Wer kennt sie nicht — Luffy und seine Piratengang aus der äußerst beliebten Mangaserie “One Piece”. Nun, die Antwort lautet leider “ich”, denn von “One Piece” hatte ich zwar schon mehrmals gehört, aber nicht genug, um mit den Namen der Protagonisten vertraut zu sein. Doch der Name Luffy (auf japanisch ルフィ) geistert nun schon seit mehr als einer Woche durch die japanischen Nachrichten, und zwar im Zusammenhang mit zahlreichen Hauseinbrüchen, die in den vergangenen Monaten verstreut in ganz Japan stattfanden. Die polizeilichen Ermittlungen zu den Einbrüchen nahmen nach dem 19. Januar 2023 richtig Fahrt auf, denn an jenem Tag hatte ein Einbruch in Komae, einem kleinen Stadtviertel im Süden von Tokyo, tödliche Folgen. Die 90-jährige Hausbesitzerin wurde von den Einbrechern gefesselt und mehrfach geschlagen und getreten, was letztendlich zum Tod des Opfers führte.
Die mutmaßlichen Täter waren nach einer Weile gefasst, und die Auswertung der Mobiltelefone ergaben, dass zahlreiche Fälle miteinander zusammenhingen. Die Polizei fand sobald auch heraus, dass es sich um eine Gruppe von Einbrechern handelt, die allesamt online über soziale Netzwerke rekrutiert wurden. Die “Stellenanzeigen” waren dabei ziemlich eindeutig. Honorare im hohen fünfstelligen Eurobereich wurden da versprochen, und als Arbeitsinhalt wurde タタキ – japanische Ganovensprache für “Einbruch, Raub” angegeben. Die Rekrutierten mussten vor “Arbeitsbeginn” zahlreiche Informationen an die Auftraggeber abliefern – zum Beispiel ihre Familienstruktur nebst Adressen der Eltern und dergleichen. Das war gut durchdacht, konnte man doch sie die “Angestellten” leicht davon abbringen, auszusteigen oder etwas der Polizei zu stecken.
Man fand zudem auch heraus, dass die Bande über die gut verschlüsselte, aber in Ostasien kaum bekannte App “Telegramm” kommunizierte. Ein Name tauchte immer wieder dabei auf – besagter “Luffy”. Und wie sich herausstellte, hielt sich dieser auf den Philippinen auf – und zwar, wie originell! – in einem Gefängnis. Das Puzzlespiel der Polizei erzeugte ein riesiges Echo in den Medien, die genüßlich über den Fortgang berichteten. So gibt es in philippinischen Gefängnissen mindestens vier Japaner, die mit der Angelegenheit zu tun haben. Nun sind die Gefängnisse dort nicht gerade als Hort der Glückseligkeit bekannt, doch wer Geld hat, kann sich das Leben dort relativ bequem gestalten – mit Einzelzimmer, Klimaanlage, Mobiltelefon nebst Internetzugang und Speis und Trank je nach gusto. Das gefiel der Bande so gut, dass mindestens zwei von ihnen immer wieder neue Strafanzeigen gegen sich erfanden, denn so lange sie einen laufenden Prozess hatten, konnten sie weder entlassen noch nach Japan abgeschoben werden.
Das änderte sich jetzt – zwei der mutmaßlichen Bandenmitglieder wurden umgehend nach Japan deportiert, und nachdem man die Prozesse gegen die anderen beiden als ungültig erklärte, wurden auch die anderen beiden in dieser Woche deportiert. Wer von den vieren nun jedoch Luffy ist, weiß man noch nicht so genau.
Offensichtlich hat die japanische Polizei hier ganze Arbeit geleistet, denn die Bande ging letztendlich sehr gewieft vor – vor allem auch deshalb, weil man sich nicht, wie meist üblich, auf eine Gegend spezialisiert hatte, sondern im ganzen Land aktiv war.
Die Zahl der Haus- bzw. Wohnungseinbrüche in Japan ist seit 2002 stark rückläufig — waren es damals noch fast 200’000, so waren es 2021 nur noch gut 17’000 Fälle1. Geht man nach den Medien und all den Postern, die man draußen so sieht, möchte man jedoch fast meinen, dass es andersrum ist – nämlich dass sich die Zahl verzehnfacht hat statt stark abzunehmen. Auf dem Land, beziehungsweise selbst in den Präfekturhauptstädten in der Provinz, schließen noch immer viele Menschen ihre Häuser nicht ab, während Großstadtbewohner immer sicherheitsbesessener werden.
- laut offizieller Polizeistatistik, siehe hier
Noch tappt die Polizei im Dunklen ueber die Identitaet von “Luffy” – es wird auch vermutet, dass es sich gar um einen Hintermann handelt, der noch gar nicht auf dem Schirm der Strafverfolger ist…
Vermutet wird auch eine Verbindung zum organisierten Verbrechen – die Yakuza war wegen Corona gut zwei Jahre von einigen traditionellen Einnahmequellen abgeschnitten – Schutzgelderpressung und Rauschgifthandel (durch die Einreisebeschraenkungen kam kaum Nachschub ins Land, und die Zollkontrollen bei der Post sind sehr effektiv!). Nun hat es einen Toten gegeben, und das bringt in Japan die Polizei zu Hoechstleistungen! Ich wage sogar die Behauptung, dass es ohne diesen Mord immer noch keine Spur auf die Philippinen gegeben haette und man wegen der Einbrueche weiterhin lokal ermittelt haette.
Interessant in diesem Zusammenhang ist m.E., dass die Philippinen, mit denen Japan kein Auslieferungsabkommen hat, die boesen Buben nach Japan ausgeliefert hat, obwohl dem (noch zu ermittelnden) Hintermann die Todesstrafe droht! Fuer die deutsche Kuscheljustiz undenkbar!