Japanische Züge sind ja weltweit für ihre Pünktlichkeit bekannt. Die Meinung ändert sich zwar leicht, wenn man jahrelang tagein, tagaus mit der Bahn in Tokyo unterwegs ist, aber alles in allem ist der Bahnverkehr schon bemerkenswert. Das betrifft nicht nur die Pünktlichkeit und Sauberheit an sich, sondern das System schlechthin: Zieht zum Beispiel jemand auf einer der zahlreichen JR-Strecken in Tokyo die Notbremse oder drückt ein Fahrer den Alarmknopf, stehen binnen Sekunden alle JR-Linien (es gibt auch zahlreiche andere, private Bahnlinien) still. Erst wenn der Einatzzentrale klargeworden ist, was wo und warum passierte, bewegen sich alle anderen, nicht betroffenen Bahnen wieder. Und dann geschieht das wirklich bemerkenswerte: Obwohl alles auf die Sekunde genau eingetaktet ist, “erholt” sich das System sehr schnell wieder. In einem Geflecht aus dutzenden Bahnlinien, mit Zügen, die oft im 2-3 Minuten Takt fahren, ist das wirklich erstaunlich.
Was ich auch an den Bahnen schätze – und was mich zum Beispiel in Deutschland schon immer auf die Palme getrieben hatte – ist die Informationsstrategie. Kommt ein Zug eins, zwei Minuten zu spät in Japan, wird das rechtzeitig auf Anzeigetafeln und über Lautsprecher bekannt gegeben. Und zwar so lange, bis der Zug kommt. Da viele Züge in den Ballungsgebieten nun mittlerweile auch mit Bordfernsehen ausgestattet sind, wird auch in den Zügen gezeigt, welche Linien momentan aus welchen Gründen Verspätung haben. Manchmal sind es 0, in Extremfällen bis zu 23 Linien (das höchste, was ich bisher gesehen habe – bei Taifunen und nach Erdbeben). Amüsant ist dabei manchmal die englische Übersetzung für die Gründe der Verspätung. Am häufigsten sind dabei
- ドア/車両の点検 – Waggon/Tür-Inspektion bzw. Probleme mit den selbigen
- 信号トラブル – Probleme mit der Signalanlange
- 強風 – Sturm
- 人身事故 – Personenschaden
- 異音 – Seltsame Geräusche
vertreten. Nr. 1 und 5 sind meist schnell behoben, bei 2. kann es manchmal Stunden dauern, bei 4. in der Regel mindestens 2 Stunden und bei 3. kann man nur beten, das das Wetter besser wird. Manchmal liest man jedoch auch kreative Gründe:
Der Grund für die Verspätung steht immer ganz rechts: “Trouble on Board” bedeutet normalerweise, dass sich Leute in die Wolle bekommen oder ein Volltrunkener den Waggon vollgewürfelt hat. Das passiert, vor allem letzteres…
In diesem Fall war es der Anzeige zu Folge “Smoking on tracks”. Was war passiert? Hatte jemand auf den Gleisen geraucht? Nur das Japanisch darüber gibt Aufschluss: Rauch auf der Trasse.
Leider etwas schwer zu erkennen, da im gut gefüllten Zug aus der Ferne aufgenommen: Hier war ein “Obstacle Thing” – ein “Hindernisding” des Übels Wurzel.
Wer übrigens wissen will, wie es aussieht, wenn so ziemlich alle Linien stillstehen: Siehe Anzeige (diese findet man in den größeren Umsteigebahnhöfen) unten. Die Anzeige ist normalerweise komplett weiss. Orange steht für Linien, die nur verspätet oder begrenzt verkehren, rot steht für Linien, die komplett stillstehen. Das Photo entstand an einem Taifuntag:
Und doch – die schönste Durchsage habe ich einst in Deutschland gehört. Im EC von Straßburg nach Frankfurt/Main sagte jemand irgendwo vor Darmstadt: “Sehr geehrte Fahrgäste, zum jetzigen Zeitpunkt können wir nicht mit Sicherheit sagen, dass dieser Zug es bis Frankfurt am Main schaffen wird. Wir haben einen Lokschaden. Wer es eilig hat, kann in Darmstadt in den ICE umsteigen, aber vielleicht (!) schaffen wir es auch bis Frankfurt”. Einfach göttlich.
Passend dazu hab ich gerade 3 Stunden von meiner Fakultät nach Hause gebraucht und bin garüberhauptnicht Nass geworden. Da erhellt mir dein Blogeintrag schon ein bischen den Abend (so neben den Blitzen) :)