BlogKreuchendes und Fleuchendes Teil 2

Kreuchendes und Fleuchendes Teil 2

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Vor Jahren hatte ich dem Thema schon mal einen Beitrag gewidmet – da wird es mal Zeit für eine 2. Folge, wobei ich mir natürlich bewusst bin, dass das Thema viele Leser nur sehr peripher tangieren wird… Anlass für Teil 2 war der Wunsch meines Sohnes, ein Mal nach Einbruch der Dunkelheit in einen Park zu gehen, um クワガタ kuwagata – Hirschkäfer – zu fangen, die vor allem nachts aktiv werden. Die zu finden ist auch gar nicht so schwer – selbst in der Großstadt nicht – denn man brauch nur nach kunugi (Japanische Eichenkastanie) zu suchen, und dort dann denn Stamm kurz unter Augenhöhe zu inspizieren, und schon findet man die Gesellen. In relativ kurzer Zeit waren so ein Männchen und fünf Weibchen gefunden (und später natürlich wieder freigelassen). Das Sammeln von Hirsch- und Nashornkäfern ist geradezu ein Volkssport bei Schulkindern, und beide Arten findet man relativ häufig, so man weiss, wo man suchen muss.

Japanische Hirschkäfer (kuwagata) Japanische Hirschkäfer (kuwagata)

Womit ich allerdings bei dem nächtlichen Waldspaziergang nicht gerechnet hatte: Unterwegs stiessen wir auf eine Zikade, die gerade dabei war, ihre Haut abzustreifen. Die meisten Arten krabbeln nämlich Ende Juli/Anfang August aus dem Boden, wo sie dann überall deutlich sichtbare Löcher hinterlassen. Kurze Zeit später sind dann Baumstämme und Blätter mit den abgestreiften Hüllen nur so übersät. Das abstreifen der Haut geschieht relativ schnell — innerhalb einer Stunde ist das Tier aus seiner Hülle geschlüpft und dabei, seine Flügel zu entfalten. Ein interessanter Anblick. Einen Tag später sehen die Zikaden dann schon wieder ganz anders aus, und sie erreichen eine beachtliche Lautstärke von 70 db – in zwei Metern Entfernung gemessen. Dabei machen die verschiedenen Arten ganz unterschiedliche Geräusche:

Aburazemi: “dschilidschilidschilidschili”

Minminzemi: “miiinminminmin”

Kumazemi: “Shasshasshassha” oder auch “ßenßenßenßenßen”

Tsukutsukubōshi: “dschiii zukuzukuboooschi zukuzukuzuku booo”

Niiniizemi: “tschiii tschiii”

Higurashi: “kanakanakana”

Die ersten beiden hört man am häufigsten in Tokyo – für den Rest muss man schon etwas weiter weg fahren.

Zikade: Der alte Anzug wird abgestreift... Zikade: Der alte Anzug wird abgestreift…
... und die Flügel entfaltet... … und die Flügel entfaltet…
...dann noch ein bisschen Teint und fertig …dann noch ein bisschen Teint und fertig

Im Wald, vor allem nachts, gibt es noch viel mehr zu entdecken. Darunter auch — japanische Kakerlaken. Gegen die ich auch absolut gar nichts einzuwenden habe — vorausgesetzt, sie bleiben im Wald und besuchen mich nicht zu Hause. Kakerlaken sind im Wald relativ häufig anzufinden.

Obwohl Kakerlaken als “unkaputtbar” gelten, haben sie durchaus etliche Feinde. Dazu zählen unter anderem die Hundertfüßer, die sich gern unter der Baumrinde verstecken und nachts nach draussen kommen. Berühmt-berüchtigt sind da die Mukaden – hochgiftige und aggressive Tiere, denen man auch als Mensch lieber aus dem Weg gehen sollte. Weniger bekannt sind die ゲジ geji genannten Spinnenläufer – die sind noch grösser als die Mukaden, aber für Menschen weit weniger gefährlich.

In Japan sehr häufig anzutreffende Kakerlakenart In Japan sehr häufig anzutreffende Kakerlakenart
... und ein kakerlakenverzehrender Spinnenläufer … und ein kakerlakenverzehrender Spinnenläufer

Zugegeben, optisch sind die obigen Tierchen nicht weit oben auf der Niedlichkeitsskala. Zur Entschädigung deshalb noch ein Bild einer ō-shiokara-tonbō – einem “Riesen-Östlicher Blaupfeil”, einer Libelle, die sich freundlich einzig aus Kontrastgründen auf dem roten Gartenmobiliar niederliess.

Riesenlibelle Riesenlibelle

Das aus Mitteleuropa, aber auch aus anderen Regionen der Welt berichtete Insektensterben scheint in Japan kein Thema zu sein. Je nach Quelle gibt es verschiedene Angaben über die Zahl der Arten – in Deutschland sind es wohl circa 30,000 bis 40,000 und in Japan wohl auch. Natürlich gibt es aber Unterschiede in den Artenbeständen: In Japan gibt es wesentlich mehr Käfer-, Libellen- und Schmetterlingsarten sowie in Mitteleuropa (noch) nicht verhandene Ordnungen wie die der Termiten zum Beispiel, vor denen sich Hausbesitzer in Japan – zurecht – fürchten, da ja die meisten Einfamilienhäuser aus Holz gebaut sind.

Eine – grobe – Übersicht der Arten gibt es hier:

Ordnung Japanisch Deutsch Arten in Japan Arten in Deustchland/Mitteleuropa
Anoplura シラミ目 Echten Tierläuse 32 30
Archaeognatha イシノミ目 Felsenspringer 15 15
Blattaria ゴキブリ目 Schaben 5 2
Coleoptera 鞘翅目(甲虫目,コウチュウ目) Käfer 10,233 6,000
Collembola トビムシ目 Springschwänze 380 300
Dermaptera ハサミムシ目 Ohrwürmer 20 7
Diplura コムシ目 Doppelschwänze 12 50
Diptera 双翅目(ハエ目) Zweiflügler (Fliegenarten) 5,183 9,200
Embioptera シロアリモドキ目 Fersenspinner 3 ?
Ephemeroptera カゲロウ目 Eintagsfliegen 147 100
Hemiptera カメムシ目 Schnabelkerfe (Wanzen, Zikaden etc.) 2,973 6,000
Hymenoptera 膜翅目(ハチ目) Hautflügler (Bienen, Ameisen Wespen etc.) 4,516 10,000
Isoptera シロアリ目 Termiten 21 ?
Lepidoptera 鱗翅目(チョウ目) Schmetterlinge 5,337 3,600
Mallophaga ハジラミ目 Kieferläuse 150 ?
Mantodea カマキリ目 Fangschrecken 9 1
Mecoptera 長翅目(シリアゲムシ目) Schnabelfliegen 45 ?
Neuroptera 脈翅目(アミメカゲロ目) Netzflügler 154 120
Notoptera ガロアムシ目 Grillenschaben 6 ?
Odonata トンボ目 Libellen 180 85
Orthoptera バッタ目 Heuschrecken 370 80
Phasmida ナナフシ目 Gespenstschrecken 19
Plecoptera カワゲラ目 Steinfliegen 145 127
Protura カマアシムシ目 Beintastler 51 41
Psocoptera チャタテムシ目 Staubläuse 85 100
Siphonaptera 隠翅目(ノミ目) Flöhe 71 80
Strepsiptera 撚翅目(ネジレバネ目) Fächerflügler 41 ?
Thysanoptera アザミウマ目 Fransenflügler 207 214
Thysanura シミ目 Zottenschwänze 14 ?
Trichoptera 毛翅目(トビケラ目) Köcherfliegen 323 400
30,747 36,552

(Quellen: Siehe hier, hier und hier)

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

9 Kommentare

  1. Ich finde die Beziehung zwischen Insekten und Menschen in Japan immer sehr interessant!

    Vor ein paar Jahren war ich in Osaka mal in einem Beetle-Shop,das war richtig cool.

    Gruß David

  2. Hallo Matthias,
    dankeschön für diesen interessanten Beitrag. Schon dein letzter Beitrag über die Insekten hat mir gut gefallen und ich freue mich, dass du dieses Thema nochmal aufgegriffen hast. Sind die Zikaden-Fotos von einem einzelnen Insekt? Wie viel Zeit war zwischen den Aufnahmen vergangenen? Ich habe die Zikaden nur im “fertigen” Zustand tagsüber gesehen und in der Nacht war es mir irgendwie gar nicht in den Sinn gekommen nach ihnen Ausschau zu halten :-( Werden Zikaden auch von anderen Insekten gefressen, wie Kakerlaken von Spinnenläufer?
    Liebe Grüße
    Natalia

    • Danke… so viel Zuspruch hatte ich gar nicht erwartet :)
      Fotos 1 und 2 sind die gleiche Zikade – das geschah innerhalb von 30 Minuten. So weit ich weiss, brauchen die Tiere dann nur eine Nacht bis sie wie auf Foto 3 aussehen.

      Als Fressfeinde gelten hier Gottesanbeterinnen (und die sind hier beachtlich gross), Spinnen, Hornissen — vor allem aber Vögel. Allerdings habe ich in all den Jahren hier zwar schon oft gesehen, wie zum Beispiel Krähen eine Taube reissen. Aber das sie auf Zikaden losgehen, habe ich noch nie gesehen. Schliesslich sind die Zikaden ja auch fast hohl – sie sind zwar gross, aber sehr, sehr leicht.

  3. Hallo,
    danke für den Beitrag, ich mag Insekten und alles was krabbelt. Ich hatte Zeitweise mehrere Terrarien, musste das aber aus Zeitgründen lassen :-(, nur ein Garnelenaquarium ist geblieben. Das heisst ich werde bei nächsten Besuch auch mal nachts unterwegs sein :-), wobei ich hatte auch tagsüber Väter mit Söhnen ( und auch Söhne ohne Väter, allerdings nur wenige ) mit Netz und Sammelbox gesehen

  4. danke für den interessanten Beitrag und die besonders auch die Photos.
    Ja, die Begeisterung der Japaner für Insekten…
    Vor etlichen Jahren fand ich ein Buch des “Altmeisters” Hearn, Insect Literature ; Hokuseido Tokyo 1921. Er beschreibt (englisch – japanisch) alte Bräuche und Geschichten dazu einige hundert Gedichte. Leider gelang es mir nicht, ein Photo einer Seite einzufügen, nur ein Beispiel
    Hoshi hitotsu
    Miru made asobu
    Tombo kana!

    • Danke für den Tipp mit “Insect Literature”; habsch mir gleich mal kommen lassen. Sehr fein! und natürlich ein großer Dank an den @tabibito; allein schon für das wunderbare Foto mit der Libelle.

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