BlogAngst vor Japans Lehrern

Angst vor Japans Lehrern

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In dieser Woche flog eine seltsame Geschichte auf: Ein Oberschüler an einer Schule in Yokkaichi meldete an seiner Schule ein Speicherchip aus seinem Handy als gestohlen. Der verantwortliche Lehrer der Klasse zögerte nicht lange … und nahm Fingerabdrücke jeglicher Schüler in der über 30 Mann starken Klasse – mit der Bemerkung „Den Schuldigen finden wir schon!“. Mindestens ein Schüler hielt das für merkwürdig und meldete den Vorfall. Der Lehrer entschuldigte sich daraufhin mit den Worten, dass „sei eine Performance (パフォーマンス) gewesen“, keine Hobbydetektivarbeit.
Meine Firma vertreibt unter anderem Unterrichtsmaterialien. Und eins kann ich beschwören: Die schlimmsten Kunden sind Lehrer. Wie Gott tauchen sie aus dem nichts auf, machen einen Riesenrabatz – bis sie auf die Regeln hingewiesen werden, die überall ausdrücklich geschrieben stehen: Lieferung dauert eine Woche usw.
Es liegt mir fern, die ganze Zunft zu verschreien. Ich habe rein gar nichts gegen Lehrer, im Gegenteil, ich verdanke Lehrern nahezu alles, was ich habe. Aber vor allem japanische Lehrer sind teilweise extrem arrogant (nicht selten auch rassistisch, es gab da schon etliche haarsträubende Geschichten), und langsam mache ich mir Sorgen – nicht nur in Bezug auf Lehrer, sondern in Bezug auf die Bildung in Japan schlechthin – ob es eine gute Idee ist, meinem eigenen Kind diese Bildung angedeihen zu lassen. Nun ja. Diese Sorge ist wahrscheinlich mehr als natürlich.
Ich kann mich erinnern, vor über zehn Jahren als HiWi (studentischer Assistent) an der Japanologie an einem Forschungsbericht zur Jugend Japans teilgenommen zu haben. Von „Zersetzung des Klassenzimmers“ und anderen Phänomenen war da die Rede. Und schenkt man den jetzigen Lehrern Japans Glauben, sind die heutigen Schüler kaum noch kontrollierbar – Lehrer finden einfach keinen Zugang mehr zur Jugend. Inwieweit das stimmt, kann ich natürlich nicht einschätzen. Aber höre ich das, fällt mir immer wieder folgendes Zitat ein:

„Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.“

So gesagt vor ca. 2’300 Jahren. Aristoteles. Andererseits – ging die griechische Hochkultur nicht 200 Jahre später unter?
Das Wort des Tages: 学級崩壊 – gakkyū hōkai – „Klasse-Zerstörung“. Der Zusammenbruch des Klassenzimmers: Seit vielen Jahren ein Schlagwort im japanischen Bildungswesen, was vorher unbekannte (?) Verhaltensweisen von Schülern zusammenfasst: Zum Beispiel plötzlich im Unterricht aufstehen oder gar den Raum verlassen, schwatzen, Nachbarn stören etc.

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tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

9 Kommentare

  1. Auch Cicero hat ja schon gesagt „Oh tempora, oh mores“ (Welche Zeiten, welche Sitten). Ich denke, dass jede Generation sich Sorgen um die nachfolgende macht. Auch ich frage mich bereits, ob die heutigen 12-14-Jährigen nicht viel zu frech, faul und nervig sind.

    Wie es in Japan aussieht, weiß ich natürlich nicht, aber wahrscheinlich werden die Jugendlichen dort sich der weltweiten Situation im Klassenzimmer anpassen (vgl. Globalisierung), was vielleicht für die in der Öffentlichkeit sehr geregelten Japaner (hoffe, dass das korrekt ist) ungewohnt und rebellisch erscheint. Das heißt, es wird im Klassenzimmer eben auch mal ein Kommentar zum Nachbar gesagt etc…

  2. also von meinen bisherigen japanischen bekanntschaften und allen voran meiner ex-freundin habe ich fast nur horrorgeschichten zur schul- und unizeit gehört. will dir da keine panik machen, aber ich würde den besuch einer internationalen schule (wenn finanzierbar) in erwägung ziehen.

    in korea bleibt einem bei gemischten familien fast nichts anderes übrig, da die ausländerfeindlichkeit insbesondere gegenüber kindern aus internationalen ehen doch sehr hoch ist. auch das wird denke ich in japan nicht so viel anders sein…

  3. Lehrer können schon wirklich schwierig sein, aber ich finde, dass auch die Kinder immer schwieriger werden. Wenn man sich in den Klassenzimmern umsieht, so wird man schnell feststellen, dass die Kinder immer frecher werden und die Lehrer müssen das erdulden, denn sie können nicht sehr viel dagegen machen. Allerdings muss es nicht so weit gehen, dass man Fingerabdrücke von den Schülern nimmt. Das geht wirklich eindeutig zu weit. Aber ich glaube, dass dies sicherlich nicht mehr besser wird sondern eher noch schlimmer.

  4. Kannst du mal die Yomikatta vom Wort des Tages hinschreiben. Ich wüsste doch schon gern wie man das liest. Ansonsten kann ich dir mehr oder weniger beipflichten. Die Studenten hier sind allerdings noch Oldschool Japanisch, also nicht schwatzen, dafür schlafen. Ich weiß aber nicht ob das in der Schule genauso war. Was man auf jeden Fall empfehlenn kann ist wohl ein externer Englischlehrer, da Japaner es einfach nicht drauf haben Englisch zu lehren. Wer kommt denn auf die Idee Englisch in Japanisch zu lehren? Sogar Französisch wird in Deutschland auf Französisch gelehrt. Es wird ja auch kaum Sprechen geübt. Und wenn ich mich manchmal mit den Hausaufgaben von meiner Conversation Partnerin beschäftige sträuben sich meine Haare was die für Schwachsinn lernen.

  5. @Jakub
    (?_?)???
    Also meine Bekanntschaften schwelgen in Erinnerungen an die Schul-/Unizeit. Selbiges gilt für Kollegen die in Japan aufgewachsen sind. Als komisch oder fremd angesehen wurden sie erst zurück in der europäischen Heimat. Weiss nicht wie es heute ist, die Welt hat sich doch sehr verändert in den 1-2 Jahrzehnten. Und Kinder können sehr gemein sein, heute wie damals.

    @Jupp
    Als an unserer Schule aus einem Lehrerfach Prüfungsmaterial entwendet wurde, stand auch schon prompt die Polizei im Klassenzimmer und alle mussten in einem separaten Raum Händchen herhalten. Hatte weder für den Lehrer noch für den Direktor ein Nachspiel, wo denkste hin!
    Ich finde auch dass es für Erwachsene immer schwieriger wird, mit Kindern umzugehen. Zu meinen Zeiten hatte der Lehrer immer recht, was auch nicht gerade gut war. Heutzutage hat es sich ins Gegenteil verkehrt. Weist ein Lehrer ein Kind zurecht, dann läuten die Eltern beim Schuldirektor Sturm und fordern Rücktritt. Zum einen Teil mache ich mir echt Sorgen was aus der Jugend mal wird, bedenkt man die schlimmen gewalttätigen Übergriffe untereinander. Es gibt aber auch viel positives in den Kindern heutzutage, sie sind mutiger und selbstbewusster als wir es oft hätten sein sollen. Zum anderen mache ich mir noch mehr Sorgen wenn ich mir gewisse Lehrer von heute betrachte – arme Jugend!

    @Herm: がっきゅうほうかい
    Japan ist demografisch gesehen von Europa total verschieden. Viele Nicht-Europäer denken, dass wir mind. 3-5 Sprachen beherrschen, und guckt man sich die Europakarte an, ist das auch nachvollziehbar.
    Das braucht halt alles seine Zeit. Es ändert sich auch in Japan zunehmends, und vergiss nicht dass es bei uns vor nicht allzu langer Zeit nicht anders war. Fremdsprachenunterricht gab’s nur von Landsleuten. Und Französisch in der 1.+2. Mittelstufe sogar vom Geografie-Mathematik-Turnlehrer, heutzutage undenkbar.
    Inzwischen gibt’s in Japan genügend Ausländer, die ihre Muttersprache hervorragend unterrichten. Ich würde meinem Kind bestimmt diesen Nachunterricht ähm gönnen.

  6. Während meiner Selbstfindung vor ca. 20 Jahren hatte ich irgendwann mal auch überlegt Lehrer werden zu wollen. Die Zeiten waren damals noch andere. Besonders dort, wo unsereins herkommt.

    Schon während der Lehre und späteren Studienzeit haben sich die Lehr- und Lerngewohnheiten stark verändert. Heute bin ich froh, dass sich meine Selbstfindung zumindest nicht in Richtung Lehrer manifestiert hat. Tauschen würde ich nicht wollen.

    Über den Lehrer würde sich unser Bundesinnenminister wohl sehr freuen. Ich bin ja der Meinung, dass ein Lehrer eine Respektperson sein sollte und als solche auch anerkannt wird. Aber derartige Methoden schiessen über das Ziel weit hinaus.

    Was mich hier noch mehr beeindruckt ist offensichtlich die Ausländerfeindlichkeit in Ostasien. Das hätte ich dann doch nicht erwartet. Gibt es denn in Japan derart viele MigrantInnen? In einem Beitrag hier wurde einmal die Asylpraxis beschrieben. Ich denke es gabe nicht sehr viele Flüchtlinge, die in Japan Zuflucht gesucht haben. Vielleicht liegt die Zahl der Wirtschaftsflüchtlinge höher? Oder ist es mal wieder das Unbekannte, was die Menschen in Angst und Schrecken versetzt (scheint zumindest in so mancher Gegend im Osten der BRD der Fall zu sein)?

  7. @Stefan
    Wohl war, aber ich schätze das Problem in Japan doch ein kleines bisschen ernsthafter ein. Dafür sprechen auch zahlreiche Selbstmorde von gepiesackten Schülern.

    @Jakub
    Ich nehme mal an, das bezieht sich auf die Prüfungszeit!? Die meisten, die ich kenne, erinnern sich nämlich auch gern an ihre Schulzeit. Ich habe eher die Sorge vor dem, was aus den Schülern nach dem Abschluss wird: Kaum Allgemeinbildung, kaum Interesse an etwas.
    Mit der Diskrimierung von Ausländern ist das auch so eine Sache – es gehen schon ziemlich viele (halbe) Ausländer in Japans Schulen, und man kann nicht sagen, dass es denen allen schlecht geht.

    @Herm
    Sprachunterricht an Japans Schulen ist ein Alptraum – nicht nur, dass der Unterricht selbst schlecht ist (wie soll man auch den Leuten Sprachen beibringen, wenn über 30 Leute in einer Klasse sind), vielen wird auch die Lust am Sprachen lernen genommen.
    Nun, ab 2011 wird Englisch an Grundschulen Pflicht. Mal sehen, ob das was hilft.
    Ach ja, Lesung hatte ich vergessen. ディーン hat sie schon geschrieben, aber da es auch Leute gibt, die keine Kana lesen können, schreibe ich es oben noch dazu.

    @ディーン
    Mal wieder wahr gesprochen. Ja, ich sag nur Englisch-Unterricht in der DDR – öde Lehrvideos aus den 60ern ansehen und Englischlehrer, die – man kann es ihnen aufgrund der damaligen Lage nicht verübeln – ihr Wissen auch nur aus dritter Hand und uralten Quellen hatten. Da ist heutiger Sprachunterricht in vielen Schulen ein Riesenfortschritt.

    @Terri
    Es ist wohl eher die Angst vor dem Unbekannten. Und ein latenter Nationalstolz – das starke Bewusstsein, anders, um nicht zu sagen besser zu sein. Nein, so viele Ausländer gibt es noch nicht hier, aber das erklärt es ja auch: Bei wenigen Ausländern erscheinen Ausländer wesentlich fremder als bei vielen Ausländern. Spreche ich einen Japaner auf Japanisch an, erschrecken/wundern sich viele. Spricht ein Asiate in Deutschland jemanden auf Deutsch an, wundern sich wohl nur noch wenige.

  8. @ディーン und tabibito
    hm, freut mich dass es nicht ganz so düster ist wie ich bisher hörte, aber wie gesagt, meine bisher gehörten berichte waren durchweg negativ und das nicht nur auf die prüfungszeit bezogen.

  9. Ach, Tabibito, sei froh, daß in Japan noch die Lehrer die Schüler im Griff haben, in Deutschland kehrt sich die Sache immer mehr ins Gegenteil.

    Mich graust es schon davor, wenn mein Junge ins schulpflichtige Alter kommt und ich mich mit Zuständen auseinandersetzen muß, in denen Schüler mit Jacke, Mütze und mp3-Player in der Klasse sitzen während der Lehrer nichts daran ändern kann/will und zum Statisten degradiert wird.

    Es gibt immer zwei Seiten der Medaille.
    Insofern solltest Du nicht allzu traurig sein, daß deine Tochter vermutlich einen japanischen Bildungsweg geht, auch wenn der ebenso seine Tücken hat.

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