BlogKapselhotels (oder: Nie Wieder)

Kapselhotels (oder: Nie Wieder)

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Es sind lange Nächte im Büro zur Zeit, denn es gibt viel, sehr viel zu tun. Und so habe ich mich in der vergangenen Woche mal wieder festgesessen und stand kurz vor Mitternacht vor der Entscheidung, nach Hause zu fahren oder nicht. Letzteres hätte bedeutet, dass ich wohl erst nach 1 Uhr angekommen wäre (nachts fahren die Öffentlichen etwas spärlicher), nur um gegen halb 9 wieder das Haus zu verlassen. Die Alternativen hiessen Taxi oder Hotel. Beides muss ich natürlich nicht selbst bezahlen, aber selbst das Taxi braucht seine Zeit. Hotel also. Hauptsache so nahe wie möglich am Büro. Mir fiel ein Schild ein, dass ich neulich erst gesehen hatte: „Bed & Sauna“. Offensichtlich ein nagelneues Kapselhotel. Also gebucht, für gerade mal 2,800 yen, hernach gegen 1 Uhr Abendbrot gegessen und schnell noch im Convenience Store Wäsche zum Wechseln gekauft.
Das Kapselhotel ist in der Tat sehr neu, und erwartungsgemäss sehr spartanisch. Auf einem Flur gibt es rund 40 Kapseln – 20 links, 20 rechts. 20 oben, und 20 unten. Männlein und Weiblein schlafen natürlich auf getrennten Etagen. Duschen und Sauna sind auch auf einem separaten Flur. Und nur zwei der 40 Kapseln scheinen besetzt zu sein. Wie schön – nach rund 16 Stunden Bildschirm und Meetings sollte das doch für ein paar Stunden reichen.
Es ist meine zweite Begegnung mit der Kapsel. Die erste, am Flughafen Haneda, war furchtbar – es war extrem warm, und ziemlich laut. In dieser hier war es relativ kühl. Die Kapsel selbst ist 2 Meter lang, also passe ich halbwegs rein. Also geduscht, kurzes Feierabendbier, und gegen halb drei ab in die Karnickelbucht. Ganz dunkel wird es leider nicht, da es keine Tür (oder besser: keinen Deckel) gibt, sondern nur eine Art Jalousie. Doch dann ging es los: Ein anfangs leises, sonores Brummen wurde immer aufdringlicher. Und alle 5 Minuten erschien ein Neuzugang im Stall, oft schnaufend, schlürfend, mit Tüten raschelnd oder schniefend. Ganz ruhig jetzt! Einfach ignorieren! Ich versuchte ganz fest, mit mir, der Welt, der Arbeit und dem nicht abreißenden Strom der neuen Alkovenbewohner ins Reine zu kommen. Doch aus dem Hinterhalt schlich sich ein Gedanke heran, auf leisen Sohlen, doch er wurde immer größer und so bunt und scheckig, dass ich ihn nicht mehr ignorieren konnte: „Psst!! Hier kannst Du eh nicht schlafen! Warum stehst Du nicht auf, fährst ins Büro und erledigst dort all die Sachen, die Du eh erledigen musst!“.
Gegen vier war die Schlacht verloren. Ich kroch aus der Plastedose, fuhr ins Büro und arbeitete dort bis 19 Uhr. Nie wieder Kapsel!

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

18 Kommentare

  1. Ich habe mal versucht in einem Manga-Café zu nächtigen, das war trotz Ohrstöpsel ähnlich erholsam… Gerade in einer ungewohnten Umgebung sind Nebengeräusche äußerst kontraproduktiv was den erholsamen Schlaf angeht. Jedenfalls was mein Schlaffindungstalent in solchen Situationen betrifft ;)

  2. Ohje, genau so stelle ich mir das auch vor. T___T ….
    Um halb 9 aus dem Haus? Da sitz ich schon im Büro. :)
    Und das oft bis 18 Uhr. Das geht auch ganz gut, wenn man nicht in Japan lebt. ;)
    Gut, dass ich mit dem Auto zur Arbeit fahren kann (war in Japan übrigens auch so). ^___^;;

  3. Also ich habe bislang nur gute Erfahrungen mit Kapsel Hotels gemacht (Shimbashi). Sehr bequemes Bett, sehr preiswert. Finde ich ideal für eine kurze Nacht.

  4. 16 Stunden am Tag im Büro und dann 4 Std Schlaf? wer kann da noch vernünftig arbeiten? bin ich ein Weichei? warum bin ich nach 10 Std schon fertig? wie macht Ihr das in Japan bloß?

  5. Ungeachtet der anderen Tipps wäre es wohl am besten, gegen 22 Uhr Arbeit Arbeit sein zu lassen und nach Hause zu fahren^^; Sonst ist man doch am nächsten Tag sowieso nur halb so produktiv ;)

    • In (Ost)Deutschland wird viel zu früh aufgestanden, um produktiv sein zu können, in Japan zu lange gearbeitet.
      Beides ist gleich scheiße ;)

    • Yep. Dem kann ich nur zustimmen. Das ist bei grösseren IT-Projekten aber manchmal notwendig. Ich muss dazu auch sagen, dass die Zeit von 4 bis 10 Uhr nach dem Kapselhotel sehr produktiv waren (nicht ironisch gemeint). Wiederholen muss ich das allerdings trotzdem nicht so schnell wieder.

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