Dank familiärer Umstände kommen wir zum Jahresende meistens in den Genuß einer besonderen, gekühlten Fracht – eine große Blechdose voll frischer Austern. Aus Deutschland kannte ich diese nur aus Erzählungen – eine glibberige Masse, luxuriös und dennoch etwas, an das sich die Geister scheiden. Dass Austern in Deutschland eine Spezialität sind, ist dabei nicht verwunderlich, denn die Tierchen müssen ja gut gekühlt und sehr frisch serviert werden, sonst gibt es ein Unglück – aber mehr dazu siehe unten.
In Sachen Austern kann man bereits leicht an der Aussprache im Japanischen scheitern. Die japanische Aussprache gilt zwar im Allgemeinen als sehr einfach (keine besonderen Tonhöhenunterschiede, fast alles Silben, keine unbekannten Laute), doch es gibt dann dennoch kleine, aber feine Unterschiede. Austern zum Beispiel heißen auf Japanisch “kaki”, aber dann gibt es auch noch die Frucht “kaki”, oder eine Mauer/Hecke, die ebenfalls “kaki” heißt. Diese werden jedoch alle leicht unterschiedlich ausgesprochen – dabei geht es nicht um die Betonung einer Silbe, sondern ob eine Silbe höher oder tiefer gesprochen wird.
Zur Erklärung: Die Klammern beziehen sich auf einen nachfolgenden Partikel, zum Beispiel den Nominativpartikel “ga”. Im 1. Fall wird das “Ka” höher ausgesprochen als das “ki” und das nachfolgende “ga”. Also KA (Hoch) – ki (tief) – ga (tief). Im 2. Fall ist es genau andersrum. Und im dritten Fall wird nur das “Ki” etwas höher ausgesprochen.
Normalerweise kann man diesen Unterschied, nun ja, ignorieren (im Chinesischen ist das übrigens eine schlechte Idee). Schließlich reicht der Kontext ja aus – eine Auster kann man essen, eine Mauer hingegen eher nicht. Doch da hier nun zwei eßbare Dinge zur Wahl stehen, muss man sich etwas anstrengen, zumal der Unterschied für ungeübte Ohren schwer herauszufiltern ist.
Zurück zu den Brackwasserbewohnern. Weder das Aussehen noch die Tatsache, dass eine einzige Auster pro Tag bis zu 250 Liter Wasser filtert – und wer weiß, was da alles drin ist! – klingen verlockend. Doch leider schmecken Austern wirklich – das hängt aber vom Geschmack des Verzehrenden und der Zubereitung ab. Roh werden sie in Japan eher seltener gegessen. In den meisten Fällen werden sie entweder gedünstet (zum Beispiel mit Sake), gegrillt oder paniert und frittiert (“カキフライ kakifurai”). Letztere Variante ist für sensiblere Gemüter sicherlich der einfachste Einstieg in die wunderschöne Welt des Austernverzehrs – und sie ist entsprechend auch bei Kindern beliebt. Rohe Austern zu schlürfen ist dann doch eher etwas für Hartgesottene – da versucht man sich dann doch erstmal lieber an er gedünsteten oder gegrillten Variante.
Austern gibt es vor allem in den Wintermonaten zuhauf, doch hier gilt: Augen auf beim Austernkauf! Auf den Verpackungen, also nicht den natürlichen Verpackungen, versteht sich, steht nämlich eigens, und gemeinerweise nur auf Japanisch, entweder 生食用 (manchmal auch 刺身用 (“zum rohen Verzehr geeignet) oder eben 加熱用 drauf (zum Erhitzen bestimm). Bei ersterer Variante ist jegliche Zubereitungsform in Ordnung, bei letzterer sollte man lieber auf den rohen Verzehr verzichten. Wem dieser Ratschlag nichts wert ist, kann folgendes erfahren:
牡蠣にあたる — auf eine “schlechte” Auster treffen.
Was passiert dann? In Japan werden vor allem zwei Arten verspeist – die 真牡蠣 (“Echte Austern”), vor allem zwischen November und Februar erhältlich. Diese enthalten mitunter das Noro-Virus. 岩牡蠣 (“Felsenaustern”) hingegen kommen zwischen Mai und September auf die Teller, und mit etwas Pech bringen sie Vibrio parahaemolyticus mit, welches für eine ordentliche Magen-Darm-Entzündung führen kann. Beides möchte man tunlichst vermeiden – der Ratschlag ist ein empirischer Wert.
Als langjähriger Japanischlerner finde ich diese Beiträge, in denen man viel über die Kultur aber gleichzeitig auch über die Sprache lernt, besonders toll. Super recherchiert, detailreich und unterhaltsam beschrieben und sehr hilfreich mit den Furigana.
Danke dir, eine schöne Vorweihnachtszeit und viele Grüße aus Taiwan,
Fabian
Vielen Dank! Es ist schön zu wissen, dass ich den ganzen Zinnober nicht umsonst mache!
Nein, den machst Du nicht umsonst! Ich kommentiere normalerweise nur, wenn ich was zu sagen (oder fragen) habe und zu japanisch habe ich eher weniger zu sagen, Und fragen muss man bei Dir nicht – Deine Artikel sind sowas von klar und gut geschrieben!
Ich lese Dich seit 2011 (warum nur?) regelmäßig und geniese die von Dir geschriebenen Einblicke ins Japanische.
Also: ein schönes Neues Jahr und mach bitte weiter
FB
Vielen Dank! Und auch Dir ein gesundes Neues Jahr!