So es nicht in Strömen gießt oder gar schneit, laufe ich jeden Tag die knapp 2 Kilometer vom Bahnhof Shibuya bis zu meinem Büro in Hiroo – und zwar immer schön die Meiji-dōri entlang, eine Straße, die so groß und wichtig ist, dass sie sogar einen eigenen Straßennamen hat. Unterwegs gibt es einige interessante Punkte, aber einer tat es mir immer besonders an: Ein Fahrradreparaturladen auf halbem Wege. Das Kabuff, denn mehr war es nicht, ist keine zwei Meter hoch, rund 4 Meter lang – und gerade mal einen halben Meter weit. Wie ein Überbleibsel aus alten Zeiten steht es vor einem sehr modernen Bürohaus – eine Bretterbude, aber immerhin mit Schiebetüren (die nachts mit zusammengetackerten Fahrradschläuchen geschlossen werden), vor einem trostlosen Klotz aus Glas, Granit und Stahl. Ein echter Anachronismus. In dem Kabuff saß ein alter Mann, der dort unentwegt Fahrräder reparierte.
Gerade in der Gegend rund um den Bahnhof Shibuya – hier ist weitestgehend alles wie geleckt – wirkt der Schuppen wie ein Signal aus einer anderen Zeit. Einerseits bewundert man dieses Unikum, andererseits fragt man sich unweigerlich, wie es dazu kam, dass hier ein Bretterverschlag vor einem modernen Bürogebäude landete – und so lange Bestand hat. Der Laden hatte auch einen Namen, obwohl der nicht an dem Verschlag zu finden war: 大木サイクル商会. Gegründet vor mehr als 90 Jahren. Und obwohl der Verschlag so klein war, hatte er sogar fließendes Wasser und Strom.
Der Laden tauchte weder auf Google Maps noch bei Yahoo Business auf; Stammkunden gab es dennoch viele, denn hier fahren viele Menschen vorbei. Fast immer war ein Kunde vor dem Laden, der oder die darauf wartete, dass zum Beispiel der Reifen geflickt wird. Über das Geschäft findet man im Internet nicht viel – aber mit ein bisschen Suchen kommen dann doch ein paar Informationen zusammen. So zum Beispiel die, dass der Besitzer selbst für diesen winzigen Verschlag umgerechnet fast 400 Euro Grundsteuer pro Jahr bezahlt.
Doch um zur Frage, wie der Laden dort hinkommt, zurückzukommen: Eine Variante wäre die, dass der Besitzer hier einst ein wesentlich größeres Grundstück besaß – zum Beispiel das, auf dem nun das Bürogebäude thront – und er das Grundstück unter der Bedingung verkaufte, dass er einen kleinen Teil behalten und selber nutzen kann. In dem Fall wäre der Besitzer ein mit hoher Wahrscheinlichkeit ziemlich reicher Mann. Doch laut dieser Quelle sieht die Sache hier ein klein wenig anders aus: Ja, das Geschäft war in der Tat wesentlich größer. Doch im Laufe der Jahrzehnte wurde die Meiji-Straße mehrfach verbreitert – ebenso der Fußgängerweg. So wurden über einen längeren Zeitraum verteilt immer mehr Meter “abgehobelt” – was blieb, ist gerade mal ein halber Meter.
Doch seit Ende der vergangenen Woche warten keine Kunden mehr vor dem Laden: Stattdessen prangt dort ein Zettel, auf dem steht, dass der Besitzer leider den Laden – plötzlich schließen muss. Er dankt den Kunden für ihre Treue und merkt an, dass es das Geschäft schon seit der Zeit vor dem Krieg (bzw. vor gut 90 Jahren, also Anfang der 1930er) gab,
Schade. Damit verschwindet ein weiteres Stück Geschichte aus dem Stadtbild von Shibuya. Die Hütte wird sicherlich sehr bald abgerissen werden.