BlogZwei Jahre danach - und, was gelernt?

Zwei Jahre danach – und, was gelernt?

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Zwei Jahre ist es nun also her, seit ein schweres Erdbeben halb Japan durch- und ein anderes Land 10’000 km westlich in Sachen Kernenergie aufrüttelte. Über 15’000 Tote, mehr als 3’000 Vermißte, verwüstete Landstriche, mindestens 50’000 Menschen, die aufgrund der Atomkatastrophe in Fukushima auch in den nächsten 4 Jahren (von der Regierung optimistisch geschätzt) nicht zurück nach Hause können, Schlagzeilen wie “Häusliche Gewalt im Katastrophengebiet steigt an” und so weiter und so fort – die Katastrophe zieht eine lange Spur des Schreckens hinterher und sie wird auf lange Zeit im Gewissen der Bevölkerung eine große Rolle spielen. Im positiven Sinne, da die Katastrophe eine große Menge positiver Energie freisetzte, vermittelt durch unzählige Menschen im In- und Ausland, die sich bereit erklärten, helfen zu wollen, egal wie. Im negativen Sinne ebenso, da das Beben und der Tsunami eine riesengroße Menge Dreck hervorspülte – aus den Eingeweiden der Politik und der Wirtschaft. Dieser Dreck ist noch immer für Schlagzeilen gut in Japan (so erst kürzlich, als bekannt wurde, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit bereits das Erdbeben und nicht erst der Tsunami war, der dem AKW den Garaus machte).
Hat man in Japan aus der Katastrophe gelernt? Jein. Es ist noch zu früh, dies beurteilen zu können. Und Japan hat bereits, leider, viele Chancen gehabt, aus vergangegenen Erdbebenkatastrophen zu lernen, und man hat auch vieles gelernt: Zumindest was Erdbeben anbelangt. Nicht aber, was Tsunami und eine ordnungsgemäße Risikoanalyse beim Bau von Kernkraftwerken angeht. In puncto Tsunami wiesen schon vor langer Zeit Geologen daraufhin, dass bis zur Katastrophe dicht besiedelte Gebiete aus gutem Grund früher nicht besiedelt wurden.
Bei der geologischen Risikoanalyse von AKW-Kraftwerken muss man vorsichtig sein, auf wen man mit dem Finger zeigt: Geologen und Ingenieure haben heute ganz andere Meßtechniken und Erfahrungswerte zur Verfügung als vor 40 Jahren. Immerhin ist man jetzt jedoch dabei, die AKW-Standorte aufs Neue genauer unter die Lupe zu nehmen, und – dies das eigentliche Novum – die Öffentlichkeit von den Resultaten zu unterrichten. Oder, anders gesagt, ist die Presse endlich daran interessiert, da die Leserschaft mehr zu wissen wollen scheint.
Diese Taktik birgt ihre Risiken – für die Bevölkerung: Letztendlich versuchen die Verantwortlichen damit, einzelne AKW zu legitimieren. Jedoch sind Presse und Öffentlichkeit mittlerweile genügend sensibilisiert, und da es in Japan kaum einen Winkel gibt, in dem es keine aktiven Verwerfungen gibt, fällt ein AKW nach dem anderen durch. So scheint es zumindest momentan. Mit etwas Glück sorgt die Wissenschaft damit vielleicht sogar zur Einsicht. Aber das ist sehr optimistisch ausgedrückt, denn es sieht nicht gerade so aus, als ob man ernsthaft nach Alternativen für eine nachhaltige Energieversorgung zu suchen scheint.
Zwei Jahre nach der Katastrophe leben noch cirka 310’0000 Menschen in Notunterkünften. Das ist nicht unbedingt damit zu erklären, dass es an Aufbaumitteln mangelt. Mancherorts liegt es schlichtweg daran, dass man sich nicht entscheiden kann, wo man die jeweilige Stadt wieder aufbaut. Die Überlebenden werden durchaus am Entscheidungsprozess beteiligt, und so kommt es in manchen Orten zu einem Stuttgart 21 im Kleinstadtformat: Die einen wollen genau dort wieder bauen, wo das Wasser wütete – nur hinter höheren Deichen. Die anderen, und mancherorts sind die in der Minderheit, wollen lieber ein paar Kilometer landeinwärts siedeln. Wieder andere, und das sind nicht wenige, haben genug und wollen einfach nur ganz weg. Man befürchtet eine beschleunigte Entvölkerung des Nordostens, und das zu recht – die Abwanderung hält sowieso schon seit Jahrzehnten an.
Heute hiess es um 14:46 also wieder 黙祷! (mokutō – “Schweigegebet”) und vielerorts heulten die Sirenen. Ich hätte nichts dagegen, wenn man eigenartige Feiertage wie den Tag des Grüns oder den Tag des Meeres abschafft, und stattdessen den 11. März zum Feiertag erklärt: Einem Feiertag zum Gedenken an die Erdbeben- und Tsunamiopfer sowie ein Tag der Mahnung daran, was passieren kann, wenn man leichtsinnig mit dem Feuer spielt.

Wer in letzter Zeit auf gute Reportagen zum Thema gestoßen ist – egal ob Print oder Fernsehen, Japanisch, Englisch oder Deutsch – nur her damit!

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

16 Kommentare

  1. Gute Filmreportage zum Thema: 先祖になる(Roots)
    Lief gerade auf der Berlinale. Ich fand ihn (Film und Opa)ganz beeindruckend und zuweilen überraschend. Ist sicherlich nicht der faktisch akkurateste oder informante Beitrag aber trotzdem auf menschlicher Ebene sehr sehenswert.
    Mir ging danach der Gedanke ” naruhodo – die Seele Japans” nicht mehr aus dem Kopf. hehe

  2. ich weiß nicht, in wie weit ihr die sender in japan empfangen könnt/mediathek öffnen könnt…
    jedenfalls sind auf den doku-sendern wie arte, ntv n24, 3sat etc eine menge dokus gesendet worden, die wohl im laufe der woche wiederholt werden.
    rbb zeigt auch einiges(wiederholungen nicht angegeben)
    Mo 11.3. 06:20 Japan. Die Kinder des Tsunami
    Mo 11.3. 06:35 Japan. Die Kinder von Fukushima
    Di 12.3. 06:20 Japan. Achtung Erdbeben!
    Di 12.3. 06:35 Japan. Ein Jahr nach Fukushima
    sind meist wiederholungen von letztem jahr.
    Stunde der Katastrophe: Das Mega-Beben
    (N-TV)

  3. Das mit dem Gedenktag finde ich eine gute Idee!
    Leider sind viele Fehler gemacht worden. Es wurde viel vertuscht und mich regt es einfach nur auf, dass die Falschen darunter leiden müssen!
    Vielerorts werden die Kinder in Fukushima auf Schilddrüsenkrebs untersucht und zwar in regelmäßigen Abständen.
    Wollen wir mal hoffen, dass die Befunde weiterhin negativ bleiben.

  4. “Aber das ist sehr optimistisch ausgedrückt, denn es sieht nicht gerade so aus, als ob man ernsthaft nach Alternativen für eine nachhaltige Energieversorgung zu suchen scheint.”
    Immer noch zu vorsichtig ausgedrueckt. Die DPJ war schon ziemlich lauwarm, was Atomausstieg angeht, aber die LDP und ihre Buddies von Tepco und co. werden den Teufel tun …

  5. Mir gefällt die Sendung Dig von TBS Radio 954kHz sehr gut. Am 11.3. haben sie eine Sendung gemeinsam mit Radio Fukushima produziert, die kann man sich als Podcast herunter laden.
    In der NZZ, dem Guardian, der New York Times und der TAZ habe ich auch immer wieder gute Artikel gelesen.

  6. 14 Jahre danach – und, was gelernt?
    Am 30. September 1999 kam es bei der Uranverarbeitung in Tokaimura, Präfektur Ibaraki, zu einer nuklearen Kettenreaktion. Die unkontrollierte Uranspaltung trat bei unsachgemäßem Hantieren mit Uranoxid auf. Die Arbeiter wurden zwar von dem blauen Blitz erschreckt, waren aber total ahnungslos, was sie zu tun und zu lassen hatten in dieser gefährlichen Umgebung.
    Natürlich gab es auch damals keine Warnungen, keine passenden Meßgeräte, keine Koordination … Aber das tollste war ein Ventilator, den niemand beachtete. Mit dessen Luftstrom wurde 11 Tage lang radioaktiver Staub in Freie geblasen.
    Mehr bei: http://www.chris-schuth.de/qualitalk/aktuell/

  7. “メルトダウン原子炉“冷却”の死角” lief dieser Tage wiederholt am TV:
    http://www.nhk.or.jp/special/detail/2013/0310/index.html
    Geht allerdings nicht um Land und Leute sondern was vor Ort passiert ist. Anscheinend wurde in all den Jahren seit das AKW in Betrieb war niemals nachgeprüft, ob das Isolation Cooling Notfallsystem, eine Art Wassertank der auch bei totalem Stromausfall Kühlung garantiert, überhaupt funktioniert. Auch die Notfallmassnahme div. Ventile zu schliessen und dann mit Hilfe der Feuerwehr den Reaktor direkt zu fluten, hatte man kein einziges Mal geübt.
    Diese und ähnliche Dokus lassen sich hier gucken:
    http://www.at-douga.com/?p=7292
    Ich kann es kaum erwarten bis die Reaktoren wieder ans Netz gehen…

  8. Hi,
    ich habe auch einen Japan-Blog (bin noch nicht so aktiv), wo ich letzte Woche eine kleine Medienschau über die Berichterstattung über Fukushima gemacht habe:
    http://nipponryokan.blogspot.de/2013/03/image-ist-nichts-fukushima-in-den-medien.html
    Hauptsächlich habe ich mich auf Tageszeitungen gestützt, aber auch 2-3 Dokumentationen verlinkt (die hier teilweise auch schon erwähnt wurden).
    Die NHK-Tokaimura-Reportage über den Kritikalitätsfall von 1999 und dem verstrahlten AKW-Mitarbeiter gibt es bei Nicovideo (nur Japanisch): http://nicoviewer.net/sm19040435
    In einem weiteren Blogpost ( http://nipponryokan.blogspot.de/2013/03/seelenheilung.html ) habe ich auf die Dokumentation “Souls of Zen” aufmerksam gemacht, die ein Heidelberger Religionswissenschaftler produziert hat. Zen-Mönche wurden bei der Ersthilfe der Opfer begleitet. Leider wurde diese Doku bisher nur auf Filmfestivals gezeigt, auf der Website gibt es nur einen Trailer.

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