“Chiyoda”, wörtlich übersetzt Feld der tausend Generationen. Ziemlich gängiger Name in Japan – gibt es in etlichen Städten.
Mitten im Zentrum. Der Umriss entspricht so ziemlich genau der alten Feste Edo-Jō, die hier emporragte.
Entsprechend ist Chiyoda-ku an vielen Stellen vom sotobori 外堀 – dem Aussengraben – umgeben. Ein Drittel des Bezirks werden vom zentralen Kaiserpalast – das meiste ist Grünfläche – eingenommen. Chiyoda ist 11.6 km² gross und hat lediglich 40’000 Einwohner. Nachts. Tagsüber treiben sich hier hunderttausende Menschen herum.
Die Mauern und Gräben des Kaiserpalastes. Der Bahnhof Tōkyō. Das avantgardistische Tōkyō Kokusai Fōramu
(Tokyo Int’l Forum). Akihabara – die “Electric City”. Der umstrittene Yasukuni-Schrein. Das Bücherviertel Jimbocho. Und und und…
東京駅 Bahnhof Tokyo (Tokyo Station)
Tōkyō hat unzählige Bahnhöfe – der wichtigste für Fernreisen trägt dabei den angemessenen Namen “Tōkyō-eki” (Eki=Bahnhof). Von hier fahren alle Shinkansen 新幹線 ab – in 6 Stunden hat man so die 1300 km bis nach Fukuoka zurückgelegt. Tokyo-eki ist ein “echter” Bahnhof wie wir ihn kennen – Eine Empfangshalle mit Fahrkartenschaltern und ein paar Café’s, Gepäckaufbewahrung usw. – kein funktionaler Mischmasch aus Kaufhaus und Bahnhof wie z.B. in Shinjuku. Steht man vor dem Hauptgebäude, denkt man, der Bahnhof sei klein. Irrtum – Das meiste liegt unter der Erde. Insgesamt gibt es 12 Bahnsteige plus sechs Bahnsteige des Shinkansen. Und wer zur Keiyō-Linie 京葉線 Richtung Chiba umsteigt, ist ewig lange unter der Erde unterwegs.
Im Bahnhof gibt es natürlich überall die berühmten Eki-ben 駅弁 (Eki-bentō) – kleine Schachteln mit hübsch arrangiertem Essen für unterwegs. Sehr praktisch und meistens auch wirklich kulinarisch ein Genuss.
Man kommt vom Tokyo-Eki überall hin – er liegt einfach zentral. In Shinjuku steigen zwar mehr Leute um, aber der Bahnhof dort dient fast ausschliesslich dem Nahverkehr.
2003 wurden – zum zweiten Mal bereits – im Marunouchi-Viertel (丸の内) die Lichter angeschaltet. Gestaltet von einem italienischen Künster, liess man eine lange Passage in seltsam-schönem Glanz erstrahlen. Das Spektakel nennt sich Millenario ミレナリオ und sieht in der Tat erhaben aus. Wenn da nicht die Menschenmassen wären. Das Licht wird jeden Abend zwischen Weihnachten (kurisumasu,クリスマス) und Silvester (ōmisoka,大晦日) angeschalten. Aber nur zwischen 17 und 21 Uhr. Wahre Menschenmassen wälzen sich dann durch die enge Strasse, und Aufsichtspersonen rufen “Bitte weiterlaufen! Nicht stehenbleiben!”. Geht auch nicht anders, da die Massen von hinten drücken. Ist natürlich schade, da man dies gern mit Stativ fotografieren möchte. Millenario sollte nur ein Mal stattfinden – war aber erfolgreich genug für eine Neuauflage. Ich könnte mir vorstellen, dass man dies nun fortsetzt.
Um dorthin zu gelangen, verlässt man den Bahnhof Tokyo durch den Marunouchi-Ausgang und geht geradeaus – an den Menschenmassen erkennt man sofort, wo man hin muss.
皇居 Kaiserpalast
Läuft man von Tokyo-eki durch Marunouchi hindurch geradeaus, kommt man zum Kernstück: der kaiserliche Palast. Die ganze Anlage umfasst mehrere Teile: Den Kōkyo-Gaien 皇居外苑 (Palast-Aussengarten), eine Art Exerzierplatz und öffentlich zugänglich, der Kita-no-maru Kōen 北の丸公園 – (Nordring-Park), ein öffentlicher Park mit dem berühmten Budōkan 武道館, einer Veranstaltungshalle, in der Mitte, sowie die nicht öffentlich zugänglichen Bereiche Kōkyo Higashi-gyoen 皇居東御苑 (Kaiserlicher Ostpark) und dem zentralen, von Wassergräben und Wällen umgebenen Palastbereich. Kōkyo bedeutet “wo der Kaiser wohnt”. Hier stand einst die Festung Edo-jō, von der nur noch die Wälle und Gräben übrig sind.
Südlich des Palastbereiches liegen die Viertel Nagata-chō 永田町 und Kasumi-ga-seki 霞ヶ関. Hier befinden sich das Parlamentsgebäude (国会議事堂, Kokkaigijidō), zahlreiche Ministerien und der Oberste Gerichtshof (最高裁判所 saikō saibansho). Ein grosses und nachts menschenleeres Büroviertel.
Mehr zur alten Festung siehe unter Edo-jō.
Zwei Mal im Jahr, am 23. Dezember (des Tennos Geburtstag) und am 2. Januar (Neujahrsansprache) spricht der Tennō, der japanische Kaiser, zu seinen Untertanen. An diesen beiden Tagen darf ma durch das Sakuradamon durchschreiten und einen kleinen Teil des Kaiserpalastes begehen, um dort einer kurzen Ansprache des Tenno beizuwohnen. Die Besucher dieser Veranstaltungen lassen sich in der Regel in drei verschiedene Gruppen einordnen: Sehr alte Japaner, Touristen und Ultrarechte. Die “banzai!”-Rufe, das bedeutet “(er lebe) 10’000 Jahre”, gehören dazu, genauso wie die unglaublich klare Aussprache des Tenno selbst. Die untenstehende Aufnahme habe ich bei der Geburtstagsansprache des Kaisers am 23. Dezember 2007 gemacht:
秋葉原 Akihabara
Der Kontrast zwischen den Burganlagen und den umliegenden Hochhäusern könnte grösser nicht sein. Da ein Ort mit Wassergräben und vielen Bäumen, dort der tosende Verkehr zwischen den Häuserschluchten. In den 1980ern war angeblich der Grundstückspreis des Kaiserpalastes genauso viel wert wie der des gesamten US-Bundesstaates Kalifornien.
Läuft man vom Palast gen Norden, kommt man nach Akihabara (zu deutsch “Herbstblätterfeld”) – bekannt durch den Beinamen “Electric City”. Dort reihen sich Elektronik- und Elektrotechnikkaufhäuser aneinander. Akihabara ist bei Touristen sehr beliebt, da man dort modifizierte, also problemlos im Ausland nutzbare japanische Produkte kaufen kann. Sprich mit angepassten Stromanschlüssen (da Japan 110 V nutzt), englischer oder chinesischer Menüführung, passenden Modems usw. usf. Was die Preise anbelangt, ist es nicht unbedingt billiger in Akihabara. Man kann genauso gut in den grossen Läden wie Big Camera ビックカメラ oder Yodobashi Camera ヨドバシカメラ, z.B. in Shinjuku oder Ikebukuro, einkaufen. Allerdings sind die Geräte dann nicht kompatibel – man muss Extra-Equipment kaufen.
Akihabara hat sich jedoch seit den 1990ern stark verändert. War diese Gegend bis dahin schlichtweg ein Shoppingparadies für Elektronikfans, so ist Akihabara nunmehr das Mekka für otakus. Sogenannte Maid-Cafes begannen, wie Pilze aus dem Boden zu schiessen. Hinzu kamen später kleine und kleinste Bühnen, auf denen blutjunge Mädchen singend vor nicht selten beziehungsunfähigen Männern jeglichen Alters herumtanzen. Aus diesem Trend heraus wurde so auch die Girl-Band AKB48 gegründet – ein Ensemble aus 48 jungen Frauen, die im Rotationsprinzip überall im Land auftreten, und bei denen alljährlich Mädchen rausgeworfen oder zur Besten gekürt werden. “AKB” steht dabei für “Akihabara” – und 48 für die Anzahl der Mitglieder.
Maid-Cafes muss man allerdings mögen — ein Besuch dort ist sicherlich ein Erlebnis für sich, dass man so nur hier in Akihabara erleben kann, aber jedermanns Sache ist das nicht. Mehr zu dem Thema, inklusive Podcast-Folge, siehe hier.
国会議事堂 Parlamemtsgebäude
Südwestlich des Kaiserpalastes steht ein sehr markantes — und gut von der Polizei bewachtes Gebäude: Das japanische Parlamentsgebäude, in dem beide Kammern (Ober- und Unterhaus) tagen. Für ein Parlamentsgebäude bedurfte es drei Anläufe: Der erste Bau, fertiggestellt 1891, brannte nach nur 2 Monaten ab. Parlamentsgebäude Nummer 2 fiel ebenfalls den Flammen zum Opfer – im Jahr 1925. Der heutige Bau wurde von 1920 bis 1936 errichtet, nach den Plänen eines japanischen Architekten, der wiederum viele Anleihen in den ursprünglichen Plänen zweier deutscher Architekten, Ende und Böckmann, nahm. Der mittlere Turm erinnert an eine Pyramide und ist 65 m hoch – damit war das Parlamentsgebäude von 1936 bis 1964 das höchste Gebäude von ganz Japan (was heute schwer vorstellbar ist, doch früher baute man nicht hoch in Japan).
靖国神社 Yasukuni-Schrein
Westlich des Kaiserpalastes, kurz vor dem sotobori 外堀 (Aussengraben) befindet sich der grosse Schrein Yasukuni. Der Name bedeutet soviel wie “Befriedung des Landes”. Der Schrein ist den Kriegstoten seit 1853 gewidmet – und das sind schätzungsweise 2.4 Millionen! Vor allem aussenpolitisch zum Problem wurde der Schrein seit 1979, denn seitdem wurden hier auch Klasse A – Kriegsverbrecher (höchste Kategorie) eingesegnet zur letzten Ruhe gebettet. Und japanische Politiker besuchen diesen Schrein zum Jahrestag des Endes des zweiten Weltkrieges, was alljährlich lautstarke Proteste der einstigen Opfer Japans – China und Korea – sowie Seitens der japanischen Opposition hervorruft. Das war vor allem beim einstigen, langdienenden Ministerpräsidenten Koizumi 小泉 nicht anders. Ein Hickhack, das sich Jahr für Jahr wiederholt.
Rund um den Schrein fahren ab und an die Rechten in ihren schwarzen Bussen herum und versuchen sich in Propaganda. Gleich in der Nähe befindet sich der Kaiserpalast.
Und sonst?
Chiyoda-ku, vor allem die Region rund um den Bahnhof von Tokyo, hat sich seit dem Jahr 2000 dramatisch verändert – es wurde sehr viel gebaut und sehr viel modernisiert. Einige Bereiche ändern sich jedoch offensichtlich nie. So zum Beispiel die Gassen entlang der Yamanote-Bahnlinie, rund um die Station 有楽町 Yūrakuchō, wo man zahlreiche interessante Restaurants und Kneipen finden kann. Das gleiche lässt sich auch über 神田 Kanda sagen – die erste Station Richtung Norden nach dem Bahnhof von Tokyo.
Nördlich des Kaiserpalastes liegt das Viertel 神保町 Jimbōchō – ein traditionelles Verlags- und Buchhandelviertel. Hier haben dutzende namhafte Verlage ihren Sitz, und hier gibt es auch unendlich viele kleine und kleinste Buchläden – viele davon sind Antiquariate. Dort findet man nicht nur japanische Bücher, weshalb Jimbocho selbst für des Japanischen nicht mächtige Bücherfreunde ein wahres Paradies ist.