Es ist ein Thema, das in Japan im Vergleich zu vielen anderen Industrieländern eher totgeschwiegen wurde: Die Debatte darum, wie die Gesellschaft mit Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender umgehen soll. Denkt man in Japan an Schwule, so fallen den meisten wahrscheinlich nur die Begriffe オネエ Onee (eigentlich: ältere Schwester) oder 新宿2丁目 Shinjuku 2-chōme (Stadtviertel in Tokyo, das berühmt ist für seine sexuelle Vielfalt) ein. Sofort denkt man auch an bekannte und bekennende LGBT-TV-Grössen, seien sie echt (Matsuko Deluxe, Haruna Ai, Ikko) oder Karikaturen (“Hard Gay”). Doch so recht passt LGBT nicht ins japanische Schema einer glücklichen Familie: In Sachen Familie ist man nach wie vor eher konservativ eingestellt – so sind zum Beispiel uneheliche Kinder quasi undenkbar. Und gewisse Vorurteile halten sich sehr hartnäckig – dass Schwule zum Beispiel oft Geschlechtskrankheiten haben und dergleichen. Zumindest keine Bekennenden.
Ein paar unbedachte Bemerkungen diverser Politiker haben in den vergangenen Wochen jedoch eine Lawine ins Rollen gebracht – LGBT ist plötzlich Gesprächsthema. Allen voran wäre da Mio Sugita, eine Politikerin und Parlamentsabgeordnete der Liberaldemokraten, die bei einem Interview für ein Wochenmagazin unter anderem beklagte, dass den LGBT die Fähigkeit fehlt, zu reproduzieren (生産性がない seisansei ga nai). Tanigawa, ebenfalls Abgeordneter der Liberaldemokraten, offenbarte ein paar Tage zuvor seine Sicht der Dinge – nämlich dass LGBT ein “Hobby” sei und es von daher nicht notwendig ist, Gesetze für LGBT zu ändern oder zu schaffen. Diese Ansicht ist freilich nicht neu – sie wurde auch schon 2016 von Fumi Kobayashi, Regionalpolitikerin aus Tokyo, verbreitet und dürfte dem entsprechen, was viele Japaner (und nicht nur die, natürlich) von LGBT halten.
Wie zum Beispiel auch in Russland und etlichen anderen Ländern, in denen Homosexualität gesellschaftlich wenig Akzeptanz findet, hört man öfter Kommentare wie “Ich verstehe nicht, warum es in westlichen Ländern so viele Schwule und Lesben gibt” in Japan. Eine sehr naïve Bemerkung, die beweist, dass es an elementarem Wissen über LGBT fehlt – und dementsprechend auch an Verständnis. Ob die jetzige Debatte (wohlgemerkt nicht die erste) daran etwas ändert, wird sich zeigen.
Doch wo Schatten ist, ist auch Licht. Parteiobere der Liberaldemokraten distanzierten sich schnell von den Bemerkungen. Und die bekannte Ochanomizu Women’s University gab im Juli bekannt, dass sie ab 2020 auch Transgender zulassen werde (Anmerkung: In Japan gibt es zahlreiche Frauen-Universitäten und andere -schulen.
“Ja, warum wollen denn im Westen so viele Leute LGBT sein, obwohl sie trotzdem mit Anfeindungen rechnen müssen??” Für eine Nation, die sogar denkt, dass eine Unfähigkeit zum Englischlernen angeboren ist, eine tatsächlich selten dämliche Frage.
Vielleicht sollten heterosexuelle Paare ohne Kinder auch bestraft werden. “Wie, kein Geld für Kinder? Wie, zu überarbeitet? Unfruchtbar?? Ihr wollt nur nicht! Bußgeld! Zwangsscheidung!!” Würde mich kein Stück wundern. Das baue ich alles in meinen ersten dystopischen Roman ein. Und Frauen bekommen nur noch eine gute Arbeitsstelle, wenn sie eine Hysterektomie nachweisen können.
… Sorry, Japan frustet mich gerade etwas.