Eigentlich sollten wir doch ganz zuversichtlich sein: Die Zahl der neu registrierten Corona-Fälle in Tokyo lag heute bei gerade mal 15, und das bedeutet, dass die Zahl der Neuerkrankungen in der Hauptstadt sechs Tage lang in Folge unter 50 lag. Zur Erinnerung – vor rund zwei Wochen ging die Zahl bis auf 200 hoch. Die Zahlen sollten in der Tat sinken, denn es wurden ja wirklich mehrere Massnahmen getroffen, die die Epidemie eindämmen sollten.
Obwohl die Zahlen jedoch schon seit Anfang Mai rückläufig wurden, verlängerte die Regierung am 6. Mai – wie erwartet – den Ausnahmezustand für das ganze Land bis zum 31. Mai, allerdings mit der Option, diesen Zustand, so es die Zahlen erlauben, eher zu beenden. Doch wo soll man die Messlatte anlegen? Die Stadt Osaka, mit ihrem potenten Gouverneur, setzt hier erstmal einen Maßstab. Dort möchte man diverse Restriktionen lockern, wenn sieben Tage lang die folgenden Kriterien erfüllt sind:
- Die Zahl der Neuinfektionen mit ungewisser Herkunft muss unter 10 Menschen pro Tag liegen. Momentan ist der Schnitt in Osaka bei 3.57 Menschen pro Tag
- Der Anteil der positiv Getesteten an denen, bei denen getestet wurde, soll unter 7% liegen (momentaner Schnitt: 2.2%).
- Die Auslastungsrate von Intensivstationsplätzen soll unter 60% liegen (momentan: 26.6%)
Die Zahlen erscheinen sinnvoll, und man scheint auf einem guten Weg zu sein. Um das ganze auch noch etwas spannend zu machen, hat sich der Gouverneur auch etwas einfallen lassen: Je nach Gefahrenlage sollen gewisse Wahrzeichen der Stadt, darunter zum Beispiel Okamoto’s Sonnenturm, entweder rot, gelb oder grün angestrahlt werden. Das ist pfiffig.
In Tokyo hingegen verlässt sich Gouverneurin lieber auf Wortklaubereien und nicht konkretes, nennen wir es mal gebetsmühlenartiges Gelaber, denn viel Neues oder Innovatives kommt da nicht – ausser vielleicht dem Zugeständnis bei der heutigen Pressekonferenz, dass einige Neuinfektionen nicht oder doppelt gezählt wurden.
Möglicherweise sind diese Zahlen sowieso sehr bald Makulatur, denn es gibt erste Bemühungen, die Anzahl der PCR-Tests stark zu erhöhen, sowie Antikörpertests zuzulassen. Wenn mehr getestet wird, wird man wohl sehr wahrscheinlich auch viel mehr Menschen positiv testen, doch die Experten streiten noch darüber, wie viel höher die Dunkelziffer wohl sein wird.
Davon mal abgesehen: Die zwei Volksmasken für unseren 4-Personenhaushalt sind immer noch nicht da, und genauso wenig weitere Informationen darüber, wo man sich für die Staatshilfe für jedermann registrieren muss – immerhin soll diese ja im Mai ausgezahlt werden. In diesem Sinne: Im Osten nichts Neues!
Im Osten nichts Neues bedeutet allerdings auch im Osten nichts schlimmes Neues und das sind doch eigentlich gute Nachrichten.
Im Vergleich zu vielen anderen Ländern sind die japanischen Zahlen noch immer sehr klein. Und auch die Kliniken scheinen ja nicht aus allen Nähten zu platzen, ich bin tatsächlich erstmal beruhigt was die japanische Lage angeht. Auch wenn ich sehr gut persönlich verstehen kann, dass das politische hin und her nervig ist.
Die Schule für meine Grundschulkinder in Deutschland startet in kleinen Gruppen. Die Tochter darf Montag, Mittwoch und Freitag für jeweils 2,5 Stunden in die Schule, der Sohn Dienstag und Donnerstag. Wann der Kleinste in die Kita darf weiß niemand. Eigentlich hätte er ab Donnerstag einen Anspruch auf einen Halbtagsplatz aber die Kitas erfuhren da nur aus der Presse davon und sind nicht vorbereitet.
Dafür öffnen Biergärten, Fußball startet wieder, Spielhallen öffnen… Eine Zeitung titelte: Die Kinder dürfen jetzt wieder in den Biergarten.
Mir ärgert das wirklich sehr, der Fokus liegt so wenig auf Kindern und Familien, das ist zum Schreien.
Und zur Erheiterung noch die 10 Tipps zum Lernen vom Schulministerium NRW: https://www.schulministerium.nrw.de/docs/Recht/Schulgesundheitsrecht/Infektionsschutz/300-Coronavirus/Coronavirus_zehn-Tipps-Lernen/index.html
Ich zitiere Punkt 10:
“In Krisensituationen wie diesen ist nicht immer alles schlecht. Beispielsweise ist es hilfreich, zu überlegen, welche Chancen die Krise bietet. In der aktuellen Situation ist dies mit Sicherheit die „geschenkte Zeit“: Wann werden wir wieder so viel Zeit wie jetzt mit unseren Kindern verbringen können?
Zeit, die wir für die Dinge nutzen können, für die wir sonst keine Zeit haben: Gemeinsam spielen, lesen, lachen, singen, kuscheln und vieles andere mehr. Und auch Zeit für jeden von uns selbst: Zeit zum Lesen, Musik hören, träumen, Sport machen. Für Eltern wie für Kinder ist es auch eine Chance, zur Ruhe zu kommen und sich darauf zu besinnen, was das Wesentliche ist. Zudem ist das Aushalten von Langeweile eine Kompetenz, die einerseits unserer Gesellschaft abhandengekommen ist und andererseits direkt lern- und kreativitätsförderlich ist.”
Ein Glück wissen wir nach Corona wieder was Langeweile ist.
“Die Kinder dürfen jetzt wieder in den Biergarten.”. Herrlich.
Die ganze Corona-Sache entschleunigt wirklich einiges, und ich finde es amüsant, wie plötzlich alle anfangen, zu kochen und zu backen und was auch immer selbst zu machen. Bei mir persönlich hat sich jedoch nicht so viel geändert — da jetzt bei uns der Peak ist und ich vor Ort sein muss, fahre ich nach wie vor jeden Tag in mein Büro, jetzt allerdings mit dem Auto. Und die Wochenenden galten schon immer der Familie, vorher wie nachher. Viel gekocht und manchmal gebacken habe ich auch schon immer…
Die Corona-Sache baut aber auch massiv Druck auf. Fast Vollzeit im HomeOffice mit 3 kleinen Kindern ist einfach schwierig. So schnell kann ich jedenfalls nicht die Arbeitszeit reduzieren, vor allem nicht in Zeiten, in denen wir schlecht jemanden einstellen können. Die Politik drängt darauf, dass auch Frauen in den Arbeitsmarkt zurück kehren und das finde ich auch prinzipiell sehr gut. Aber jetzt stehen die Familien mit (Klein-) Kindern komplett alleine da. Es gibt keine Betreuung, zu den Großeltern sollten sie nicht, Freunde darf man nicht daheim besuchen (obwohl sich das langsam lockert). Und die Politik redet in Pressekonferenzen länger über die Bundesliga als über die Lage der Familien. Meine Kinder sind seit 9 Wochen daheim und der Kleinste wird noch mindestens 3 Wochen daheim sein. Das ist schon schwer mit der Arbeit zu verbinden. Aber ich kann sie ja in den Biergarten schicken. ;)
Von mehr Zeit für mich träume ich nur oder von schöner Zeit mit den Kindern. Das hört sich sehr höhnisch an. So langsam nähere ich mich den Arbeitszeiten meines japanischen Freundes an wenn ich bis Mitternacht noch am Computer sitze… ;)
Mir stellt sich halt immer (noch) die Frage, inwieweit man den Zahlen der Regierung trauen kann. Ich erninnere hier an Fukushima, da hiess es auch zuerst es sei nichts passiert, dann gab es kleinere Probleme, die man aber im Griff habe, dann wurden es groessere Probleme, aber keine Kernschmelze, hin bis zu einer kleineren und sow eiter, und so weiter. COVID 19 sieht aehnlich aus. Da man die Olympischen Soiele in Toko durchziehen wollte hiess es zuerst Covid 19 stelle kein Problem dar, und es entwickelte sich dann weiter bis zu den “Schliessungen”. Jetzt geht es um die Wirtschaft und das Geld (auch der “Oberen) und dann wird eben mal wieder alles auf mehr oder weniger “Normalstatus” zurueckgefahren. Wie es wirklich aussieht, werden wir wohl in 2 bis 3 Wochen sehen. Ich befuerchte, dass wieder einmal vieles zum Stillstand kommen wird. Oder sehe ich alles zu negativ?
Mein Freund in Japan sieht das ganz ähnlich. Ich hoffe sehr, dass das zu negativ ist und sich alles besser entwickelt. Ich drücke die Daumen und hoffe es!
In Europa, vor allem Deutschland, drückt man auf gut Glück Lockerungen durch, wo der normale Mensch den Kopf schütteln. Die Lockerungen gehen mir viel zu schnell voran.
Es gibt weder eine Therapie noch einen Impfstoff, aber man geht zum normalen Tagesgeschäft über. Kinder halten in den Schulen Abstand, aber auf dem Heimweg hängen diese zusammen wie Kletten. Abstandhalten in den Kitas gleich Null.
Habe meine Kinder für dieses Schuljahr abgemeldet. Schaue mir die Zahlen in den nächsten Wochen genaustens an.
… und wenn ich mir ansehe wie die Kinder auf Spielplätzen und zwischen den Häusern zusammen hocken, könnte man auch das Abstandhalten, Mundschutz und sonstige Hygienevorschriften in den Schulen abschaffen.
Hoffentlich kann ich bei der nächsten Welle tief genug abtauchen.
Nur ganz kurz heutiger “update” (wie es so schoen auf Neu-Deutsch heisst):
20 neue COVID 19 Faelle fuer Matsuyama … ist ja “nur” 15 Kilometerchen von uns entfernt. Aber die Minimal-Massnahmen, die bisher gueltig waren, die werden aufgehoben. Der Coronavirus wird vor Freude Purtzelbaeume schlagen.
Die Dunkelziffer noch nicht berücksichtigt, von Leuten die es ignorieren, sowie der Wille zum Test auf Corona. Dann noch die zum Teil recht lange Inkubationszeit und die, die nicht einmal etwas merken.
Da ich viel mit Menschen zu tun habe die Hilfe brauchen, jetzt z.Z. mehr am Telefon, merke ich bei einer nicht unbedeutenden Mehrzahl eine berechtigte Sorge, dass sich durch Unüberlegtheit und Leichtsinn, etwas nicht wieder gut zu machendes zusammen braut.
Bei uns in Deutschland haben mehrere Institute und Forschungseinrichtungen davor gewarnt, die Lockerungen jetzt schon zum laufen zu bringen. Was mich stört ist, dass vieles parallel läuft und man sich, wen es daneben geht, es zum nicht mehr beherrschbaren Selbstläufer wird.