BlogSoziopathenparadies Japan

Soziopathenparadies Japan

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Jede Gesellschaft bringt ihre Soziopathen hervor – die eine mehr, die andere weniger. Heuer gab es wieder einen durchaus erwähnenswerten Fall, der die Presse seit einer Woche in Atem hält.
In der vergangenen Woche wurde ein älteres Ehepaar recht brutal mit einem Messer ermordet, kurz darauf eine ältere Frau mit einem Messer attackiert (sie überlebte). Die Tatorte lagen dicht beieinander. Der Täter überraschte die Opfer jeweils zu Hause – er war als Paketträger verkleidet. Flüchtete jedes Mal erstmal zu Fuss. Und: Der ermordete Mann sowie der Ehemann der angegriffenen Frau waren beide einstmals stellvertretende Minister im Gesundheits- und Arbeitsministerium. Eine merkwürdige Parallele.
Natürlich ahnte man, das der gleiche Täter dahintersteckt. Und der stellte sich schliesslich über das Wochenende – ein 46-jähriger, der wohl schon einigen Mitmenschen unangenehm aufgefallen war. Sein Motiv: Als Kind hatte er einmal einen Hund nach Hause gebracht, was seinem Vater nicht gefiel – der trug den Hund zu den Behörden, die ihn daraufhin einschläferten. Das war 1974. Und Koizumi suchte nun nach Leuten, an denen er sich rächen konnte.
Das makabre an der Geschichte ist allerdings, dass das Sozialministerium gar nichts damit zu tun hatte – es ist zwar das Gesundheitsamt, dass sich solcher Fälle annimmt, aber letztendlich kümmert sich das Umweltministerium darum. Aber woher sollte der Täter das wissen…
Die Japan Times (26. Nov 2008, S. 2) veröffentlichte in dem Zusammenhang ein paar Zahlen, an die man sonst kaum kommen würde. Und die Zahlen haben mich ob der Grössenordnung halbwegs geschockt: Laut Umweltministerum wurden allein 2006 ca, 420,000 Hunde und Katzen zum Gesundheitsamt gebracht. 95% der Tiere wurden eingeschläfert (wie auch immer man das in Japan macht) – meldete sich kein Besitzer, wurde kurzer Prozess gemacht. Bei Katzen sieht es ganz arg aus: Nur 1% überlebte den Gang zur Behörde.
Das zeugt mal wieder von Japans einfachem Verständnis von Tieren – die lässt prinzipiell nur zwei Strategien zu:

______________      ____     _______    _______
|Tier essbar?|------|ja|-----|jagen|----|essen|
|____________|  |   |__|     |_____|    |_____|
                |_________________________   _______
                    |nein|---|unbrauchbar|---|jagen|
                    |____|   |___________|   |_____|

Ganz einfach eigentlich. Übrigens – bringen Besitzer ihre Tiere zum Gesundheitsamt, weil sie sie nicht mehr halten können oder wollen, werden die Tiere in der Regel binnen eines Tages eingeschläfert.
Nun ja. Das Wort des Tages könnte Tierheim sein, aber leider gibt es dafür kein geläufiges Wort hier.
Das Wort des Tages: 殺処分 satsu shobun. Satsu bedeutet töten, shobun bedeutet “loswerden” (aber auch “vollstrecken”). Auf Deutsch einschläfern, keulen.

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tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

12 Kommentare

  1. vielleicht liegt es ja genau an der oben b4eschriebenen strategie: tier — jagen.

    wozu einen begriff wie tierheim erfinden, wenn selbiges sowieso kurzfristig sein dasein in/auf dieser welt beenden wird und eine “anstalt” damit nicht notwendig ist. produziert nur aufwand und kosten.

    bin gespannt, wann dies auch auf andere spezies dieses planeten angewendet werden wird. gibt es eigentlich einen begriff für altenheim?

  2. Wow, nach diesem Artikel bin ich echt geschockt und würde die Japaner von nun an am liebsten mit anderen Augen sehen wollen. Aber wäre das gerecht, wenn ich jetzt alle über einen Kamm schere? Was für Erfahrungen hat denn hier die Allgemeinheit gemacht? Sieht ein Großteil der Japaner Tiere nur als ein witziges Gimmik an, das man nach Nichtgefallen einfach so wegschmeißt?

  3. Hi, soweit mir bekannt ist die Gandenfirst drei Monate bei Fundtieren, danach gibt es eine Giftspritze. Hatte letztes Wochenende eine Hund zur Polizei gegeben, war zugelaufen. Drei Monate sagte der Wachmann und was soll danach mit der Fundsache geschehen wenn wir keinen Halter finden können? Die Option war ein mal ich will die Fundsache oder ich will sie nicht. Macht man den Keiss bei ich will sie nicht unterschreibt man das Todesurteil für das Tier! Geht ja schon prima aus der Statistik hervor. Ich wählte “ich will die Fundsache haben”. Glücklicherweise wurde das Herrchen des Hundes recht schnell gefunden! Was machen wenn einen das jede Woche passiert, hier am Waldrand gut moeglich. Ich meine ich kann nicht alle Hunde und Katzen auf nehmen… Sollte man das dann wie die meisten Japaner machen. Einfach drüber hinweg sehen und das Tier laufen lassen?

    Oder ist da vielleicht eine Reform nötig?

  4. Ja das mit den Haustieren ist so eine Sache in Japan.
    Man weis gar nicht ob man die Tiere in den Homecenter bemitleiden soll oder nicht.
    Besonders diese Vernarrtheit in Hunde kann ich bei der Enge hier nicht verstehen.
    Immerhin, das ist das einzig gute, machen sie den Dreck ihrer Hunde weg (meistens).

  5. Tiere sind Sachgegenstände hier. Und zwar nicht nur rechtlich.
    In Zoos gehen halte ich hier in Japan gerade noch so aus, aber Zoohandlungen kann ich nimmer. Da werde ich wahnsinnig.

  6. Hab mal in einem großen Kaufhaus in Tokyo (ich denke es war das Takashimaya in Shinjuku) Hunde gesehen, die jeweils in Vitrinen auf 1/2 qm zum Verkauf angeboten wurden. Z.T. sind die natürlich verhaltensgestört hin und her gelaufen.

  7. Tierliebe scheint in Japan anders definiert zu werden als in Deutschland. Ich denke da nur an die (Gold)fische, die auf den Matsuri gefangen und dann ein paar Tage spaeter grossteils in die Toilette gegeben werden. Tierparks in Japan habe ich bisher nur schlechte Erfahrungen gemacht und in japanische Tierhandlungen setze ich auch keinen Fuss. Ich bin weiss Gott kein grosser Tierliebhaber, aber was die Japaner zum Teil ihren Tieren antun, kann ich einfach nicht nachvollziehen. Ein Auswuchs des Uchi-Soto Prinzips? Nein, wahrscheinlich nicht, trotzdem denke ich oft, dass Japanern Empathie gegenueber allem und jedem ausser ihnen selbst fehlt.

    Andererseits: Die Eltern meiner Freundin halten seit 14 Jahren einen Hund, den sie aufrichtig und von ganzem Herzen lieben und kuemmern sich jeden Tag mit Hingabe um das nun schon gebrechliche, alte Tier.

  8. Japan ist eine Wegwerfgesellschaft und das hört bei Tieren nicht auf.

    BigAl hat recht und ich schrieb nicht ohne Grund “Fundsache”. Hab erst heute erfahren das in unserem Ort des öfteren Tiere gefunden werden die ausgesetzt wurden.

    Man sollte auf keinen Fall alle über einen Kamm scheren ich kenne auch Leute die ihre Tiere über alle Massen lieben.

    Das Problem fängt aber wo ganz anders an. Wo und wie man Tiere kaufen kann. Im Baumarkt um die Ecke gibt es die Plastik Boxen mit Hunden und Katzen befühlt… Ich hab mal ein Bild gesucht http://www.dradio.de/images/492/landscape/

    Das sind die welche dann nach und nach wieder der Mutternatur zugeführt werden. Sei es bei Fischen in Fluss oder Stausee Hund und Katze tut man gern im Wald aussetzen und dann sind da ja noch die Schildkröten und Reptilien.

    Wenn ihr mich fragt, Tiere sind in Japan eine Handelsware ein Stück mehr nicht, mit dem man vortrefflich Geld verdienen kann.

  9. Letztens habe ich bei einem Laden hier in der Naehe einen Waldkauz gesehen, fuer etwa 220’000 yen. Schoen beleuchtet. Ich versteh’s nicht. Die knapp neugeborenen und dann in separierte Boxen gepferchten Hunde und Katzen, werden wohl gekauft, fuer zwei Monate gehalten, bis sie nicht mehr kawa(i^33) sind, und dann ausgesetzt. In meiner Ortschaft hats ein ziemliches Rudel wilder Hunde, das man ab und zu des Nachts unterwegs sehen kann.

  10. Nun ja.. man sollte ev. die Japaner nicht so generell verdammen.
    Ich frage mich manchmal was wir (die christlich westliche Kultur) alles so aus Tierliebe tun, ob das wirklich immer so die wahre Tierliebe ist.
    Ich mag z.B. Katzen unheimlich gerne, aber ich würde nie im Leben darauf kommen eine in der Stadt in meiner Wohnung zu halten. Und doch tun das auch so viele der dt. Tierliebhaber.
    Oder die Sache mit den Hunden…

    Und man sollte z.B. dran denken das andere Kulturen Tiere auch anders sehen, so halten Indios ja Meerschweinchen als Nahrung.

    Das heißt natürlich nicht das ich den gedankenlosen Umgang wie z.B. in den Geschäften wirklich gut heiße.

  11. Ich find das in den Geschäften auch ganz übel, aber das so schnell eingeschläfert werden ist ja echt ne üble Sache. Aber das Dasein als Haustier ist in Japan wahrscheinlich nicht besonders aufregend. Herumgetragen werde und süß aussehen. Schön mit Verkleidung… Dein Schema ist übrigens sehr gut :) Sowas sollte ich auch mal versuchen.
    Grüße
    Herm

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