BlogOberhauswahlen mit einem tiefgesteckten, aber wichtigen Ziel

Oberhauswahlen mit einem tiefgesteckten, aber wichtigen Ziel

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Kore de ii no nihon?Am 10. Juli ist es mal wieder soweit. Turnusgemäss werden Japaner zur Wahlurne gerufen, um die wählbaren Oberhausmandate neu zu wählen. 121 Sitze, beziehungsweise genau 50% der Sitze, um genau zu sein. So nichts aussergewöhnliches geschieht, findet diese Wahl alle 3 Jahre statt. Für die regierenden Liberaldemokraten um Ministerpräsident Abe wird auch diese Wahl wieder ein Spaziergang, denn es gibt zwar mittlerweile eine ganze Reihe von Oppositionsparteien, doch keine von denen kann auf nennenswerte Ergebnisse hoffen – dieser Zustand hält bereits seit 5 Jahren an, und noch ist kein Ende in Sicht. Die davor regierenden Demokraten haben dies scheinbar auch eingesehen und deshalb ihre Ziele und ihre Botschaft an einem wichtigen Punkt festgemacht. Der Wahlkampfspruch lautet „Auf keinen Fall eine Zweidrittelmehrheit zulassen!“, und der wird mit der これでいいの日本? („Willst Du das wirklich, Japan?“)-Kampagne unters Volk gebracht.
Eine Zweidrittelmehrheit zu erreichen ist natürlich Abes Ziel bei dieser 24 Oberhauswahl, und das Ziel ist, leider, realistisch. 136 der 242 Sitze hält die Regierung bereits jetzt, also mehr als 50%. Und was passiert, wenn daraus mehr als 66% werden? Wie in vielen anderen Demokratien mit einer Verfassung reicht in Japan eine einfache Mehrheit im Parlament, um Gesetze zu erlassen, zu ändern oder abzuschaffen. Da es bei der Verfassung jedoch ans Eingemachte geht, benötigt man häufig, und aus gutem Grund, eine Zweidrittelmehrheit. Dem ist auch in Japan so, und diese Mehrheit braucht man in Japan in beiden Parlamenten – dem Ober- und dem Unterhaus. Denn das Oberhaus kann die Verfassung zwar nicht ändern, aber es hat Vetorecht und kann somit das Unterhaus daran hindern, die Verfassung zu ändern. Im Unterhaus halten die Regierungsparteien bereits eine Zweidrittelmehrheit – erreichen sie dies also auch im Oberhaus, besteht das Vetorecht nur noch auf dem Papier.

Was aber werden die Regierungsparteien mit ihren nahezu unbegrenzten Möglichkeiten machen? Drei Verfassungsänderungen stehen auf dem Plan – die Artikel 9, 11 und 13 sollen geändert werden, und jede Veränderung wird einen grossen, nochnicht vollständig ansehbaren Einfluss auf die japanische Außenpolitik (Artikel 9) und Gesellschaft (Artikel 11 und 13) haben. Das Rentensystem soll zum Beispiel umgekrempelt werden (GPIF) und das transpazifische Freihandelsabkommen (TTP) ratifiziert werden. Gegen beide Unterfangen gibt es erheblichen Widerstand beziehungsweise Unwollen, da viele Menschen das Gefühl haben, nicht genügend informiert zu werden.
Doch der Brexit, der auch in Japan mit grossem Interesse verfolgt wird, scheint der Regierungspartei genau recht zu kommen. Im Grossen und Ganzen wird die Abenomics genannte Wirtschaftspolitik mit Argwohn betrachtet, doch den zahlreichen Oppositionsparteien traut man offensichtlich keine kompetentere Wirtschaftspolitik zu. Und um auf Nummer sicher zu gehen, zaubern die Liberalen auch noch einen Joker aus dem Ärmel und streuen das Gerücht in den Medien, dass die Demokraten unter Naoto Kan nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima erlassen haben sollen, dass das Wort „Kernschmelze“ auf gar keinen Fall benutzt werden solle, obwohl man längst wusste, dass es eine gab. Die betroffenen Politiker bestreiten das vehement, doch 5 Jahre nach dem Geschehen und so kurz vor der Parlamentswahl sieht das ganze einfach nur nach einem Versuch aus, die Demokraten noch weiterzu diskreditieren.
Zweidrittelmehrheit hin oder her – man muss kein Hellseher sein, um vorherzusehen, dass die Wahlbeteiligung auch bei der kommenden Wahl wieder kläglich sein wird. Das merkz man schon am – für japanische Politikerverhältnisse gelungenem – Video der Kampagne oben: Das Video ist schon mindestens eine Woche verfügbar, hat aber gerade mal 6’000 Views. Das ist so gut wie gar nichts.

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tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

2 Kommentare

  1. Tja, traurig aber wahr!
    Ich warte nur noch darauf, dass der Herr Abe eines Tages ein Ermaechtigungsgesetz durchbringt. Er handelt eh schon jetzt nach dem Frank Sinatra Lied: „My Way“!!
    Aendern kann ich (oder koennen wir) leider nichts, da ich nicht wahlberechtigt bin, und meine eine Stimme wuerde eh keinen Unterschied machen. Ausserdem bestuende eh die Frage: wenn nicht die, wen dann?

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