ein Lied über schlechte Ärzte singen, von geldgierigen und schlampig arbeitenden Zahnarzten bis zu Hausärzten, die Depressionen selbst mit Homöopathie behandeln wollen.

  6. Gute Besserung auch. :-)
    Ich sollte irgendwann auch mal zum Zahnarzt. Aber solange ich keine Beschwerden hab bringen mich da keine zehn Pferde hin.

  7. Hallo,
    alles Gute für die Zähne. Gibt es in Japan nicht auch so etwas wie TCM? Hast Du es da schon mal probiert?
    Wegen dem Spiegel: Man kann in Deutschland in jeder Drogerie so einen einfachen kleinen runden Spiegel an einem Stiel aus Plastik kaufen (quasi wie eine Zahnbürste nur mit Spiegel statt mit Bürste), der 45° geneigt ist.
    So was hier: http://de.aliexpress.com/item/Dental-Plastic-bur-block-dental-mouth-mirror-Disposable-mouth-mirror/1447758244.html

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Neueste Beiträge

Japaner sprechen immer schlechter Englisch. Warum wohl?

Neulich war ich, wie jedes Jahr, auf einer Konferenz, bei der sich hauptsächlich viele hundert Hochschulenglischlehrer, aber auch viele...

Toyako – Ein See wie ein Auge sowie zwei nagelneue Berge

Der Toya-See ist ein wichtiger Bestandteil des Shikotsu-Tōya-Nationalparks im Süden von Hokkaido. Hochinteressant: Ein nagelneuer Vulkan.

Weg mit dem unsinnigen Besteuerungssystem für Zweitverdiener? Bewegung im Parlament

Die Besteuerung von Zweitverdienern ist seit Jahrzehnten ein großes Ding in Japan und hat einen enormen Einfluss auf fast...

Ein verschwundener Zaun und explodierte Eier

Heute trieb es mich also aus mehr oder weniger beruflichen Gründen nach Fuji-Yoshida, beziehungsweise nach Kawaguchiko, einem der 5...

Noboribetsu – der Ort des (niedlichen) Teufels

Hohe Berge, eine lange Pazifikküste und viele heiße Quellen, die mancherorts aus dem Boden sprudeln – sowie einen Berg voller Bären.

Sollte Laufen auf der Rolltreppe verboten werden?

Rund 80'000 Rolltreppen gibt es in ganz Japan (nur am Rande: und fast zehn Mal so viele Aufzüge) –...

Must read

Die 10 beliebtesten Reiseziele in Japan

Im Mai 2017 erfolgte auf dem Japan-Blog dieser Webseite...

Auch lesenswertRELATED
Recommended to you