Blog753 / Alte Freunde ausgraben

753 / Alte Freunde ausgraben

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Der Tag, als meine Tochter das Licht der Welt erblickte, liegt eigentlich gar nicht so lange zurück – denke ich zumindest, und doch wird sie in anderthalb Monaten bereits 3 Jahre alt. Das bedeutet in Japan Zeit für das 七五三 (Shichigosan) – “753”, ein Ritual, das vor allem in der Kanto-Region sehr beliebt ist. Da die Wikipedia diesbezüglich sowieso alles besser weiss, fasse ich mich kurz: Das Fest wird für 3 und 7-jährige Mädchen sowie für 3- und 5-jährige Jungs veranstaltet. Man (Eltern, oft auch Grosseltern), geht zum Shintō-Schrein, bezahlt ein paar Tausend Yen und der Priester sorgt mittels eines Rituals dafür, dass die lieben Kleinen ab jenem Tag wohlbehütet von allem Bösen durchs Leben schreiten können. Das interessiert 3, 5 bzw. 7-jährige Kinder reichlich wenig, und so gibt es, quasi als Anreiz, nach dem Ritual sogenannte 千歳飴 (Chitose-Ame, 1000-Jahre-Bonbons) – lange, weiss-rote Zuckerstangen.

Shichigosan: Zeit, die vergangenen drei Jahre zu rekapitulieren…

Das Ritual wird irgendwann um den 15. November begangen, aber man sieht es nicht so eng – viele machen es kurz vorher oder kurze Zeit später. Unsere Tochter ist zwar eigentlich noch 2 Jahre alt, aber sie wird am 1.1. 3 Jahre alt (und beginnt somit ihr 4. Lebensjahr), weshalb uns der Priester in einem Vorgespräch empfohlen hatte, es dieses Jahr zu machen.
Wir waren natürlich nicht die einzigen – ca. 12 Kinder nebst Familien quetschten sich in den engen Raum. Das dauert dan etwas, denn der Priester liest dann litaneienhaft wie folgt vor “Und hiermit bete ich für Taro Yamada, geboren am 12. Oktober 2006, wohnhaft in Matsudo, Horie 2-14-7, Grand Heights Apartment 341…” und so weiter – und das für 12 Kinder. Gelegentliche Zwischenfälle gibt es natürlich in dieser Altersgruppe, denn die Kinder müssen alle vorne in erster Reihe sitzen und kennen das alles gar nicht. Unser Kind schoss wie immer den Vogel ab, als es (aber nicht als erste!) irgendwann beschloss, den Priester fürchten zu müssen, als der mit einem Zweig auf sie zuging, und zu schreien anfing (das ist noch normal), kurze Zeit später aber, noch halb weinend, auf Aufforderung des Priesters ein fröhlich-ängstliches “Konnichiwa” Richtung Gott schmetterte. Alle lachten… und suchten in der Menge nach den Gesichtern der Eltern.
Eine sehr freundliche Mutter mit ihrer liebreizenden Tochter sass vorher neben mir. Kind: “Wo ist Papa?” – Mama: “Auf Arbeit”. Meine Güte – es ist Shichigosan, ein wichtiger Tag, und Sonnabend – und Papa krebst auf Arbeit herum.
Verbunden wird das ganze natürlich anschliessend mit einem guten Essen – und wie überall, sind alle Beteiligten danach ziemlich erschöpft.

Themenwechsel. Dank des Internets ist es ja nun relativ einfach, alte Freunde wiederzuentdecken. So war ich vor etlichen Monaten sehr überrascht, als mich eine alte Freundin wiederentdeckte – eine Japanerin, die ich 1995 kennenlernte, da sie damals im Studentenwohnheim direkt unter mir wohnte. Ich hatte sie später auch in Japan getroffen, aber seit guten 10 Jahren hatten wir keinen Kontakt mehr. Mittlerweilen treffen wir uns wieder gelegentlich. Es war recht interessant – damals sprachen wir nur Deutsch. Heute spricht sie kein Deutsch mehr, ich aber dafür Japanisch. Aber – es machte nicht den geringsten Unterschied.
Den Vogel schoss aber nun jemand ab, den ich beinahe völlig vergessen hatte: Ein Russe, der 1992 für ein paar Wochen an meiner Schule war (vorher war ich für ein paar Wochen dort). Das er mich nun gefunden hat, grenzt schon ein bisschen an ein Wunder, denn er spricht kein Deutsch mehr und nur leidlich Englisch. Es ist jedenfalls sehr interessant zu sehen, was aus ihm geworden ist. Das ganze wäre ja wirklich mal wieder eine gute Entschuldigung für einen Zwischenstopp in Russland…
Das Wort des Tages: 行事 gyōji – Ritual, Fest, Anlass.

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

4 Kommentare

  1. Shichigosan, Sonnabend UND arbeit?!? Dass die Japaner mit ihrem Arbeitspensum ja den Vogel abschießen ist mir ja bekannt, aber dass ist ja schon krank. Muss man ja fast annehmen dass es Familienflucht ist…

    Ich habe mir auch schon überlegt FALLS ich ein Jobangebot in Japan bekomme dort zu bleiben. Natürlich geht man die Pro- und Kontrapunkte durch. Und dieses beispiel spricht natürlich stark dagegen.
    Wird sowas auch von “Gaijin” erwartet?

  2. @Max
    Aber sicher Gaijins müssen sogar 150% leisten um überhaupt akzeptiert zu werden. Denn Ausländer gelten im allgemeinen als faul und arbeitsscheu…

    Aber im Ernst Samstags arbeiten hat in Japan nun mal nicht so den Verruf wie in Christlich westlichen Welten. Auch am Sonntag haben ja alle Geschäfte z.B. offen.

    Samstag wäre z.B. für meine LAG auch nicht möglich irgendwas vor 8Uhr abends zu unternehmen. Was ist sie von Beruf? Kindergärtnerin an einem Privaten Kindergarten.
    Dafür hat sie Montags frei.

    Ich selber arbeitete oft klassisch westlich von Mo-Fr. das hat aber das Problem so wie in Deutschland auch, dass ich keinen Behördengang ohne Urlaub nehmen erledigen kann.

    Will nur sagen es mag komisch sein für uns, dass der Vater nicht dabei ist an einem Sonnabend aber wie gesagt er könnte gute Gründe statt Arbeits”wut” dafür haben.
    Eventuell hat er ja auch dafür Montags frei.

  3. Also der ausrutscher der Kleinen finde ich eher enorm süss, warum ist er dann Negativ?
    Oder warum sollte man Gott nichtmal “hallo” sagen in Japan?

  4. @black sun
    Tut mir leid, wenn das negativ rüberkam – nein, das war es ganz und gar nicht. Übrigens wurden die Kinder dazu aufgefordert, den Göttern “Hallo” zu sagen. Dem kam auch unser Kind eben – sehr lautstark – nach. Zur Freude aller Anwesenden – und auch zu unserer Freude.

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