“Ich habe schon sechs Ministerpräsidenten in diesem Land erlebt – und jetzt kommt der siebente!”
Würde ich diesen Satz in Deutschland sagen (gut, da heisst es Bundeskanzler), wäre ich irgendwann Anfang der 1960er unter Ludwig Erhard geboren worden bzw. eingewandert. In Japan geht das alles ein bisschen schneller, wie im Zeitraffer quasi: Hier kommt Ministerpräsident 野田佳彦 Yoshihiko Noda, der siebente Ministerpräsident in 6 Jahren. Aber immerhin wieder einer mit kurzem, einprägsamen Namen. Er wird damit Kan folgen, der ja vergangenen Freitag zurückgetreten ist.
Ganz eigentlich ist Noda jedoch noch nicht Ministerpräsident: Heute wurde er lediglich zum Parteivorsitzenden der regierenden Demokratischen Partei gewählt – dies bedeutet allerdings mit nahezu vollständiger Sicherheit, daß er am Donnerstag (1. September 2011) vom Parlament zum Ministerpräsidenten gekürt wird.
Finanzminister Noda, 54 Jahre alt, musste sich heute beim (parteiinternen) Wahlgang gegen 4 Mitbewerber behaupten. Darunter waren unter anderem Aussenminister Maehara, der im Volk relativ starken Rückhalt hat, und Wirtschaftsminister Kaieda – jener wiederum geniesst die Unterstützung der grauen Eminenz 小沢 一郎 Ichirō Ozawa – einst Parteivorsitzender und meiner bescheidenen Meinung nach das Musterbeispiel für arrogante, machtversessene Intriganten, denen das Volk so ziemlich schnuppe ist. Nun holte Kaieda zwar im ersten Wahlgang die meisten Stimmen, aber das reichte nicht aus, um das Rennen für sich zu entscheiden. Beim zweiten Wahlgang konnte schliesslich Noda gewinnen – da ging es schliesslich mehr um die Frage, ob jemand aus der Ozawa-Gruppe gewinnt oder nicht. Letzteres wollten die meisten offensichtlich vermeiden.
Kurzes Beispiel gefällig, warum ich eine Ozawa-Allergie habe? Nach entschiedener Wahl wurde Ozawa gefragt, ob er Noda unterstützen werde. Antwort: Das wäre “態勢次第” (taisei shidai) – “hängt von seinem Verhalten ab”. Jaja, die beiden sind in der gleichen Partei! An ein “Natürlich! Wir sind ja schliesslich in der gleichen Partei” ist bei Ozawa nicht zu denken.
Noda gehört dem rechten Flügel der Demokratischen Partei Japans an und steht für… Steuererhöhungen zum Beispiel, um den Haushalt (hoffentlich) zu sanieren. Wie auch immer das aussehen mag. Unter anderem im Gespräch ist eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 5 auf 10%.
Noda ist auch dafür bekannt, dass er sich mit der Verabschiedung von der Kernenergie nicht recht anfreunden kann. Im Gegenteil: Er möchte die derzeit stillgelegten Reaktoren wieder in Betrieb nehmen lassen. Das nennt man hier “wirtschaftsfreundlich”.
Leider wird Noda’s grösste Aufgabe erstmal sein, seine Partei zu einen. Mein Tipp: Schmeiß doch Ozawa einfach raus!
Nu guck! Im örtlichen Informationsradio wurde heute Morgen die relative Kontinuität (tatsächlich) der Atompolitik Kan’s durch Herrn Noda kommuniziert. Erneuerbare Energien sollten gefördert ohne aber aus der Atomkraft aussteigen zu wollen. Vielleicht haben die Journalisten der Förderung erneuerbarer Energien hierzulande mehr Bedeutung beigemessen.
Und wie man sieht: Parteidisziplin gibts nicht – weder bei der Abstimmung(dann hätte Ozawas Kandidat gewinnen müssen) noch bei Ozawa. Finde ich nicht unbedingt verkehrt – jeder sollte eine eigene Meinung haben, wenn jedoch einmal eine (bsplw. durch Abstimmung) Meinung gefunden wurde, sollte diese von der dahinterstehenden Gemeinschaft (z.B. Partei) auch unterstützt werden. Dafür, dass man den Japanern ein starkes Gemeinschaftsgefüge nachsagt, verhalten sie sich aber sehr konträer.
Solange Ozawa in der Partei verweilt, ist es nur eine Frage der Zeit bis er Noda absägt bzw. die Stimmung dazu verbreitet.
Wer trägt den die japanischen Politiker im deutschen Wikipedia ein? *** wunder ***