Bis zu meiner ersten Reise nach Japan, das war 1996, hatte ich natürlich meine eigenen Vorstellungen von dem Land, und wie es nun mal so ist, entsprechen diese oft nicht allzu sehr der Wirklichkeit. Einen Vorgeschmack sollte ich darauf bekommen, als ich mit einer Gruppe Japanern im Jahr 1995 das Neubaugebiet Halle-Silberhöhe besuchte. Kein sehr attraktives Neubaugebiet, wohlgemerkt. Doch die Japaner waren ganz aufgeregt und sagten “das ist ja wie zu Hause”.
In der Tat gibt es in Japan viele Neubaugebiete – und vor ein paar Wochen verschlug es mich in eines der größten Anlagen dieser Art, und zwar die 三郷団地 Misato-Danchi in der Stadt Misato, Präfektur Saitama. Der Begriff “Danchi” setzt sich aus den Schriftzeichen 団 (Gruppe) und 地 (Boden, Erde, aber auch Gebiet usw.) zusammen. In der Nähe des Stadtzentrums von Tokyo, zum Beispiel im Stadtteil Nerima, können diese Wohnhäuser bis zu 20 Stockwerke oder höher sein, aber etwas außerhalb, wie in Misato, sind es eher 4- bis 5-Stockwerke hohe Wohnblöcke, die man je nach Baujahr ebenso in vielen anderen Teilen der Welt finden könnte. Die Wohnanlage in Misato zählt dabei zu den größten ihrer Art in Japan: Sie wurde im Jahr 1974 fertiggestellt und besteht aus einem Süd-, einem Zentral- und einem Nordbereich. Im Südbereich gibt es 99 Gebäude (meist Wohnblöcke), im Zentralbereich 14 (mit einem Klinikblock und vielen Geschäften), im Nordbereich 126 Blöcke, von denen einige über 14 Stockwerke hoch sind. Insgesamt gibt es hier 9,867 Wohnungen und zu Spitzenzeiten um die 23’000 Einwohner – eine komplette Kleinstadt also.
Da die Siedlung schon fast 50 Jahre alt ist, sind die meisten Wohnungen, wie man es erwarten würde, eher klein – eine 3-Zimmer-Wohnung zum Beispiel ist nur gute 50 Quadratmeter groß und kostet umgerechnet knapp 500 Euro pro Monat. Die Lage ist allerdings hervorragend, denn nebenan gibt es einen Bahnhof und ein riesiges Einkaufszentrum.
Interessant ist, dass die Anlage für ihr Alter noch recht gut in Schuß ist – das liegt unter anderem daran, dass sich in den Danchi in Japan in der Regel starke Nachbarschaftsverbände bilden, die für Ruhe und Ordnung sorgen. Das ist einerseits schön – kann allerdings auch nerven, wenn regelmäßig ein unbekannter Rentner vor der Tür steht und herzlich “zum Hundekot einsammeln, am Sonnabend, ab 7 Uhr morgens!” einlädt. Ich spreche da aus eigener Erfahrung, da ich zwei Monate in einer Danchi gelebt habe.
Einige Danchi, wenn sie denn etwas moderner sind, können durchaus schön sein – mit großen, geräumigen Wohnungen. Und was an japanischen Wohnhäusern sofort auffällt, ist die Tatsache, dass die Hausflure in der Regel außen sind und nicht innen – man läuft also von der Treppe oder dem Fahrstuhl bis zur Wohnung im Freien.
Trotzdem bin ich froh, nicht in einer Danchi zu leben – vor allem nicht mit Kindern, denn Geräuschbelästigung ist dort ein echtes Problem, und zwar von beiden Seiten gesehen. Sprich, man wird schnell angezählt, wenn man zu laut ist – und es gibt Nachbarn, die einfach sehr laut sind. Interessant finde ich an vielen Danchi, so auch in Misato, die Architektur — siehe unten.