Seit 2002 gibt es sie – die Untersuchung zum “Leben und gegenseitigem Bewusstsein von Männern und Frauen” (男女の生活と意識に関する調), durchgeführt und veröffentlicht von der JFPA 一般社団法人日本家族計画協会 (Japan Family Planning Association Inc.)¹. Ein Teil der Untersuchung beschäftigt sich mit der Frage, wie Japaner Sex gegenüberstehen². Und die Zahlen verblüffen mich alljährlich aufs Neue: Der Umfrage unter 3,000 Japanern zufolge haben rund 45% der 16-bis 29-jährigen Frauen entweder kein Interesse am Sex oder finden es abstoßend – bei den Männern sind es rund 20%. Nicht überraschend ist, dass vor allem die Gruppe der 16 bis 19-jährigen reichlich desinteressiert ist. Wie und wo sollten sie auch Gelegenheit dazu haben im straff organisierten Oberschulenleben und der Tatsache, dass es einfach nicht drin ist, sich zu Hause zu besuchen.
Im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren zeichnet sich jedoch ein Trend sehr deutlich ab: Japanische Männer zwischen 25 und 29 Jahren haben immer weniger Interesse an Körperkontakten abseits der völlig überfüllten Berufsverkehrsmittel. Waren 2008 noch unter 8 Prozent von ihnen desinteressiert, so waren es dieses Jahr bereits rund 22%. Den Begriff des 草食男子 (sōshoku danshi – wörtlich: “Grasfressender Mann”) gibt es ja nun schon eine Weile, und er charakterisiert Männer, die wenig bis kaum Interesse am anderen Geschlecht zeigen. Nun aber macht der Begriff des 絶食男子 (zesshoku danshi – Abstinenzler) die Runde.
Woran liegt’s? An der aufgrund der wirtschaftlich nicht gerade vorteilhaft aussehenden Lage und dem damit steigenden Erfolgsdruck? An mangelnder Aufklärung? An der Angst davor, eine Familie mit Kindern und allem drum und dran zu gründen – eine wichtige Angelegenheit, die von der Politik und der Gesellschaft sträflich vernachlässigt wird? Oder liegt es gar an der extrem Hedonismus- und Egoismus-fördernden Werbung, die heuer nur mehr das Sterile, Reine propagiert? Jemand sollte mal eine Zählung durchführen, wie oft deutsche Werbung traute Zweisamkeit propagiert – und wie oft das in Japan zu sehen ist: In Japan kommen in der Werbung normalerweise nur ganze Familien mit Kindern vor – in der Regel aber glückliche Singles oder Frauen, die nur unter sich glücklich sind.
An der Religion kann es sicher nicht liegen, denn die beschäftigt sich nicht mit Sex und verbietet ihn entsprechend auch nicht. Die Gründe sind sicher vielschichtig, aber der Trend als solcher stimmt schon etwas traurig. Eine sexlose Gesellschaft kann nicht gedeihen. Und eine Gesellschaft, die ihren Mitgliedern nicht mal Zeit dazu lässt, über Sex nachzudenken beziehungsweise keine Gelegenheiten schafft, hat ein arges Problem. Aber das ist in Japan mittlerweile ein alter Hut.
¹ Die Webseite der JFPA findet man hier.
² Einen Abstrakt des diesjährigen Berichtes findet man bei der Mainichi Shinbun.
Tja, gibt doch schon Tag des Meeres, Tag des Grüns, Tag des Kindes … wie wär’s mit einem Tag des Kindermachens?!
Interessanter und überraschender Beitrag. Das steht ziemlich konträr zu dem Bild, was ich bisher von der japanischen Sexkultur hatte.
Gut, was die japanische Pornoindustrie (inkl. der Hentai-Manga) an Werten vermittelt, legt schon die Vermutung nahe, dass zumindest Frauen wenig Spaß beim Sex haben dürften, da die Sexualität des Mannes komplett ich-bezogen erscheint (was durchaus an mangelnder Bildung/Sensibilisierung in dem Bereich liegen könnte) – korrigiere mich, wenn ich da falsch liege, es ist ja nur mein subjektiver Eindruck (wobei ich da auch einige eigene Erfahrungen mit ostasiatischen Männern vorweisen kann, die diesen Eindruck bestätigen). Von daher glaube ich sofort, dass japanische Frauen weniger Interesse an Sex haben. Aber japanische, junge Männer hätte ich schon tendenziell als sehr stark sexinteressiert eingeschätzt.
Vielleicht ist es auch nur das Bild von Japan, was diesen Eindruck unterstützt: ich denke da an das Hostessen und Hostsystem, an die Love Hotels, an Gokons, an Maid- und Unten-Ohne-Cafés, an diese ganze komische Idols-Geschichte, wo sich minderjährige Mädchen im Badeanzug in Magazinen räkeln und schreiben, sie stehen auf den „molligen Typen“, oder die Masse an Pornographie (selbst Loli- und Shota-Zeug), was in keiner gut sortierten Videothek/in keinem gut sortierten Buchladen/Mangaladen fehlen darf. Das weckt den Eindruck einer überdurchschnittlich großen Nachfrage nach Sex (so im Vgl. zu anderen Ländern), oder?
Nun, man müsste die selben Statistiken mal für Deutschland sehen, um das vergleichen zu können.
Gruß,
Elsa
PS: dein Blog gefällt mir sehr. Ich werde versuchen immer mal vorbei zu schauen, auch wenn ich nicht der ganz große Kommentarschreiber bin. Und ich hoffe, es ist auch okay, dass ich dich hier einfach duze?
Vielen Dank für die Blumen, und gegen das Duzen habe ich natürlich gar nichts.
Was das Bild der japanischen Sexindustrie anbelangt – ich denke mal, dass das wie in so vielen anderen Fällen auch die Realität nur ungenügend widerspiegelt. Nur eine Minderheit treibt sich in den Maid- und andere Cafes herum oder verfällt dem Lolita-Wahn – die grosse Mehrheit interessiert sich dafür maximal am Rande.
Letztendlich dürften die fehlende Aufklärung sowie der Mangel an Zeit und Gelegenheit eine grössere Rolle spielen.
@ Elsa, ich denke, gerade da liegt der Knackpunkt: Entweder ist man so an den dort dargestellten Sex gewöhnt, dass das “Normale” (oder sagen wir Reale, mit einer Partnerin gelebte) keinen Spass macht, aber diese Heftchen etc. existieren gerade deshalb, weil die Herren sonst keine Möglichkeit, sich auszuleben. Wenn man vorgegaukelt bekommt, Models interessieren sich für Tarou-Durchschnittsjapaner und dementsprechend seine Standards hochschraubt, wird man lange allein bleiben.
Ich weiß nicht so recht. Das einen der allgemeine Zustand der Gesellschaft, der Arbeitsalltag und die Medien auf die Idee bringen könnten, ohne Ehe und Kinder besser dran zu sein, kann ich ja noch nachvollziehen. Aber deswegen muss man ja nicht gleich ins Kloster umziehen.
Oder ich sehe die Sache ganz verkehrt und es geht tatsächlich nur um das kleine Stückchen Freiheit und Territorium, welches man für sich allein hat und nicht mehr teilen möchte.
Ich bin deutscher 25 aber schaue auch viele animes. Es liegt glaub ich daran, dass Frauen aus Fleisch und Blut nicht mehr mit den anime Frauen konkurrieren können. Zumindest Frauen in Deutschland. Man verliert das Interesse an echten Frauen und wendet sich mehr den Fantasiefrauen in comics und animes. Ich kann mir keine beziehung mit deutschen Frauen vorstellen. Vielleicht noch mit koreanischen und japanischen frauen… erinnern mich animes… weiss jetzt auch nicht wie die realtitat dort ist. Aber mich öden deutsche frauen richtig an. Ja manche ekelm mich sogar an. Auch wenn sie total attraktiv sind. sex ist auch irgenwie öde nach dem 2 mal. Ist alles entzaubert Man weiss gar nicht fuer was man diese frauen braucht. Sie koennen nicht kochen und backen und es fehlt ihnen irgendwie an werte und reinheit im geist oder was auch immer. Ich glaube es liegt an den Frauen es ist als haetten sie verlernt frau zu sein. Sexy suesse anime robotor frauen sind glaub ich die zukunft. Ich habe einen staubsaugroboter und die kann besser saugen als jede Frau.
Ähm, feinsinnige Ironie? Nicht? Dann kenne ich da einen guten Psychologen!
Gabs da nich mal eine Film namens “Japaner sind die besseren Liebhaber” (oder so ähnlich)?
Dein Beitrag passt Prima zu einer tracks-Sendung vor einiger Zeit:
http://tracks.arte.tv/de/love-plus-feuchte-digitalfantasien
Offensichtlich ist die Gesellschaft auf dem besten Wege die Individualisierung des Menschen zu krönen. Da ist kein Platz mehr für einen Partner. Past ja keiner mehr ins egozentrische Konzept.
Verfolge aus Deutschland Deinen interessanten Blog, vielen Dank!
Zu dem Thema gabs vor kurzem in der ARD einen Beitrag über japanische Singles, die Zweisamkeit “vortäuschen”:
http://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/videos/japan-einsamkeit-in-der-mega-city-100.html