BlogJapans alternde Gesellschaft treibt ihre Blüten

Japans alternde Gesellschaft treibt ihre Blüten

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Es war keine Meldung, die in die Weihnachtszeit passt — deshalb erscheint diese Meldung mit etwas Verspätung. Das ganze geschah bereits am 23. Dezember 2017: Morgens um 5 Uhr rief ein Bewohner der Stadt Fukaya in der Präfektur Saitama den Notruf an: „Mein Nachbar teilte mir soeben mit, dass er seinen Sohn mehrfach mit dem Hammer geschlagen habe“. Polizei und Krankenwagen wurden in Marsch gesetzt, doch es war zu spät: Der Sohn erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Das pikante an der Sache: Der Sohn war reife 65 Jahre alt, und der zornige Vater sage und schreibe 92 Jahre. Laut Schilderung des Vaters war er wütend über den Lebensstil des bei ihm wohnenden Sohnes. Als er ihn in besagter Nacht betrunken vor seiner Haustür liegen sah, griff er zum Hammer und schlug mehrfach auf seinen Sohn ein.
Japans Gesellschaft altert rapide — das merkt man immer deutlicher. Diese Tatsache bringt dabei wie im obigen Fall auch allerlei seltsame Begleiterscheinungen mit sich. Dazu zählt die rapide Zunahme der durch ältere Mitmenschen begangenen Verbrechen. In vielen Städten richten die Polizeistationen deshalb eigene Dezernate ein, um dem Phänomen Herr zu werden.
Was nun genau hinter dem obigen Fall steckt, erfährt man natürlich nicht aus den Medien. Vielleicht wurde der Vater ja jahrelang vom trunksüchtigen Sohn drangsaliert oder gar mißhandelt. Vielleicht war der Vater aber auch schon immer sehr, sehr streng und kam mit dem Verhalten des Sohnes nicht klar. Fest steht jedoch, dass der 92-jährige offensichtlich sehr rüstig ist, wenn er morgens um 5 einen Erwachsenen mit dem Hammer erschlägt.
Wie immer im japanischen Fernsehen wurde der Klarname des Täters genannt — nebst Alter und Beruf. Im Falle des 92-jährigen stand freilich, wie immer in solchen Fällen 無職 mushoku – „arbeitslos“ daneben. Mit dieser Praxis komme ich nachwievor nicht klar. „Arbeitslos“ ist ein negativer Begriff und im Falle von Rentnern, ob sie nun gerade ihren Sohn mit dem Hammer erschlagen haben oder nicht, ganz sicher unangebracht.

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

3 Kommentare

  1. Ich fand das mit der Angabe von Beschäftigungsstatus / Alter auch immer sehr fragwürdig. Es stigmatisiert vor allem Arbeitslose und junge Menschen.
    Ich glaube, die Medien und die meisten Menschen denken sich da nicht viel bei, aber es ist für mich ein Symptom der überhöhten Wertschätzung / Idolisierung des Daseins als Seishain.
    (In Japan ist ja generell die Hierarchie: Seishain > Keiyakushain = Hakenshain > Arubaito > Mushoku)
    Für Uneingeweihte:
    Seishain = unbefristet, Vollzeit
    Keiyakushain = befristet, Vollzeit
    Hakenshain = befristet, semi-Vollzeit, über eine Vermittlungsagentur
    Arubaito = Nebenjob
    Mushoku = Arbeitslos

  2. Ich frage mich, bei wie vielen dieser von alten Menschen begangenen Verbrechen entweder Verzweiflung über die eigene Lage oder eine gewisse Demenz eine Rolle spielen. Wäre der Vater immer so gewalttätig gewesen, dann wäre doch sicher früher schon was aufgefallen? Vor allem da er es noch dem Nachbarn erzählt hat.
    … Oder er wollte die Rente des Sohnes kassieren.

  3. Vielleicht wollte der Vater aber auch einfach die Verantwortung für seinen Sohn nicht mehr tragen. Offensichtlich lebte der Sohn beim Vater und vielleicht sogar auf Kosten des Vaters. Vielleicht waren seine Gedanken, was wird sein, wenn ich nicht mehr lebe, wer kümmert sich dann – und was wird mein Sohn dann alles noch anstellen? All das geht nicht aus dem Artikel hervor.

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